Grün in dritter Dimension

Grünflächen dienen in der Stadt traditionell zur Erholung. Zusätzliche Bedeutung gewinnen sie als natürlicher Puffer gegen die Folgen des Klimawandels. Sie wirken als Temperatursenke und Niederschlagsrückhalt. Mehr Stadtgrün wollen die Kommunen nun auch an Fassaden und auf Dächern wachsen lassen.

 

Parkanlagen mit viel Grün und Bäumen spenden nicht nur Schatten und Erholung. Speziell in urbanen Ballungsräumen wirken „grüne Lungen“ wie ökologische Luftfilter. In Stuttgart wurden zuletzt schon Mooswände im Kampf gegen den Feinstaub erprobt. Vor dem Hintergrund von zunehmenden Extremwetterlagen schieben sich Gründächer als Option für ein effizientes Regenwassermanagement zusätzlich in die Gedankenwelt von Stadtplanern.

Immer mehr Rathäuser im Bundesgebiet setzen klimaverbessernde Stadtgrünprojekte auf die Agenda. Aber auch Verbände wie der Bund deutscher Baumschulen (BdB), der Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (BDLA) oder der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportbau (BGL) pochen auf eine kontinuierliche Verbesserung des Stadtgrüns. In der Erfurter Erklärung „Grüne Infrastruktur in Stadt und Land – für Umweltgerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung“ im April 2017 richtete sich der BDLA mit einem Appell an die Politik, um klar zu machen, dass Grünstrukturen und Landschaftsräume durch städtische Verdichtung und gestiegene Nutzungsansprüche an Freiraum und Landschaft immer öfter beeinträchtigt werden. Im Mai 2017 präsentierte die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks das Weißbuch „Stadtgrün“.

Während die neue Umweltministerin Svenja Schulze sich in ihren ersten Amtsmonaten einen Überblick verschaffen muss, setzen die Kommunen bereits seit geraumer Zeit wegweisende Stadtgrünprojekte in die Praxis um. Eine durchdachte Gründachstrategie steht beispielsweise in der Stadt Hamburg schon seit längerer Zeit im Blickfeld, wie Projektleiterin Dr. Hanna Bornholdt sagt.

Als Landschaftsarchitektin arbeitet sie in der Hansestadt bei der Behörde für Umwelt und Energie (BUE), die auch die Abteilung für Landschaftsplanung und Stadtgrün einschließt. „Wir sind zuständig für die Sicherung und Entwicklung von Natur und Landschaft als Erlebnis- und Erholungsraum des Menschen, als Lebensraum für wildlebende Pflanzen und Tiere sowie die Erhaltung und Verbesserung der Qualität von Böden, Gewässern, Luft und Klima“, so Bornholdt. Für die Bewältigung dieser Aufgabe nutzt ihre Abteilung als Leitbild das Grüne Netz, das zwei sogenannte Grüne Ringe, zwölf Landschaftsachsen, 1300 Parkanlagen und 245.000 Straßenbäume konzeptionell und räumlich zusammenschließt.

Hamburg kann Vorbild sein

Seit Jahren laufen in Hamburg mehrere Projekte, um umwelt- und klimafreundliche Grünflächen zu fördern. Neben der Entwicklung der Landschaftsachse Horner Geest, dem Projekt „Regenwasser-Infrastrukturanpassung“ (RISA) und dem Fortsetzungsprojekt „Klimafolgenanpassung innerstädtischer hochverdichteter Quartiere“ (KLIQ) hat auch die Hamburger Gründachstrategie überregionale Aufmerksamkeit erlangt. „Das in Hamburg entwickelte und in der Praxis erprobte Instrumentarium der Gründachstrategie ist übertragbar und für andere Städte nutzbar“, bekräftigt Bornholdt.

Die Gründachstrategie kam auch durch die Wolkenbrüche in Gang, die Hamburg im Mai und Juni 2016 trafen. „Die mit dem Klimawandel häufiger auftretenden heftigen Niederschläge und die zunehmende Versiegelung städtischer Flächen führen dazu, dass die Kanalisation mehr Regenwasser aufnehmen muss, weil das Wasser nicht mehr im Gelände versickert“, erklärt Hanna Bornholdt. „Flach bis flachgeneigte Dachflächen können, wenn sie begrünt werden, die versiegelte Stadtfläche verringern und die Kanalisation entlasten und die Ausbaukosten des Entwässerungssystems senken.“

2016 lag der Anteil von begrünten Flachdachflächen in Hamburg laut einer Statistik des Landesbetriebs Geoinformation und Vermessung bei rund vier Prozent. Bornholdt und ihr Team hoffen auf Zuwächse: „Immerhin übertrifft diese Zahl den Anteil der Elektrofahrzeuge im deutschen Fahrzeugbestand.“ Das Potenzial der Gründächer sei jedoch bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

Ausreichend Stadtgrün ist unabhängig von der Größe und Bevölkerungsanzahl für jede Stadt von Bedeutung. Auch die Stadt Bottrop am Rande des Ruhrgebiets befasst sich intensiv mit Grünflächen, um das Klima und die Lebensqualität zu erhöhen. „Bottrop ist mit einem Grünflächenanteil von über 60 Prozent eine der grünsten Großstädte in Deutschland“, erklärt Andreas Pläsken, der Pressesprecher der Stadt.

Pläsken hat erst im Herbst 2017 das Buch „Grün – Schwarz – Grün“ veröffentlicht, in dem die Grünflächen der Stadt näher vorgestellt werden. Im Rahmen des Konzepts „Innovation City – Modellstadt Bottrop“ sind in den vergangenen acht Jahren zahlreiche Stadtgrünprojekte entstanden. „Wir haben zu Energieeffizienz, Klimaschutz und Grün in der Stadt zuletzt einiges ausprobiert und vorgedacht“, so Andreas Pläsken. Dass die Stadt eine Pionierrolle beim Thema Stadtgrün einnimmt, hat sich herumgesprochen. „Unser Oberbürgermeister Bernd Tischler ist ein international gefragter Fachmann“, bestätigt Pläsken.

Stadtgrün ist in Bottrop Chefsache

Im April 2018 reiste Tischler unter anderem nach Berlin, um bei zwei Veranstaltungen des Bundesumweltministeriums und des Bundesumweltamtes seine Erfahrungen zu schildern. Aktuelle Vorzeigeprojekte sind unter anderem der Umbau des innerstädtischen Innenhofs Trapez in eine grüne „Oase“ oder die Mooswände und Wasserverrieselungen in der Gladbecker Straße. Auch der Umbau des Kulturhofes in eine Grünlandschaft mit Café oder das Projekt „Wanderbäume“ zeugen von der Experimentierfreudigkeit der Stadtplaner. Die „Wanderbäume“ sind Bäume in beweglichen Pflanzkübeln, die von Mai bis Oktober für mehr Grün im Straßenbild sorgen.

In Fellbach vor den Toren der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart beschäftigen sich die Mitarbeiter des Stadtplanungsamts im Vorfeld der Remstal-Gartenschau 2019 ebenfalls intensiv mit dem Thema Stadtgrün. „Bei der Grünflächenplanung und den Anpflanzungen erfolgt ein Paradigmenwechsel“, kündigt Christoph Beyer, der Leiter des Stadtplanungsamtes Fellbach, an. „Es gibt nicht mehr den Stadt- oder den Alleebaum“, betont er. Mit seinem Team setzt er auf mehr Abwechslung bei der Bepflanzung. „Damit wollen wir unter anderem einem Schädlingsbefall vorbeugen, der sonst ganze Alleen zerstören könnte“, so Beyer.

Daneben werden auch Möglichkeiten genutzt, um Sträucher und Blühwiesen anzulegen, die Insekten auch Nahrung bieten. Christoph Beyer und sein Team möchten nicht mehr Pflanzen in die Fläche bringen, sondern die richtigen Pflanzen auswählen und diesen auch Raum zum Wachsen lassen. „Im Straßenbereich verwenden wir beispielsweise neues Pflanzensubstrat, das den Wurzeln mehr Platz bietet“, erklärt Beyer.

Die Gestaltung von Grünflächen und -dächern zählt in Fellbach bei neuen Bebauungsplanungen mittlerweile zum Standard. Neben dem Grünstreifen zwischen Rathaus und dem Familien- und Freizeitbad F3 wurden und werden vor der interkommunalen Gartenschau weitere Erholungsräume und Grünflächen geschaffen. „Im Weidachtal wird die ehemalige Kläranlage zu einem grünen Veranstaltungsort in der Nähe des Neckars umfunktioniert“, sagt Christoph Beyer. Die neuerliche Überarbeitung der Radwege und Wanderwege durch die Weinberge wirkt sich ebenso positiv auf das Stadtgrün und den Erholungseffekt im Unteren Remstal aus.

Andreas Scholz

Der Autor
Andreas Scholz, Schwäbisch Hall, ist freier Journalist