Hoffnungsträger der Region

Der Tourismus in ländlichen Räumen ist die perfekte Projektionsfläche für die Sehnsucht vieler Menschen nach Einfachheit und Ruhe. Damit die Gemeinden dieses Potenzial ausschöpfen können, ist ein hohes Maß an Vernetzung und Koordinierung. Standort- und Tourismusmanagement müssen Hand in Hand gehen.

Deutschland hat Lust aufs Land. Die überwältigende Auflagenstatistik des Idyllmagazins „Landlust“ bringt eine Sehnsucht der Deutschen zum Ausdruck. Das Heft widmet sich Themen wie der Rückbesinnung auf Regionalität, „zurück zur Natur“ und Entschleunigung. Diese gesellschaftlichen Trends bilden das Gegenstück zum Erlebnishunger, der gerade große Städte mit ihrer Angebotsdichte zu touristischen Anziehungspunkten macht. Sie zeigen, dass eine Sehnsucht nach Einfachheit und Ruhe vorhanden ist, für die Tourismus in ländlichen Räumen die perfekte Projektionsfläche und naturräumlichen Bedingungen bietet: Vom Übernachten auf dem Bauernhof oder im Heuhotel über gesundheitsorientierte Bio- und Kneipp-Ferienhöfe bis hin zu Obstplantagen zum Selbstpflücken, Hofläden mit regionalen Produkten und Kräuterakademien. Aber auch für naturnahe Aktivitäten wie Wandern, Radfahren oder Camping bieten ländliche Räume das klassische Umfeld.

Spricht man vom Tourismus in ländlichen Räumen, sind grundsätzlich Regionen mit einer Einwohnerdichte von weniger als 150 Einwohnern pro Quadratkilometer gemeint und somit alle Regionen außerhalb städtischer Verdichtungsräume. Kennzahlen zu wirtschaftlichen Effekten und der touristischen Entwicklung auf Basis dieser Definition des Bundesinstituts für Bau- und Raumordnung existieren jedoch nicht. Deshalb müssen andere Kriterien herangezogen werden. So hat der Deutsche Landkreistag im Jahr 2011 in einer Untersuchung die ökonomische Bedeutung des Tourismus in den Landkreisen berechnen lassen. Zwar sind Landkreise und ländliche Räume nicht zwangsläufig deckungsgleich, dennoch ergibt sich ein ungefährer Eindruck der Wirtschaftskraft des ländlichen Tourismus. Demnach bewirken Übernachtungstourismus und Tagesreisen in den Landkreisen zusammen einen Bruttoumsatz von 73,4 Milliarden Euro jährlich, wobei beiden eine ähnlich hohe Bedeutung zukommt. Die äußerst serviceintensive Branche hat einen Beschäftigungseffekt von 1,55 Millionen Personen.

Deutschlandtourismus wächst

Die touristischen Arbeitsplätze sind für Kommunen besonders interessant, weil sie nicht exportierbar, sondern immer ortsgebunden sind. 80 Prozent der Übernachtungen in Deutschland gehen auf das Konto der Deutschen. Betrachtet man Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern, sind es sogar fast 90 Prozent. Und die Reiselust der Deutschen ist groß: Sie verreisen kürzer, aber dafür öfter. Drei Viertel der Kurzurlaubsreisen der Deutschen gehen ins Inland. Hinzu kommen 2,4 Milliarden privat motivierte Tagesreisen im Jahr, die meisten davon führen zu einem Ausflugsziel in Deutschland. Der Deutschlandtourismus insgesamt wächst – 2015 zum sechsten Mal in Folge. Das Statistische Bundesamt verzeichnete mit 436,2 Millionen Übernachtungen ein Rekordjahr. Für 2016 wird ein weiterer Anstieg erwartet.

Die Großwetterlage für die Destinationen vom Allgäu bis Zingst, von Görlitz bis zur Eifel ist also gut. Die Frage, wie es einer Gemeinde gelingt, sich als Tourismusdestination zu etablieren und eine ausgeglichene Bilanz von Aufwand und Nutzen zu erreichen, lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten. Brechen bisherige Wirtschaftsstrukturen weg oder gerät die regionale Landwirtschaft in eine Krise, wird der Tourismus bisweilen zur Leitökonomie erkoren. Gerade in peripheren Lagen sieht man dann den Tourismus gern als Hoffnungsträger, der Arbeitsplätze sichert und neu schafft und wirtschaftliche Impulse in den vor- und nachgelagerten Branchen auslöst.

Eine falsche Einschätzung des Tourismuspotenzials kann aber dazu führen, dass Investitionen in Projekte fließen, die nicht den Kern der Gästewünsche treffen und die über Gebühr den kommunalen Haushalt belasten. Gemeinden, die bisher nicht zu den touristisch etablierten Regionen zählen, können sich jedoch mit konsequentem Engagement einen hochinteressanten Markt erschließen, der für Arbeitsplätze, Steuermehreinnahmen und Attraktivitätsgewinn des Standorts sorgen kann. Die große Stärke des Tourismus liegt in seiner stabilisierenden Wirkung für die Regionalentwicklung. Wenn Tourismus- und Freizeitinfrastruktur entsteht, erhöht sich die Wohn- und Gewerbestandortqualität.

Die Ansiedlung nicht-touristischer Unternehmen sowie die Gewinnung von Fach- und Führungskräften hängt nicht zuletzt von der Lebensqualität ab, die ein Ort oder eine Gemeinde bietet. Eine dauerhafte touristische Nachfrage kann dafür sorgen, dass Bahn- und Busverbindungen, Schwimmbäder oder Kultureinrichtungen eine ganzjährige befriedigende Auslastung erreichen und somit gehalten werden können. Für Einheimische sind dies gute Argumente zu bleiben und für potentielle Neubürger zu kommen.

Solidarisches Finanzierungsinstrument

Touristische Erfolge hängen neben einzelunternehmerischen Investitionen vom Einsatz finanzieller Mittel der öffentlichen Hand ab. Denn: was nützt das schönste Wellnesshotel am Ort, wenn die historische Innenstadt bröckelt, das Museum nicht geöffnet hat und die Grünanlage in armseligem Zustand ist? Investitionen der Kommunen – insbesondere vor dem Hintergrund klammer Haushalte – sind aber nur ein Pfeiler, auf den sich der Tourismus stützen kann. Zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten wie die Tourismusabgabe sind notwendig, um die touristische Infrastruktur zu sichern. Leider lassen die Kommunalabgabengesetze der Länder diese Form der Tourismusfinanzierung nicht überall zu. Dabei ist die Tourismusabgabe ein solidarisches Finanzierungsinstrument, das alle Profiteure des Tourismus einbezieht und somit keine einseitige Belastung verursacht.

Eine erfolgreiche touristische Erschließung erfordert darüber hinaus ein hohes Maß an Vernetzung und Koordinierung. Standort- und Tourismusmanagement müssen Hand in Hand gehen. Akteure aus der Stadtverwaltung, das Regionalmanagement, die Wirtschaftsförderung des Landkreises und die regionale Industrie- und Handelskammer gehören an einen Tisch. Insbesondere der interkommunale Schulterschluss ist wichtig, weil ein Ort oftmals nicht über eine ausreichende eigene Angebotspalette verfügt, um Touristen dauerhaft anzuziehen. Mit den zunehmenden Erfahrungen der Reisenden steigt ihr Anspruch an das Reiseziel. Das betrifft nicht nur einheitliche Wegenetze zum Wandern oder Radfahren oder attraktive Mobilitätsangebote wie Gästekarten mit inkludierter kostenfreier Nutzung des ÖPNV. Auch vielfältige Kulturangebote bieten einen interessanten Ankerpunkt.

Im Rahmen eines aktuellen Projekts, das der Deutsche Tourismusverband koordiniert, unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die ländlichen Reiseregionen dabei, ihre Kulturangebote besser zu vermarkten. Drei Modellregionen – Oberlausitz-Niederschlesien, Ostfriesland und die Zugspitzregion – wurden ausgewählt, um beispielhafte Lösungen aufzuzeigen, wie die Chancen des Kulturtourismus als Wirtschaftsfaktor in ländlichen Regionen besser genutzt werden können. Demnächst werden die Modellregionen auf www.culturcamp.de zu ihren Erfahrungen aus den Projektcoachings berichten. Ein spannender Ansatz, von dem auch andere ländliche Destinationen profitieren können.

Reinhard Meyer

Der Autor
Reinhard Meyer, Wirtschafts- und Arbeitsminister in Schleswig-Holstein, ist Präsident des Deutschen Tourismusverbands mit Sitz in Berlin

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