Während nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein CDU und SPD ihre Wunden lecken und bei den Sozialdemokraten einmal mehr Rücktrittsforderungen gegen Landeschef Ralf Stegner laut werden, sonnen sich die Grünen im Glück: Mit 16,5 Prozent liegen sie auf Platz drei hinter den Platzhirschen. Sie können die bürgerlichen Wähler überzeugen und punkten in den großen Städten.
Das Grinsen weicht ihm nicht aus dem Gesicht. Als der grüne Landesvorsitzende Steffen Regis am Wahlsonntag vor die Kameras tritt, muss er vor allem eine Frage beantworten: Sind die Grünen, auf dem Weg zur Volkspartei? „Der Anspruch ist da“, sagt der Parteichef. Klar, denn er hat gerade die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein „gerockt“. Keine Partei hat beim landesweiten Ergebnis der Kreistags- und der Wahlen in den kreisfreien Städten so viele Prozentpunkte zugelegt wie die Grünen – 2,8 Prozent. Damit liegen sie landesweit mit 16,5 Prozent auf Platz drei, hinter CDU und SPD, die beide verlieren.
Die meisten Spitzenpolitiker aus dem Land haben vorher behauptet, dass die Kommunalwahl ein Jahr nach Bildung der Koalition aus CDU, Grünen und FDP kein Test für Jamaika sei. Aber bei aller kommunalpolitischen Bedeutung in den über 1000 Gemeinden geht es am Tag nach der Wahl genau darum: Wer ist der Verlierer?
Einer steht schon fest: SPD-Chef Ralf Stegner. Nach der Landtags- und der Bundestagswahl verliert er den dritten Urnengang in Folge. Seit zehn Jahren steht der 58-Jährige an der Spitze der Genossen im Land, jetzt gibt es wieder mal Rücktrittsforderungen. Drei SPD-Mitglieder des Kabinetts des damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig verlangen Stegners sofortige Demission. Vorsichtiger ist die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die kurz zuvor gegen Andrea Nahles einen Achtungserfolg bei der Kandidatur um den Bundesvorsitz erzielen konnte. Die 41-Jährige verlangt nur eine schnelle personelle Erneuerung. Eine eigene Kandidatur um den Landesvorsitz hat sie schon kurz vor der Kommunalwahl ausgeschlossen – darin aber listig das Wort „vorerst“ eingestreut.
Stegner hingegen will bleiben. „Meine persönliche Konsequenz besteht darin, dass wir den innerparteilichen Reformprozess, den wir brauchen, auf Bundes- und auf Landesebene mit aller Kraft vorantreiben“, sagt er. In der Partei rumort es, landesweit haben die Genossen 6,5 Prozentpunkte verloren, in manchen Kommunen sogar zweistellig. Viele Kreischefs ballen die Faust in der Tasche, aber offiziell will sich keiner offen gegen Stegner stellen.
Im April 2019 wird ein neuer Parteichef gewählt, gut möglich, dass Stegner den Konflikt an der Spitze aussitzen will – es wäre nicht das erste Mal. Gut möglich ist auch, dass er einen eigenen Nachfolgekandidaten aufbaut, um Simone Lange als Vorsitzende zu verhindern und selbst den Fraktionsvorsitz bis zum Ende der Legislaturperiode zu behalten.
Über den Streit in der SPD vergisst man fast die anderen Verlierer der Wahl. Der junge Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU bekommt den ersten Dämpfer seiner Amtszeit. Die traditionell bei Kommunalwahlen starke CDU verliert im ländlich geprägten Schleswig-Holstein 3,8 Prozentpunkte und kommt nur noch auf 35,1 Prozent. Und dass, obwohl Günther vor der Wahl die Kommunen finanziell mit mehreren hundert Millionen Euro entlastet hat.
FDP verfehlt ihr Wahlziel deutlich
Die AfD schafft es mit 5,5 Prozent nicht, flächendeckend kommunalpolitisch Fuß zu fassen, in manchen Großstädten bekommen die Rechtspopulisten nicht mal eine eigene Liste zusammen. Die FDP verfehlt ihr Wahlziel deutlich, die Liberalen schaffen nach dem Debakel von 2013, als sie nach dem Auszug aus dem Bundestag nur fünf Prozent der Stimmen bei den Kommunalwahlen bekamen, nur einen Zuwachs von 1,7 Prozentpunkten. Partei-Chef Heiner Garg hatte mindestens auf eine Verdoppelung des Ergebnisses gehofft.
Doch die bürgerlichen Wähler stärken offenbar immer mehr die Grünen – gerade in den Großstädten gewinnen die hinzu, ergattern sogar einige Direktmandate. In Flensburg sind sie nur 0,6 Prozentpunkte hinter der CDU zweitstärkste Partei. Vor allem in den urbanen Zentren, in eher reicheren Stadtteilen, wo viele besser gebildete Bürger wohnen, gewinnen die Grünen. Die leicht steigende Wahlbeteiligung bei dieser Kommunalwahl hat da vielleicht einen Teil zu beigetragen, denn davon haben die Grünen bei anderen Wahlen häufig profitiert. Doch sind sie damit nun auch auf dem Weg, eine Volkspartei zu werden?
Der neue Bundesparteichef Robert Habeck, der noch bis Ende August Umweltminister in Schleswig-Holstein ist, glaubt nicht an das Konzept. „Diese Homogenitätsidee funktioniert so nicht mehr.“ Er wirbt aber sehr dafür, dass seine Partei Widersprüchliches verbindet – sprich auch in anderen lebensweltlichen Milieus stärker nach Stimmen fischt, etwa durch ein stärkeres sozialpolitisches Profil.
Dass dies mitunter von Nöten sein kann, hat Habecks Parteifreund Dieter Salomon just am Tage der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein erfahren müssen. Salomon war der erste grüne Bürgermeister einer Großstadt. Wohl nirgendwo wurde das alltägliche Leben so grün gefärbt wie in Freiburg im Breisgau. Am Sonntag ist er nach 16 Jahren krachend abgewählt worden, auch weil er sich zwar um die Entschuldung und den Ausbau des Nahverkehrs, aber zu wenig um bezahlbare Mieten gekümmert hat. Das zeigt: Der Weg zum sozialen Profil der Grünen ist weit – wie der Weg zur Volkspartei.
Info: Trotz Stimmenverlusten von 3,8 Prozent gegenüber 2013 bleibt die CDU in den Gemeinden, Städten und Kreisen Schleswig-Holsteins mit 35,1 Prozent laut vorläufigem amtlichen Endergebnis weiterhin stärkste politische Kraft.
Die SPD muss mit – 6,5 Prozentpunkten stark Federn lassen und kommt auf nur noch 23,3 Prozent.
Die Grünen erreichen 16,5 Prozent (+ 2,8), die FDP holt 6,7 Prozent (+ 1,7) der Stimmen.
Weitere Ergebnisse: Die Linke 3,9 Prozent (+ 1,4), Südschleswigscher Wählerverband (SSW) 2,3 Prozent (- 0,6). Die 2018 erstmals zu Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein angetretene AfD kommt auf 5,5 Prozent. Andere Parteien und Wählergemeinschaften erreichen 6,7 Prozent (- 0,5 Prozentpunkte).
An der Wahlbeteiligung hat sich gegenüber den letzten Kommunalwahlen nicht viel verändert: 2018 gingen lediglich 47,1 Prozent der wahlberechtigten Schleswig-Holsteiner zu den Urnen, vor fünf Jahren waren es 46,7 Prozent.
Kay Müller
Der Autor
Kay Müller ist Redakteur im Ressort Landespolitik des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages, Kiel