Forschung zu Infrastruktursystemen

Windkraft; Windrad; Meer; Strom; Infrastruktursysteme
Im Norden Deutschlands wird immer mehr Strom produziert, der in den Süden transportiert werden muss: eine technische Herausforderung mit dem Potenzial für Stromausfälle. Foto: Adobe Stock/Mike Mareen

Die Welt ist spürbar verletzlich(er) geworden: durch den Klimawandel, Terroranschläge, Pandemien, Cyberangriffe. Essenziell dabei sind die Komplexität und die Interdependenz der Infrastruktursysteme. Das alles untersuchen junge Forscher in Darmstadt – Professor Jens Ivo Engels stellt ihr Graduiertenkolleg vor.

Im Graduiertenkolleg KRITIS an der Technischen Universität Darmstadt forschen seit 2016 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Kritische Infrastrukturen in Städten. Das Kolleg wird bis 2025 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und fördert jeweils zwischen zwölf und fünfzehn, zeitweise bis zu dreißig Doktorandinnen und Doktoranden. Sie gehören elf unterschiedlichen Fachgebieten an. Mit dabei sind Informatikerinnen und Philosophen, Planungswissenschaftlerinnen und Historiker, Bauingenieurinnen und Soziologen.

Als wir die Gründung des Kollegs vorbereiteten, kamen Kritische Infrastrukturen gerade in der öffentlichen Debatte an. Das Bundesinnenministerium hatte 2009 seine erste „Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ herausgebracht. Im Bundestagswahlkampf 2016 wurde erstmals mit diesem Thema in einer breiteren Öffentlichkeit geworben.

Seither ist das Thema auch vielen Laien bekannt – und es ist Allgemeinwissen geworden, dass Kritische Infrastrukturen besonders geschützt werden müssen. Ereignisse wie Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag, auf Kommunen und Kreise sowie die Flutkatastrophe im Ahrtal haben das Bewusstsein für die Verletzlichkeit der Infrastrukturen stetig erhöht.

Zudem hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine das Problem von Abhängigkeiten im Energiesektor gezeigt. Zugleich sehen wir hier die großen Resilienzgewinne durch die Nutzung digitaler Infrastruktursysteme: Die 2020 in der Ukraine eingeführte Verwaltungsapp „Dija“ ermöglicht es dem Staat, viele Verwaltungsfunktionen trotz der Angriffe auf Regierungsgebäude aufrechtzuerhalten.

Infrastruktursysteme: vielfältige Gefahrenpotenziale

Unser Kolleg betreibt Grundlagenforschung. Das heißt, dass wir in der Regel keine fertigen Lösungen erarbeiten. Aber wir beschäftigen uns mit grundlegenden Konzepten wie Resilienz und Vulnerabilität. Zudem identifizieren wir Herausforderungen und Problemfelder.

Derzeit sehen die meisten Experten großen Handlungsbedarf in mindestens zwei Bereichen. Zum einen verweisen sie auf den Klimawandel, der große Auswirkungen auf unsere Infrastruktur hat: Klimatische Veränderungen bedrohen die Funktionsfähigkeit bestehender Systeme. Das zeigte die Flutkatastrophe im Ahrtal in krasser Weise. Doch auch die steigenden Temperaturen allein können ohne akute Katastrophe Infrastrukturen in Mitleidenschaft ziehen. Man denke an so banale Vorfälle wie Straßenbelag, der in der Sommerhitze aufweicht, oder an die Kühlung von Internetknoten und Serverräumen, die eine große Herausforderung darstellt.

Zum anderen erfordert der Umbau hin zu CO2-neutraler Energieversorgung einen fundamentalen Umbau der Energienetze. Die Ungleichgewichte zwischen der Produktion im Norden Deutschlands und dem hohen Verbrauch im Süden stellen eine technische Herausforderung mit dem Potenzial für Stromausfälle dar. Das heißt: Auch und gerade die Kritischen Infrastrukturen unserer Städte und Gemeinden benötigen eine (Klima-)Anpassungsstrategie.

Verkehr; Energie; Versorgung; Fracht; Transport; Schiff; Zug; LKW; Infrastruktursysteme
Verkehr, Energie, Versorgung: Kommunen sollten darauf reagieren, dass vieles über Verwaltungsgrenzen hinaus verbunden ist. Foto: Adobe Stock/enanuchit

Eine weitere große Herausforderung ergibt sich daraus, dass die einzelnen Infrastruktursysteme immer stärker miteinander verbunden und integriert sind. Die Forschung hat dieses Thema erst vor wenigen Jahren identifiziert, nachdem man sich über die Bedeutung sogenannter kaskadierender Ausfälle klar geworden war.

Man spricht in der Forschung von „Systems of Systems“, also von Systemzusammenhängen über Einzelsysteme und Sektorgrenzen hinweg. Das erfordert vernetztes Denken. Beispielsweise sind mittlerweile so gut wie alle Infrastruktursysteme auf Steuerung durch Informations- und Kommunikationstechniken angewiesen. Die wiederum benötigen zwingend eine funktionierende Stromversorgung.

Systemintegration hat nicht nur eine technische, sondern auch eine organisatorische Dimension. Oftmals sind behördliche Zuständigkeiten entlang traditioneller Sektorengrenzen – etwa Verkehr, Energie oder Versorgung – und räumlich entlang von Verwaltungsgrenzen organisiert. Hinzu kommen unterschiedliche Kompetenzen auf den einzelnen Stufen der Verwaltungshierarchie (Gemeinde, Regierungsbezirk, Land, Bund). Die technische Realität der komplexen und vernetzten Systeme entspricht dem aber oft schon lange nicht mehr. Die Folge sind Unklarheiten bei der Zuständigkeit und Regulierungsprobleme. Diese erschweren auch den Schutz der Kritischen Infrastruktur.

Informell zusammenarbeiten

Es gibt mittlerweile viele Versuche, die jeweils betroffenen Stakeholder zumindest informell an einen Tisch zu holen. Dies ermöglicht es, auch ohne Änderung formeller Zuständigkeiten Risiken zu identifizieren oder gemeinsame Strategien zu entwickeln. Es setzt allerdings voraus, dass die Betroffenen sich darauf einlassen.

Kommunen könnten in diesem Bereich die Initiative ergreifen – und auf das niederländische Zentrum NGinfra als Inspirationsquelle zugreifen. NGinfra ist eine Kooperation zwischen der TU Delft und unterschiedlichen Behörden sowie Infrastrukturbetreiber. Auch das Graduiertenkolleg KRITIS hat mehrfach mit NGinfra kooperiert.

Jens Ivo Engels


Der Autor

Dr. Jens Ivo Engels ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Darmstadt und Sprecher des Graduiertenkollegs KRITIS.