Zuggeräusche können deutlich reduziert werden – der Bundesverband SchienenNahverkehr hat Fahrzeugempfehlungen für tiefe Außenlärmgrenzwerte herausgegeben. Professor Markus Hecht empfiehlt, sie einzuhalten.
Lärmminderung auf der Schiene bedeutete bisher vor allem: Bau von Lärmschutzwänden aus dem freiwilligen Lärmminderungsprogramm der Bundesregierung – mit oft hässlichen (Graffiti-)Ergebnissen, die nicht jedem gefallen. Mit der vierten Ausgabe der Fahrzeugempfehlungen der Aufgabenträger in Deutschland wird jetzt aber endlich wieder ein neues Kapitel in der Bekämpfung des Schienenlärms eröffnet.
Gegenüber den fast 20 Jahren konstant gebliebenen Emissionsgrenzwerten für Schienenfahrzeugen der EU (TSI NOI) hat nun der Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN) erheblich tiefere Lärmgrenzwerte in Abstimmung mit der Schienenfahrzeugindustrie festgelegt. Das Vorgehen hat einige Besonderheiten. Die tiefen Lärmgrenzwerte müssen in den Ausschreibungen für neue Nahverkehrsnetze definiert werden. Die Verantwortung zur Lärmminderung liegt so nicht mehr wie bisher beim Bund, sondern neu bei den Ländern und deren Aufgabenträgern, die den Landesverkehrsministerien zugeordnet sind.
Weniger Lärm in absehbarer Zeit
Die tiefen Grenzwerte werden nicht nur für Neufahrzeuge, sondern auch für Gebrauchtfahrzeuge aufgeführt, die in neuen Verkehrsverträgen genutzt werden sollen. Das ist sehr weitsichtig, um rasch eine spürbare Lärmminderung zu erreichen: in einem Zeitrahmen von etwa zehn Jahren. Würden nur die Neufahrzeuge berücksichtigt, wäre der Zeithorizont etwa 40 Jahre. Da Lärmemissionen logarithmisch vom menschlichen Ohr empfunden werden, tritt der große Nutzen erst auf, wenn keine lauten Fahrzeuge mehr verkehren, wie der rund 20 Jahre dauernde Kampf um leisere Güterwagen gezeigt hat.
Lange Zeit war auch nahezu ausschließlich der Güterzuglärm auf der Schiene im Fokus. Nur für Güterwagen wurden deshalb in der Schweiz und Deutschland die TSI Noise-Werte für Altfahrzeuge verpflichtet — in Deutschland zehn Jahre später als in der Schweiz: durch das Schienenlärmschutzgesetz, in dem seit 13. Dezember 2020 keine Graugussklotzbremsen (GG-Sohlen) für Güterwagen mehr erlaubt sind. Die stattdessen verwendeten Verbundbremssohlen führen zu glatteren Oberflächen mit acht bis zwölf Dezibel gegenüber GG-Sohlen verringertem Rollgeräusch.
Dadurch ist nun eine neue Situation eingetreten: Der Schienengüterverkehr ist nicht mehr allein pegelbestimmend. Zudem läuft der Güterverkehr nicht mehr netzweit, sondern auf wenigen dominanten Linien, ebenso wie der Fernverkehr, während der Regionalverkehr auf dem ganzen Schienennetz präsent ist. Auf mehr als der Hälfte des Netzes ist der Regionalverkehr die alleinige Schienenverkehrsart, ohne Güter- oder Fernverkehr.
Selbst auf den 19 Lärmmonitoringstationen im DB-Netz, die alle an Mischverkehrsstrecken liegen, trägt der Personenverkehr zum Gesamtlärm spürbar bei. Auch in Andernach am Mittelrhein: An dem in Europa am stärksten belasteten Schienengüterverkehrskorridor vergrößert der Personenverkehr heute den Gesamtlärm um zwei Dezibel.
Kurvenkreischen muss nicht sein
Bei den Grenzwerten sind alternative Antriebe, insbesondere Fahrdrahtbatteriehybride oder Wasserstoff Brennstoffzellenantriebe, nicht explizit aufgeführt. Hier sind die Werte für Elektrofahrzeuge anzuwenden.
Der Bundesverband Schienennahverkehr empfiehlt, dass impuls- und tonhaltige Geräusche zu vermeiden sind. Letzteres wird nicht immer möglich sein, sollte dann aber mit den gängigen Impuls- und Tonhaltigkeitszuschlägen zum Beispiel nach DIN 45681:2005-03 berücksichtigt werden. Falls ein Verkehrsnetz enge Kurven hat, sollte das Kurvenkreischen thematisiert werden. Bei den im Nahverkehr sehr häufig verwendeten Jacobsdrehgestellen, bei denen ein Drehgestell zwei Wagenkästen trägt, ist das Kurvengeräusch oft sehr viel stärker als bei konventionellen Bauarten. Es gibt jedoch auch hier praktikable Lösungen zur Lärmminderung.
Die Weichen sind gestellt
Die tiefen Grenzwerte sind zwar mit der Industrie vereinbart. Sie sind aber keine Selbstläufer, sondern müssen in den Verkehrsverträgen festgelegt und verpflichtend gefordert werden. Der Vergabekalen- der für die einzelnen Linien und Netze ist öffentlich einsehbar.
Als weitere Unterstützung kann die Einhaltung tiefer Außenlärmgrenzwerte der Fahrzeuge auch in den Maßnahmenkatalog der Lärmaktionsplanung eingebunden werden. Die Lärmaktionsplanung ist ein gutes Hilfskonstrukt der EU, um langatmige nachhaltige Prozesse, wie es die Bahnlärmminderung ist, stetig zu verfolgen und zu unterstützen.
Jetzt geht es um die Umsetzung
Sobald die tiefen Werte bei den Fahrzeugen etabliert sind, kann die Schall 03-Richtlinie nachgeführt werden. Dann kann auch der Bau hässlicher Lärmschutzwände vermieden oder zumindest reduziert werden.
Die vielen Bürgerinitiativen gegen Schienenverkehrslärm sind Ausdruck des Lärmproblems, das beim Reaktivieren von Bahnlinien von vornherein Beachtung finden sollte. Ein leiser Schienenverkehr ist technisch und wirtschaftlich möglich. Die BSN-Empfehlungen ebnen diesen Weg, der dann auch verfolgt werden sollte.
Markus Hecht
Der Autor
Dr.-Ing. Markus Hecht ist Professor für das Fachgebiet Schienenfahrzeuge an der Technischen Universität Berlin.