Frauen gehen in Führung

Nach wie vor haben nur wenige Frauen kommunale Spitzenpositionen inne. Politikberaterin Hanne Weisensee benennt in ihrem Beitrag die Qualität weiblicher Führungsarbeit. Sie zeigt auf, was erforderlich ist, damit Veränderungen in Gang kommen, und appelliert an die Frauen, sich Führung zuzutrauen.

Auch zu Beginn des Jahres 2020 ist die Anzahl von Frauen in kommunalen Führungspositionen beschämend gering: Zehn Prozent Bürgermeisterinnen und noch weniger Oberbürgermeisterinnen und Landrätinnen deutschlandweit sprechen eine deutliche Sprache. Der Anteil von Frauen im Oberbürgermeisteramt ist seit 2008 von 18 Prozent auf heute acht Prozent gesunken. In Bayern, wo im März Kommunalwahlen anstehen, gibt es bislang Oberbürgermeisterinnen in Bayreuth, Ansbach und Rosenheim. Eine davon tritt nicht wieder an. Allerdings fordern in München, Nürnberg, Augsburg oder Regensburg starke Kandidatinnen die männlichen Amtsinhaber und OB-Kandidaten heraus.

In den kommunalen Unternehmen sieht es deutschlandweit ebenfalls nicht gut aus. Hier finden sich knapp 20 Prozent Frauen in Spitzenfunktionen, vor allem im Bereich Gesundheit und Soziales, im Kulturbereich und bei den Krankenhäusern. Stadtwerke, Abfall- und Entsorgungswirtschaft oder Verkehrsbetriebe kommen in vielen größeren Kommunen noch ganz ohne Führungsfrauen aus. Lediglich auf der Dezernatsebene in den Großstädten ist der Anteil an Frauen in den letzten Jahren auf 29 Prozent gestiegen.

Gerade diese Ebene ist personelles Reservoir und traditionell ein Sprungbrett für das höchste Amt in der Kommune. Schon 2015 forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, eine Initiative für ein „Leitbild Frauenförderung“ in den Kommunen, um die dringend benötigte Kompetenz, Sichtweise und Lebenserfahrung von Frauen in und auf Kommunen endlich angemessen einbeziehen zu können. Ein Appell, der ein weiteres Mal von Parteien und Entscheidern freundlich zur Kenntnis genommen wurde – ohne dass sichtbare Taten gefolgt wären.

Perspektivwechsel

Führungsfrauen erleben ihr eigenes Agieren als Rathauschefin oft als Kulturbruch mit bislang üblichen Vorgehensweisen. So hat eine neue Bürgermeisterin ihren Bauhof angewiesen, künftig den Grünschnitt am Straßenrand nicht mehr montags als Erstes zu machen, sondern stattdessen alle Kinderspielplätze auf Sauberkeit und Nutzbarkeit zu kontrollieren. Nicht der Blick der Autofahrer, sondern der Aufenthaltsbereich von Kindern und Müttern (bzw. heute immer mehr auch von Vätern und Großeltern) wurde neue Priorität. Ein kleines Beispiel für den Perspektivwechsel.

Ähnliches gilt für die Frage, welchen Zugang Menschen mit Kinderwagen (oder Rollator, Gehhilfe bzw. Gehbehinderung) zu öffentlichen Bereichen wie Geschäften, Cafés und Ämtern haben. Oder wie viele Bänke in einer Kommune für Ältere aufgestellt sind, sodass sie ihre Wege auch zu Fuß erledigen können. Wer selbst Betreuung in der Familie ausführt, entwickelt einen anderen Blick auf das kommunale Zusammenleben und setzt andere Prioritäten.

Kommunikation

Mit Blick auf die Führungsfunktion von Frauen und ihr Führungsverhalten als Chefin lässt sich feststellen, dass die Kommunikation in Kommune und Verwaltung anders läuft und dass die Machtgestaltung mit anderen Inhalten und damit anderen Verhaltensweisen gefüllt wird. Auftreten und Status spielen eine andere Rolle und werden anders bewertet.

In der Kommunikation gilt für viele Amtsinhaberinnen, dass sie stärker dialog- und beteiligungsorientiert innerhalb ihrer Verwaltung führen. Das Mittel heißt „Fragen statt anweisen“. Die Bereitschaft für Beratung, Diskussionen und Partizipation ist anders ausgeprägt. Eine Bürgermeisterin formuliert es so: „Vieles kann man gar nicht selber machen. Je größer die Kommune, desto stärker ist alles spezialisiert. Man muss sich im Amt auch beraten lassen. Das können Frauen besser als Männer. Frauen sagen da leichter, hier will ich Ihr Know-how, Ihren Input. Denn entscheiden muss ich es ja sowieso selber.“ Für manchen Dezernenten oder Amtsleiter kann das im ersten Moment eine Überforderung darstellen.

Eine andere Amtsinhaberin erzählt: „Ich dachte in den ersten Wochen, ich frage und die Mitarbeiter beraten mich und sagen, was geht und was nicht. Das haben sie aber nicht gemacht. Das waren sie nicht gewohnt. Ich war das Alphatier. Von mir wurde eine Ansage erwartet. Das war dann ein Kulturbruch, meinen Stil einzuführen.“

Weil zu dieser Art Führung aber auch Vertrauen und Wertschätzung als Grundlage gehören, sehen Amtsinhaberinnen eine Aufgabe darin, die Mitarbeiterschaft nach Stadtrats- oder anderen Gremiensitzungen direkt zu informieren. Nicht erst aus Zeitung oder Protokoll sollen die wesentlichen Informationen kommen, sondern von der Chefin selbst. So können Fragen gestellt und Hintergründe erläutert werden. Strukturen wie verbindliche Jour Fixes, aber auch Teilzeitmodelle für Führungskräfte und Homeoffice gelten als zentral, um neue Routinen einzuführen und Strukturen zu verändern.

Macht und Status

Kommunikation nach innen verknüpft sich mit der Macht- und Statusfrage. Gerade in meist noch männlich dominierten Gremien wie Stadtrat oder Aufsichtsräten kommunaler Unternehmen wird das deutlich. Hier erleben die kommunalen Führungsfrauen oft einen Stil, in dem es zuerst um Macht und Status und dann erst um die Inhalte geht: Wer hat das Sagen? Wer spricht zuerst? Wie groß sind Dienstwagen, Budget und Personalverantwortung? Mit Fragen zu führen, wird dort oft noch als Unsicherheit und nicht als Informationsgewinn gewertet.

Machtspiele und -gesten erleben gerade neu gewählte Amtsinhaberinnen als überflüssig, zeit- und energieraubend oder sogar als übergriffig. Mit einem Augenzwinkern erzählt eine Oberbürgermeisterin: „Du musst die Spielregeln kennen, wenn du weiterkommen willst. Ich wunderte mich am Anfang, dass Dezernenten und Amtsleiter häufig in meinem Büro auftauchten, obwohl wir bereits einen intensiven Austausch hatten. Dann begriff ich, dass das ein Spiel war, in dem ausgehandelt wurde, wer den ,besten Draht‘ zur Oberbürgermeisterin hat. Gut so, dachte ich, denn nun war ich in dieser Position akzeptiert.“

Eine andere sagt: „Wenn ich wissen will, wie der Unternehmer oder Gesprächspartner aufgestellt ist, schaue ich vorher auf seine Website, muss mich aber nicht erst lange mit ihm darüber austauschen. Das verbraucht doch nur kostbare Zeit.“

Gleichzeitig erleben viele Bürgermeisterinnen mit Fortschreiten ihrer Führungsfunktion in den kommunalen Gremien, dass die Sozialisation im „weiblichen Kommunikationsverhalten“, nämlich fragen, zuhören, Interessen zusammenbringen und diese ausgleichen, gerade bei den heute zunehmend unsicheren Mehrheitsverhältnissen enorm hilft, um zu Entscheidungen zu kommen. Moderationsfähigkeit wird immer zentraler im politischen Geschäft.

Auch den Bürgern gegenüber zahlt sich dieses Verhalten aus. Zuhören, Informationen mitnehmen und daraus Politik gestalten, verkörpert den aktuellen gesellschaftlichen Wunsch nach Beteiligung und Transparenz. Barbara Stamm, ehemalige Landtagspräsidentin in Bayern, hat schon zu Beginn ihrer politischen Laufbahn Runde Tische in Kommune und Land initiiert, als dieses Format noch unüblich war. So konnten Interessenskollisionen frühzeitig kommunikativ bearbeitet und langfristig gelöst werden. Führungsfrauen knüpfen Macht weniger an Dominanz oder Statussymbole, sondern richten sie stark an dem Begriff der Gestaltungsmacht aus. Macht ist demnach ein Instrument, um Kommune und Stadtgesellschaft zu entwickeln – und nicht, um sich selbst zu inszenieren.

Rahmenbedingungen und Strukturen

Generell müssen sich gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen wie Betreuungsmöglichkeiten, Akzeptanz von Frauen in exponierten Führungsfunktionen und Arbeitsweisen und Arbeitszeiten ändern. Hierzu zählt beispielsweise, die Präsenzkultur zu überwinden und zu einer Ergebniskultur zu kommen. Oder die Zeiten, Settings und Abläufe von Gremiensitzungen zu flexibilisieren und zu straffen.

Gleichzeitig muss über die Ausgestaltung des Bürgermeisteramtes gesprochen werden: Verfügbarkeit rund um die Uhr, ständige Sichtbarkeit in Öffentlichkeit und Medien, Absicherung nach Ausscheiden aus dem Amt sowie aggressiver werdende Angriffe auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind nur einige der zu diskutierenden Punkte. Hier sind die Parteien, politischen Vereinigungen und die Städte- und Gemeindetage gefordert.

Auch beim Thema Parität in politischen Gremien und auf Listen ist politisches (und juristisches) Umdenken und Handeln nötig. Macht wird geteilt werden müssen, um überhaupt noch qualifizierten politischen Nachwuchs, egal ob Frauen oder Männer, zu gewinnen.

Vorbilder und Talente

Vorbilder müssen sichtbar gemacht werden: Frauen müssen sehen können, dass das Bürgermeisteramt eine reelle Berufsoption für sie ist. Das gelingt nur, wenn Bürgermeisterinnen als Berufsgruppe sichtbar werden. Auf der kommunalen Ebene gibt es einen riesigen Nachholbedarf an weiblichen Rollenvorbildern auf der Spitzenebene.

Weibliche Talente müssen gesucht, angesprochen und gefördert werden. Parteien, aber auch ihre kommunalpolitischen Vereinigungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sind gefordert, Potenziale von engagierten Frauen zu identifizieren und sie konkret anzusprechen. Das Wissen, auf dem Weg ins Amt oder Mandat kontinuierlich unterstützt zu werden, hilft in der Regel, Hürden zu überspringen. Selbst wenn Frauen bereits in Ehrenämtern öffentlich aktiv sind, ist für sie der Schritt in die politische Öffentlichkeit nichts Selbstverständliches. Dass sie mit ihren Ehrenämtern schon Stadtpolitik gestalten, ist Frauen oft gar nicht bewusst.

Tipps von Amtsinhaberinnen

Führungsfrauen mit Amt, Mandat und Macht raten potenziellen Kandidatinnen: „Traut euch, habt den Mut!“ Das heißt, dass Frauen stärker von der Aufgabenorientierung zur Führungsorientierung kommen müssen. Zudem ist eine solide Vorbereitung auf das Amt zentral: „Lernt Gremienarbeit!“ Das heißt, Frauen sollen in politische und gesellschaftliche Ehrenämter gehen. Amtsinhaberinnen empfehlen, in die erste Reihe zu drängen. Gesicht zu sein, Verantwortung zu übernehmen und Führungsfähigkeit zu üben.

Damit verbunden ist das Netzwerken. Hier wird ein großer Nachholbedarf im Vergleich zu den männlichen Kollegen moniert. Frauen sollen sich erlauben, ihre vielfältigen Kontakte strategisch aufzubauen, zu nutzen und sich für das Netzwerken Zeit zu nehmen. Zitat einer Bürgermeisterin: „Frauen gehen zum Termin. Arbeiten. Und gehen wieder heim. Meist haben sie noch viele andere Pflichten. Das Netzwerken bleibt dabei auf der Strecke.“ Für Führungskarrieren braucht es Verbündete auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Diese zu gewinnen, ist eine strategische Aufgabe. Ein tragfähiges Netzwerk unterstützt dabei.

Appell

Es bleibt nur, an alle zu appellieren: An die Frauen, dass sie sich Führung zutrauen und Macht einfordern. An die Kommunalverwaltungen, dass sie sich in Strukturen, Kommunikation und Personalentwicklung modernisieren und auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren. An die Parteien und politischen Vereinigungen, dass sie Macht zwischen Männern und Frauen angemessen teilen und vom Lippenbekenntnis ins Handeln kommen. Und an die Gesellschaft, dass sie sich wieder bewusst wird, dass die Kommunen und die Demokratie Menschen brauchen, die sich für das Allgemeinwohl und das Gemeinwesen verantwortlich einsetzen.

Hanne Weisensee

Die Autorin
Dr. Hanne Weisensee betreibt das Beratungsbüro Weisensee Politikcoach in Berlin und Bamberg

Literatur: Bürgermeisterin werden – Fahrplan ins Amt. Praxistipps und Coachingtools, Hanne Weisensee, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart, 2019, 182 S., 39 Euro (ISBN 978-3-415-06536-9)

Die Politikberaterin Hanne Weisensee will Frauen bei ihrer Kandidatur für das Bürgermeisteramt unterstützen. Ihr Ratgeber bietet eine Klärungshilfe für die Entscheidungsphase und beleuchtet zentrale Aspekte, Fallstricke und Chancen für Frauen im Wahlkampf und im ersten Jahr im Amt. Der Leitfaden bietet einen Mix aus bewährten Coachingmethoden, Strategien und Praxistipps sowie Hintergrundinformationen aus Wissenschaft, Medien und politischer Debatte. So können potenzielle Kandidatinnen die Herausforderungen Schritt für Schritt angehen und sich einen individuellen Fahrplan ins Amt zusammenstellen. Die drei zentralen Themen des Buchs sind Kandidatur („Den entscheidenden Schritt wagen“), Wahlkampf („Die optimale Vorbereitung – der eigene Masterplan“) und Neu im Amt („Das erste Jahr“).