Wenn eine Kommune ihren Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen will, muss sie selbst zum Bauherrn werden – oder aber sie kann Teil einer Quartiersgenossenschaft werden. Immobilienexpertin Pia Hoppenberg macht sich für dieses Modell stark.
Wohnraum wird in den Kommunen immer knapper. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister entwickeln Gegenstrategien, aber der Fachkräftemangel und teils leere Kassen erschweren die Umsetzung. Die 160 Jahre alte Lösung namens Wohnungsbaugenossenschaft kann Abhilfe schaffen. 2016 entwickelten Michael Hoppenberg, Anwalt aus Münster, und Michael Kirchner, Projektentwickler und Generalplaner aus Telgte, diese Lösung für die Schaffung von günstigem Wohnraum weiter und setzten sie erstmals in Detmold (Nordrhein-Westfalen) um.
Detmold war bis 2016 Garnisonsstadt der British Army. Nach dem Abzug entschied die Stadt, die Flächen zu erwerben. Nun stand die Verwaltung vor dem Problem, dass sie weder über eine eigene Wohnungsbaugesellschaft noch über ausreichend Kapazitäten für die Immobilienentwicklung verfügte. Zudem wollte die Politik keine kommunale GmbH gründen, da Gründung sowie Eigenkapitalausstattung hohe Kosten verursachen und für die Geschäftsführung aus der Verwaltung kein Personal verfügbar war.
Nun kam die Lösung von Michael Kirchner und Michael Hoppenberg, geschäftsführende Gesellschafter der Pyramis Immobilien Entwicklungs GmbH, ins Spiel: die Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft mit der Stadt Detmold, der Detmolder Gesellschaft für Stadtentwicklung und der Pyramis als Gründungsmitglieder.
2019 wurde die Kommunale Wohnungsgenossenschaft Britensiedlung gegründet – benannt nach dem Grundstück, das die Stadt in die Genossenschaft im Zuge eines Aktivtauschs einbrachte. Dies war die Geburtsstunde des Detmolder Modells, das seither 16 Mal von Kommunen umgesetzt wurde. Weitere kommunale Genossenschaften befinden sich in Gründung.
Vorteile für die Kommune
Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft ist für die Standortkommune in mehrfacher Hinsicht von Vorteil. Sie ist nicht an das öffentliche Vergaberecht gebunden und kann somit alle Aufträge lokal ausschreiben. Durch die Grundstückseinbringung wird der Haushalt nicht belastet, und die Genossenschaft ist kreditwürdig.
Alle städtebaulichen und sozialpolitischen Ziele sind zudem in der Satzung festgeschrieben, die nur mit Einverständnis der Kommune geändert werden kann. Sie stellt auch die Mehrzahl der Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder. Der Aufnahme weiterer Genossen muss die Kommune zustimmen. Da die Genossenschaft ausschließlich kostendeckend wirtschaftet, ist sichergestellt, dass die Miete dauerhaft günstig bleibt.
Die Kommune muss keine eigenen Ressourcen für die Immobilienentwicklung, Vermietung und Verwaltung einsetzen. Sämtliche operativen Aufgaben in der Genossenschaft übernimmt die Entwicklungsgesellschaft. Und ein weiterer Vorteil: Die Genossenschaften beschränken sich auf ein Quartier mit maximal 40 bis 60 Wohnungen, um den späteren Mietergenossinnen und -genossen die angestrebte Selbstverwaltung „ihrer“ Immobilien zu gewährleisten.
Mittlerweile ist die Schaffung von günstigem Wohnraum nicht mehr ausschließlicher Zweck einer Genossenschaft. In Detmold wird ein Gewerbegebiet entwickelt. Die Gemeinde Nottuln (wie alle hier genannten Orte in Nordrhein-Westfalen) baut mittels der Genossenschaft Lerchenhorst eG ein Wohnheim für Auszubildende und duale Studierende Nottulner Unternehmen. In Drolshagen baut die Genossenschaft Wohnraum.Drolshagen eG ein Wohnheim für Schutz- und Obdachsuchende.
Bereits bewährt in der Praxis
Großen Anklang findet das Modell auch im Rhein-Kreis Neuss, wo gleich vier Städte und Gemeinden (Jüchen, Kaarst, Korschenbroich und Rommerskirchen) Genossenschaften mit der eigens hierfür etablierten Kreisgesellschaft und der Pyramis gegründet haben. Die Stadt Halle in Westfalen nutzt ihre Genossenschaft Postweg eG, um neben dem Bau eines Mehrfamilienhauses eine ehemalige Sparkassenfiliale für die Unterbringung eines Supermarktes zu nutzen.
Die prioritäre Zielgruppe des Detmolder Modells sind kleine und mittelgroße Kommunen, weil sie wegen knapper personeller und finanzieller Ressourcen vielfach nicht eigene Wohnungsbauaktivitäten entfalten können. Großstädte verfügen demgegenüber oft schon über gut funktionierende Wohnungsbaugesellschaften und sehen sich gezwungen, schnell große Vorhaben als neue Stadtteilprojekte zu schaffen. Dafür stehen als Beispiele in München Freiham oder in Münster Teilentwicklungen auf Konversionsflächen.
Diese Ziele können regelmäßig nur große stadteigene Wohnungsbaugesellschaften erfüllen. Mit dem Grundgedanken des Detmolder Modells „Quartiersgenossenschaften“ lassen sich derartige großstädtische Entwicklungen dagegen nicht erreichen.
Wenn sich allerdings Großstädte der Erwägung öffnen, ihre Konzepte zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum an geeigneten Stellen um das Modell von Quartiersgenossenschaften zu ergänzen, kann das Detmolder Modell auch für Großstädte eine Abrundung der Gesamtpalette sein.
Pia Hoppenberg
Die Autorin
Pia Hoppenberg ist Geschäftsführerin der Sparte Kommunikation bei der Pyramis GmbH in Münster.