Hamburg plant visionär

Die Entwicklung des neuen Hamburger Stadtteils Oberbillwerder soll europaweit ausstrahlen. Das Projekt will durch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, autofreie Mobilität und klimaneutrale Energieversorgung städtebaulich wegweisende Lösungen aufzeigen. Im ganzen Prozess soll die Planung flexibel bleiben.

 

Heute einen neuen, gemischten, innovativen und möglichst energieautarken Stadtteil zu planen, ist eine komplexe und verantwortungsvolle Aufgabe. Gleich zu Beginn stellen sich grundlegende Fragen: Wie wollen wir in 30 Jahren leben? Wie wird sich die Arbeitswelt verändern und wie wollen wir unsere Freizeit gestalten? Wie hoch ist der Stellenwert von Gesundheit und Bewegung? Welchen Wert messen wir Natur, Landschaft und der Erzeugung von Nahrungsmitteln bei? Wie innovativ schreiten die Entwicklungen bei der Energie- und Wärmeversorgung fort? Wie verändert sich unser Mobilitätsverhalten?

Die Internationale Bauausstellung (IBA) Hamburg entwickelt in enger Abstimmung mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen sowie dem Bezirk Bergedorf den Stadtteil Oberbillwerder, der in Hamburg, aber auch europaweit Maßstäbe für die Stadtentwicklung setzen soll. Der neue Stadtteil soll attraktiv sein, inklusiv und integrativ, umweltfreundlich und zukunftsbeständig und seinen Bewohnern eine hohe Lebensqualität bieten.

Planung ist ein lernender Organismus

Bei einem Entwicklungszeitraum von mindestens 20 Jahren können heute nicht alle Zukunftsfragen in Gänze beantworten werden. Deshalb muss die Planung als lernender Organismus begriffen werden, als Baukasten von Methoden und Konzepten, der mit dem Planungsprozess wächst. Die Beteiligungsprozesse, aber auch die Durchdringung und Reifung der Themen und Konfigurationen brauchen Zeit.

Der Masterplan muss unter Beibehaltung der städtebaulichen Grundkonzeption flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren können. Die einzelnen Quartiere müssen wie bei einem Puzzle ineinandergreifen, jedoch auch selbstständig alle Anforderungen erfüllen und jeweils für sich autark funktionieren. Zur Schaffung eines positiven Standortimages für die künftigen Bewohner wie auch für Bauträger und Investoren sollte frühzeitig ein identitätsstiftendes Alleinstellungsmerkmal aus dem Ort heraus entwickelt werden.

Auch nach Fertigstellung der Masterplanung sollten die einzelnen Fachbereiche koordiniert weiterentwickelt werden. Die Grundlage dafür sind zum Beispiel ein Leitfaden für die freiraumplanerische und bauliche Gestaltung ebenso wie innovative immobilienwirtschaftliche Vergabeinstrumente für Grundstücke. Die Vergabe der Baugrundstücke in vielfältigen Eigentumsstrukturen und kleineren Tranchen an verschiedene Entwickler schafft die Voraussetzung für eine hohe Diversität.

Bauträger sollten künftigen Mietern oder Käufern auf privaten Flächen Voraussetzungen für ein autofreies Wohnen bieten, zum Beispiel durch ein Willkommenspaket aus Mieterticket, Bereitstellung von E-Ladestationen und Car- Sharing-Angeboten. Ein hoher Anteil an Baugemeinschaften erhöht den Zusammenhalt, schafft Nachbarschaften, bietet vielfältige gemeinschaftliche Konzepte und wirkt positiv auf das gesamte Quartier.

Zur Schaffung von wohn- und mischungsverträglichen Arbeitsplätzen müssen Arbeitsstätten neu gedacht, städtebauliche Strukturen vorausschauend angelegt und zu einem späteren Zeitpunkt durch Steuerungsinstrumente (z. B. Vermietungsmanagement, Erdgeschossmanagement, Subventionsmöglichkeiten) ergänzt werden.

Bautätigkeiten sind mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden. Die frühzeitige Ermittlung von Ausgleichsmaßnahmen in Verbindung mit einem naturschutzfachlichen Biotopmanagement erspart spätere Konflikte.

Größtes Projekt nach der Hafencity

Der neue Stadtteil Oberbillwerder liegt eine Viertelstunde von der Hamburger Innenstadt und nur zwei S-Bahnstationen vom Bergedorfer Zentrum entfernt in den Hamburger Marschlanden. Die Flächen gehören der Stadt und werden derzeit landwirtschaftlich genutzt. Mit rund 120 Hektar ist Oberbillwerder Hamburgs zweitgrößtes Stadtentwicklungsprojekt nach der Hafencity.

Die IBA Hamburg koordiniert und steuert den gesamten Entwicklungsprozess und hat den Wettbewerb im Sommer 2017 europaweit als Wettbewerblichen Dialog ausgeschrieben. Ende Mai 2018 endete der Wettbewerb mit der Entscheidung eines 20-köpfigen Beratungsgremiums zugunsten des dänisch-niederländisch-deutschen Planungsteams Adept Aps mit Karres + Brands und Transsolar Energietechnik.

Der Entwurf „The Connected City“ ist eine Vision, in der die neue Stadtstruktur die Landschaftsstruktur aus linearen Entwässerungsgräben aufgreift. Blau-grüne Adern schlängeln sich durch den neuen Stadtteil und prägen die öffentlichen Räume. Alle öffentlichen Funktionen wie Schulstandorte und Kitas sind entlang eines Grünen Loops angeordnet und können auch ohne Auto problemlos erreicht werden. Die Bebauungsdichte nimmt zum landschaftlich geprägten Stadtrand hin deutlich ab. Hier entstehen neue Kleingartenanlagen, Townhouses und naturnahe Spielplätze, die einen behutsamen Übergang in die historische Kulturlandschaft Billwerders ermöglichen.

In Oberbillwerder werden fünf gemischte Quartiere unterschiedlicher Prägung entstehen, wodurch eine feinkörnige Mischung und Milieubildung möglich wird. Zur deutlichen Reduzierung des Verkehrs sind über den Stadtteil verteilt Mobilitätsstationen und City Hubs zur Anlieferung von Waren oder Paketen sowie mehrere Quartiersgaragen für privates und öffentliches Parken vorgesehen. Der Fokus auf Fußgänger- und Radverkehr sowie Sportparks und viele Bewegungsangebote im öffentlichen Raum sollen die Grundlage für den Modellstadtteil Active City bilden. Darüber hinaus verfolgen die Planer das Ziel, Oberbillwerder vollständig aus erneuerbaren Energien zu versorgen.

Gerti Theis / Stefan Laetsch

Die Autoren
Gerti Theis ist bei der Internationalen Bauaustellung (IBA) Hamburg die verantwortliche Projektkoordinatorin für Oberbillwerder, Stefan Laetsch ist Pressesprecher der IBA