Im Bürgermeisterwahlkampf zählt der authentische Auftritt

Was muss ein Bewerber um das Bürgermeisteramt mitbringen? Wie kann er seine Stärken im Wahlkampf deutlich machen, wie die Bürger für sich gewinnen? In einer neuen Serie beleuchten wir die zentralen Fragen rund um die persönliche, sachliche und kommunikative Profilbildung.

Authentizität! Dies ist das wohl beliebteste Werbelabel unserer Zeit, von dessen Verwendung man sich eine kräftige Popularitätssteigerung des damit angepriesenen Produktes erwartet. Und zugkräftig ist es, denn im Zeitalter von Unsicherheit und Umbruch, von Globalisierung und Digitalisierung sind viele auf der Suche nach dem Ursprünglichen und Echten. Und das gilt nicht nur für Reiseziele, Nahrungsmittel oder Retro-Chic. Auch in der Politik hat die Authentizität Konjunktur. Das lässt sich zum Beispiel aus der Renaissance des Heimatbegriffs ablesen, der mittlerweile nicht nur von allen Parteien gebraucht wird, sondern sogar schon zur Behörden- und Ministerienbezeichnung avanciert ist.

Der Trend hinterlässt seine Spuren auch in den Bürgermeister- und Oberbürgermeisterwahlen. Um die Jahrtausendwende war hier der moderne und dynamische (und auch etwas uniforme und bisweilen glatte) Managertyp gefragt, der seine Stadt wie einen Konzern zu führen versprach. Das passte hervorragend zum wirtschaftsliberalen Zeitgeist, der im selben Zuge nach Verwaltungsverschlankung, Privatisierung und Öffentlich-Rechtlichen-Partnerschaften in der Kommunalpolitik gierte. Nun geht der Trend eher zum kantigen Kandidaten, der die lokalen Gegebenheiten widerspiegelt und durchaus aus üblichen Mustern ausbrechen darf.

Aber es genügt nicht, eine Politik oder einen politischen Protagonisten als authentisch zu deklarieren und zu erwarten, die Wahlerfolge kämen dann schon von allein. Anverwandelt sich ein Amtskandidat der Gemeinde, in der er das Bürgermeisteramt anstrebt, als würde er eine Rolle spielen, hat das keinen Erfolg. Authentizität wird nicht erzielt, indem man Selfies vor lokalen Sehenswürdigkeiten und Food Porn regionaler Spezialitäten über die sozialen Netzwerke verschickt oder sich im hyperlokalen Blog in ortsüblicher Tracht zeigt (die in der Großstadt oder in Ballungsräumen durchaus auch einmal ein Hoodie oder ähnliches sein kann). Gleichwohl ist es auch nicht nötig, ortsansässige Lokalgröße in dritter Generation zu sein. Was zählt, ist die persönliche Geschichte, die aber weder seit grauer Vorzeit mit der Gemeinde verwoben noch bruchlos sein muss.

Inszeniertes zieht nicht

Es gilt vor allem, eine glaubwürdige Persönlichkeit herauszuarbeiten. Klingt simpel, ist aber natürlich eine gewaltige Herausforderung. Keine Biografie kann allen Ansprüchen gerecht werden, die ein zunehmend vielfältiges und kleinteiliges Wahlvolk an sie stellt. Inszenierung hilft hier nicht weiter, sie wird schnell durchschaut. Es bleibt nur, die eigene Persönlichkeit, die eigenen Werte unverfälscht zur Schau zu stellen, ohne sie absolut zu setzen.

Im Bekenntnis zur eigenen Individualität muss die Toleranz für die anderen mitschwingen. Gleichzeitig gilt es, nicht die Schwelle zur Beliebigkeit zu überschreiten. Wer alles akzeptiert, wird kaum die klaren Regeln des Zusammenlebens setzen können, die gefragt sind, wenn die Gemeinde nicht mehr nur als Wohnort empfunden wird, sondern auch Refugium in einer als unübersichtlich wahrgenommenen Welt ist. Aus diesem Grund sollte ein Kandidat sich auch nicht nur als Alphatier und Macher geben, sondern ebenso ein Kümmerer sein. Da bei dem Wunsch nach Heimat und Heimatgefühl der Gemeinde eine Schlüsselrolle zukommt, soll sie auch Geborgenheit vermitteln. So sind Persönlichkeiten gefragt, die den schwierigen Spagat zwischen Liberalität und Zero Tolerance beherrschen.

Ehrgeiz allein wird als Motiv der Kandidatur nicht mehr akzeptiert. Die nachvollziehbare Verbundenheit mit der Kommune ist wichtig. Ist man dort verwurzelt, hat man Wurzeln geschlagen? In vielen Kommunalwahlen spielt es noch immer eine Rolle, wie lange der Kandidat schon im Ort lebt. Die Bevorzugung auswärtiger Kandidaten, wie in Baden-Württemberg häufig zu beobachten, bleibt eine Ausnahme. In Zeiten größerer Mobilität ist es aber nichts Ungewöhnliches mehr, dass es sich beim Bürgermeister um einen Zugezogenen handelt.

Auch bei den Ansprüchen an die berufliche Biografie sind die Wähler flexibler geworden. Wichtig ist, bisherige Funktionen nicht hochzujazzen und blinde Stellen nicht zu verschleiern. Da sich auch der Kommunalwahlkampf digitalisiert hat, kann sich der Kandidat keine Chance auf Vergessen mehr ausrechnen. Oft kommen die Kandidaten aus dem öffentlichen Dienst. Das ist jedoch nur von Vorteil, wenn eine Leidenschaft für das Amt vermittelt werden kann, die das Wahlbeamtentum nicht nur als irreguläre Laufbahnfortsetzung erscheinen lässt.

Wichtig ist auch, den Eindruck einer angemaßten Omnipotenz zu vermeiden. Die moderne Gemeinde steht vor komplexeren Herausforderungen denn je, außerdem ist das Misstrauen gegenüber einem einsamen Expertentum mittlerweile groß. Für die Kandidatur muss also klargestellt werden, wie Wissen fruchtbar gemacht werden soll: Welche Änderengen von Strukturen, welche einzubindenden Institutionen, welche Formen der Bürgerbeteiligung werden bei der Entscheidungsfindung nach der Wahl helfen?

Heimatbegriff mit Leben füllen

Für eine Kandidatur müssen Gestaltungsziele genannt werden. Auf Bundes- und Landesebene hat sich da eine gewisse Ambivalenz eingeschlichen: Eine visionslose, pragmatische Alternativlosigkeit ist als Politikstil aus der Mode, große Würfe allerdings auch. Alles soll sich ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist (frei nach „Der Leopard“).

In der Politik folgt das kleine Wasser dem Großen. So gelten die widersprüchlichen Erwartungen auch für die Kommunalpolitik. Die Gemeinde soll wieder gestalten, keine „Nachtwächtergemeinde“ mehr sein. Zugleich aber gibt es eine Tendenz zur Ablehnung von Großprojekten, die, wenn sie nicht gut begründet und mit ungenügender Bürgerbeteiligung ins Werk gesetzt sind, schnell zum Alptraum jeder Kandidatur (und Amtszeit) werden können – selbst bei gesunden Gemeindefinanzen. Schlussendlich ist es für jede Kandidatur unabdingbar, den eingangs erwähnten Heimatbegriff zeitgemäß in die Gestaltungsziele zu integrieren.

Markus Karp

Der Autor
Dr. Markus Karp ist Professor unter anderem für Personalmanagement und öffentliche Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin, Fachbereich Wirtschaft, Informatik und Recht

Bürgermeisterwahlen – unsere Beitragsserie

Die Teile 2 und 3 unserer Beitragsserie über Bürgermeisterwahlen behandeln die Bedeutung der sachlichen und kommunikativen Profilbildung des Bewerbers und geben dazu praktische Tipps. Die Artikel von Markus Karp werden am 11. Juni und 11. Juli auf unserem Serviceportal veröffentlicht unter Themen > Bildung & Wissen