Grüner Gewerbepark am Bodensee

Auf dieser knapp fünf Hektar großen Fläche entsteht aktuell Deutschlands erstes klimaneutrales Gewerbegebiet. Foto: Stadtverwaltung Radolfzell

In Radolfzell am Bodensee entsteht ein klimaneutrales Industriegebiet: der Clean Energy Park Blurado. Das Energiekonzept sieht den vollständigen Verzicht auf fossile Brennstoffe vor.

Die baden-württembergische Stadt Radolfzell mit rund 30.000 Einwohnern sieht sich selbst als Umweltstadt: „Rund 82 Prozent unserer Gemarkung sind Naturschutz-, Landschaftsschutz, Vogelschutz- oder Grünzäsurengebiete“, sagt Oberbürgermeister Martin Staab. „Aufgrund der landschaftlich schönen Lage und eines ausgeprägten ökologischen Verständnisses unserer Bürger lag es nahe, hier ein möglichst umweltfreundliches Gewerbegebiet zu planen.“

Gesagt, getan. Ursprünglich angedacht war neben einer klimaneutralen Kälte-Wärme-Versorgung auch eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien. Aufgrund von kartellrechtlichen Beschränkungen konnte der Plan eines Arealstromnetzes zur Versorgung des Gewerbegebietes mit Grünstrom nicht weiterverfolgt werden. Jedoch ist das aktuelle Energiekonzept im Blurado eine gute Basis für den vollständigen Verzicht auf fossile Energieträger: Agrothermieflächen speisen das kalte Nahwärmenetz mit Umgebungswärme. Diese Wärmeenergie gelangt durch das kalte Nahwärmenetz zu den angesiedelten Unternehmen, wo Wärmepumpen die Temperatur auf das benötigte Niveau anheben oder absenken.

Die Wärmepumpen selbst werden durch Strom aus Photovoltaikanlagen betrieben. Die Anlagen sowie die dezentralen Energiezentralen (wie Wärmepumpe, Speicher, Messgeräte zur Erfassung der gelieferten Wärme und Kälte) werden von dem Energiedienstleistungskonzern Getec installiert und gewartet. Dadurch entfallen für die Unternehmen die Kosten dieser technischen Installationen und deren Wartung. Die Unternehmen stellen einen Hausanschlussraum zur Errichtung der Energiezentrale sowie Flächen für Photovoltaikanlagen zu deren Stromversorgung zur Verfügung.

Förderprogramm Wärmenetzsysteme 4.0

Der Anschluss an das kalte Nahwärmenetz ist für alle Unternehmen verpflichtend, um die Bedingungen der „Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (Wärmenetzsysteme 4.0)“ des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erreichen zu können. So sollen die Kosten der Wärme-Kälte-Lieferungen für alle ansässigen Unternehmen möglichst gering gehalten werden. Auf Basis dieser Infrastruktur ermutigt man die Unternehmen dazu, verfügbare Flächen zum Ausbau von Photovoltaikanlagen zu nutzen.

Im Zuge des Stadtentwicklungsplans von Radolfzell (Step 2030) haben Bürger, Gemeinderat und Stadtverwaltung seit 2016 ein nachhaltiges und umweltfreundliches Gewerbegebiet als Ziel festgeschrieben. Die Stadtverwaltung gab daraufhin eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die unterschiedliche Lösungen auf ihre Wirtschaftlichkeit hin untersucht und den Fokus auf das Thema Agrothermie gelegt hat.

Eine fachübergreifende Arbeitsgruppe der Stadtverwaltung entwickelte anschließend gemeinsam mit Prof. Dr. Ing. Thomas Stark vom Fachbereich Energieeffizientes Bauen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) Konstanz die Konzeptstudie und die Vergabematrix anhand einer Referenzfirma. Im Anschluss wurden Agrothermieflächen ausgewählt.

Zukunftsweisendes und nachhaltiges Konzept

Durch die Zusammenarbeit der Stadt Radolfzell mit der HTWG wurde die Internationale Hochschule Bodensee (IHB) auf das Projekt aufmerksam. So wurden einige Mitglieder der Stadtverwaltung als Experten für die Hearinggruppe des Projekts Gewerbegebiete 4.0 berufen. Nach dem Abschluss der Planungsphase beauftragten die Verantwortlichen Umweltgutachten und kauften die notwendigen Flächen.

Es folgte die europaweite Ausschreibung für einen Konzessionsvertrag mit einem Energieversorger. Nachdem dieser gefunden war, stand die gemeinsame Projektzeitenplanung an. Stadtverwaltung und Energieversorger stimmten sich unter anderem bei den Tiefbauarbeiten zur Errichtung der kalten Nahwärmetrasse ab. Die gegenseitige Unterstützung aller Beteiligten ermöglichte es, die neuen Herausforderungen zielführend zu bewältigen.

Neben den üblichen Kosten, die für die Entwicklung jedes Gewerbegebiets anfallen, sind für das Blurado zusätzliche Kosten aufgrund des zukunftsweisenden und nachhaltigen Konzeptes angefallen. Diese belaufen sich allerdings auf weniger als fünf Prozent der projektierten Gesamtkosten. Es handelt sich dabei ausschließlich um Aufwendungen für Sachverständige, die beispielsweise im Rahmen der Machbarkeitsstudie oder der Ausarbeitung beziehungsweise der Umsetzung des Energiekonzeptes angefallen sind. Moritz Schade

Der Autor: Moritz Schade ist Pressesprecher der Stadtverwaltung Radolfzell.