Fuß vom Gas – was kann das bringen?

Forschung für eine erhitzte Debatte: Das Umweltbundesamt hat nach den Auswirkungen auf Hauptverkehrsstraßen jetzt Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit untersuchen lassen. Eine der Kernfragen: Wird Lärm durch das Tempolimit reduziert? Dazu gibt es Empfehlungen für Kommunen.

Verkehr; Gas; Tempo 30
Was geschieht, wenn (fast) überall Geschwindigkeit rausgenommen wird? Grundlage der UBA-Studie sind Verkehrssimulationen in Göttingen, Halle/Saale und Ravensburg. Foto: Adobe Stock/candy1812

Seit Langem vertraut und überwiegend akzeptiert: In der Bundesrepublik gilt innerhalb geschlossener Ortschaften seit 1957 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometer pro Stunde – damals wurde die Höchstgeschwindigkeit von 60 auf 50 km/h reduziert. Für das untergeordnete Straßennetz wurde die Straßenverkehrsordnung in den 1980er Jahren um die Tempo-30-Zone als flächenhafte Regelung ergänzt. Das führte dazu, dass auf dieser Grundlage in vielen Städten Tempo 30 für den überwiegenden Teil ihres Straßennetzes angeordnet wurde.

Die Diskussion um die Einführung einer innerörtlichen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h ist ebenfalls nicht neu. So haben sich seit Juli 2021 rund 1000 Kommunen mit 40 Millionen Menschen der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ angeschlossen.

Auch der „Zero pollution action plan“ der Europäischen Kommission sieht Lärm als einen Parameter der Gesundheitsgefährdung an. Mit dem Plan sollen die Gesundheit der europäischen Bevölkerung sowie die natürlichen Ökosysteme geschützt werden. Eines der Ziele ist es, die Anzahl chronisch verkehrslärmbelasteter Menschen um 30 Prozent zu reduzieren.

Hier setzt eine Metastudie des Umweltbundesamtes (UBA) an: „Umweltwirkungen einer innerörtlichen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h“. Sie kommt zu dem Schluss, dass Tempo 30 in der Mehrzahl der untersuchten Fälle zu wahrnehmbaren Lärmentlastungen führt und auch die Luftschadstoffbelastung senken kann, wenn es gelingt, die Qualität des Verkehrsflusses beizubehalten oder zu verbessern. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen vorliegen können, die sich auf die Ergebnisse auswirken.

Die Studie fasst verschiedene Beispiele zusammen, die in Messungen rund ein bis vier Dezibel (dB) niedrigere Mittelungspegel bestätigen. Zur Einordnung: Drei dB Minderung entsprechen einer Verkehrsmengenhalbierung. Zudem wurden nach der Anordnung von Tempo 30 niedrigere Maximalpegel und geringere Pegelschwankungen festgestellt.

Weniger Belastung durch Tempo 30

Im Rahmen des UBA-Forschungsvorhabens wurde anhand von drei Modellstädten untersucht, wie sich eine flächendeckende Ausweisung von Tempo 30 auswirkt. Im Fokus waren dabei die verkehrlichen Auswirkungen sowie die Umweltauswirkungen auf Lärm, Luftschadstoffe und den CO2-Ausstoß. Als Modellgebiete standen die Städte Göttingen, Halle/Saale sowie Ravensburg zur Verfügung.

Die verkehrliche Simulation berücksichtigte eine weitgehende Regelgeschwindigkeit von Tempo 30. Nur sehr wenige innerörtliche Verbindungen wurden mit Tempo 50 belassen.

In allen drei Beispielkommunen sinken die mittleren Reisegeschwindigkeiten, demzufolge steigen die Reisezeiten in den Städten um 8 bis 21 Prozent. Rückgängig kann dabei auch der Anteil des Pkw-Verkehrs am Modalsplit sein, wenn eine Verlagerung auf Fuß- und Radverkehre sowie den ÖPNV stattfindet. Insgesamt zeigte sich im Verkehrsmodell eine Auswirkung auf die Routenwahl: Strecken mit unveränderter zulässiger Höchstgeschwindigkeit werden zum Teil erheblich stärker belastet.

Die Lärmbelastung, die auf Grundlage des Verkehrsmodells simuliert wurde, sank in den drei untersuchten Städten deutlich. Zu erwarten ist eine Minderung von rund zwei bis drei dB, was der Wirkung von Tempo 30 statt 50 entspricht.

Je nach Modellstadt zeigte sich jedoch, dass die Wirkung für die meisten Betroffenen geringer ausfiel. Die erwartete Minderung trat nur in einer Stadt so deutlich ein, in zwei Städten war die Mehrheit der Betroffenen nur von Pegelminderungen zwischen zwei und null dB betroffen. Alle drei Städte erfuhren jedoch auch eine Zunahme der Pegel. Dabei wurde festgestellt, dass Pegelzunahmen von mehr als einem dB im Wesentlichen nur in Bereichen niedrigerer Pegel auftreten, dafür aber für hochbelastete Personen vornehmlich Pegelminderungen, je nach Stadt auch von über drei dB, festgestellt werden können.

Das Umfeld bestimmt die Wirkung

Neben dem Rückgang durch die geringeren Geräuschemissionen der Fahrzeuge bei Tempo 30 ist auch die mögliche räumliche Verkehrsverlagerung maßgeblich. Hier spielen die lokalen Gegebenheiten eine wesentliche Rolle.

In Städten, die eine Umfahrung mit höherer zulässiger Höchstgeschwindigkeit und wenig sensibler Randbebauung aufweisen, kann der Verkehr unter Umständen wirksam verlagert werden. In anderen Städten kann eine Verlagerung von Teilen des Verkehrs in untergeordnete Straßennetze auftreten. Es ist daher sinnvoll, das untergeordnete Straßennetz, für das bereits im Bestand Tempo 30 gilt, vor Einführung von „Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit“ auf mögliche Verkehrszunahmen zu untersuchen. Gegebenenfalls sollten entsprechende Begleitmaßnahmen zur Unterbindung von Schleichverkehren ergriffen werden.

Insgesamt zeigt die räumliche Betrachtung, dass durch Tempo 30 die Lärmbetroffenheit in allen drei Stadtgebieten abnimmt. Deutliche Abnahmen sind aber vor allem an den hochbelasteten Hauptverkehrsstraßen festzustellen. Zusammenfassend wird in den Schlussfolgerungen des Berichts festgestellt: „Aufgrund der überwiegend positiven Wirkungen ist es fachlich sinnvoll und empfehlenswert, Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit einzuführen“. Um jedoch „lokale, unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden, sollten die Kommunen das voraussichtliche Risiko von Verkehrsverlagerungen in das untergeordnete Straßennetz vorab grob prüfen und gegebenenfalls punktuelle Begleitmaßnahmen ergreifen.“

Ein weiteres, aktuell noch nicht abgeschlossenes Vorhaben des Umweltbundesamtes untersucht auf Bundesebene die Lärmminderungspotenziale typischer Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündel. Im (aus Lärmsicht) „optimistischen“ Szenario wird für die Jahre 2030 und 2040 dabei auch eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten innerorts auf 30 km/h berücksichtigt. Für Außerortsstraßen wird ebenfalls eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten (bei Autobahnen auf 120 km/h Stunde) untersucht. Es zeigt sich eine deutliche Abnahme der Betroffenheiten. Diese ist im Wesentlichen auf die Minderung der Fahrzeugemissionen durch sinkende Geschwindigkeiten zurückzuführen.

Bedeutet E-Mobilität weniger Lärm?

Die Elektrifizierung der Pkw-Flotte spielt für den Rückgang der Fahrzeugemissionen jedoch nur eine untergeordnete Rolle, wie der Vergleich zu einem Szenario mit deutlich geringerer Elektrifizierung zeigt. Dies ist unter anderem damit zu begründen, dass Elektrofahrzeuge durch Geräuschemissionen des sogenannten AVAS (Acoustic Vehicle Alert System) auch bei Geschwindigkeiten bis zu 20 km/h eine relevante Geräuschemission aufweisen. Ab einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h dominieren die (bei Elektrofahrzeugen weitgehend unveränderten) Rollgeräusche.

Wirksam kann für die Minderung der Geräuschemissionen innerorts jedoch die Elektrifizierung der Lkw Flotte sein. Hier können bei städtischen Geschwindigkeiten Minderungen von rund fünf bis zehn dB erwartet werden.

Insgesamt zeigen die Forschungsergebnisse und bisherige Praxiserfahrungen an realen Hauptverkehrsstraßen, dass Tempo 30 ein wirksames Mittel zur Lärmminderung sein kann. Hierbei geht die Wirkung noch über die rechnerische Minderung des Mittelungspegels hinaus: Geringere Pegelspitzen und gleichmäßigere Pegelverläufe lassen ein geringeres Belästigungspotenzial erwarten.

Gleichzeitig zeigen die Untersuchungen in den Modell- städten aber auch, dass eine pauschale Anordnung von Tempo 30 innerorts zu einer Verlagerung der Verkehre in bisher wenig belastete Bereiche führen kann. Die Belastung wird insgesamt gleichmäßiger, was dazu führt, dass not- wendige Lärmminderungsmaßnahmen sich auf größere Bereiche als bisher erstrecken müssten.

Mirco Bachmeier


Der Autor

Dipl.-Ing. Mirco Bachmeier ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Lärmkontor GmbH in Hamburg.