Es geht um das Ganze

Dem energieeffizienten Bauen und Sanieren ist vor dem Hintergrund der politisch gesetzten Klimaschutzziele und dem Jahrhundertprojekt Energiewende in der Kommune hohe Priorität einzuräumen. Um einen möglichst großen Effekt zu erzielen, sollte dabei quartiersbezogen gedacht werden – so wie in Herbolzheim und Aichtal.

Herbolzheim (rund 10 000 Einwohner, Kreis Emmendingen), Nicht-Baden-Württembergern vielleicht bekannt wegen der unmittelbaren Nähe zum Europapark Rust, ist eine typische Breisgaustadt: In ihrem Zentrum geben augenfällige öffentliche und private Gebäude, teilweise mit auffällig hohen Kellersockeln, Zeugnis vom wirtschaftlichen Aufschwung in den verschiedenen Epochen in der seit jeher wohlhabenden Region am Oberrhein. Der großzügige Marktplatz ist ein „Produkt“ der Neuzeit: er entstand in den 1980er-Jahren im Zuge der umfassenden Stadtsanierung nach dem Abbruch von Fabrikgebäuden im Zentrum der Stadt.

Vorreiter in Sachen Klimaschutz

Stolz ist man in der Kommune nicht nur auf die schmucken Gebäude im Zentrum und die reiche Geschichte, sondern auch darauf, dass man sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz sehen kann. Schon in den 1990er-Jahren wurde auf der Gemarkung der Stadt der Bau einer Windkraftanlage ermöglicht, in der Folgezeit entstanden eine sonnennachgeführte Solaranlage sowie Nahwärmenetze – mittlerweile sind es fünf. Im Außenbereich dienen Wasserkraftanlagen der umweltfreundlichen Stromversorgung und nachhaltig erzeugte Elektrizität kommt auch Fotovoltaikanlagen auf den Dächern kommunaler Gebäude.

Die im Rathaus herrschende Überzeugung, dass eine zukunftsfähige Energieversorgung und die Förderung der Energieeffizienz zu den zentralen kommunalen Aufgaben zählen, schlägt auch bei der jüngsten, seit 2011 laufenden städtebaulichen Sanierung für den Bereich des Stadtkerns mit der Hauptstraße durch. Deren grundlegende Ziele sind die Stärkung und Belebung des Stadtzentrums, die Umnutzung von Gewerbebrachen, die Erneuerung von öffentlichen Gebäuden und die bauliche Erneuerung der Erschließungsinfrastruktur. Zudem sollen Impulse für Erneuerungsmaßnahmen privater Gebäude und damit die Sicherung des Wohnungsbestandes gegeben werden. Rund zehn Hektar umfasst das Sanierungsgebiet „Stadtkern/Hauptstraße“, der bewilligte Förderrahmen liegt bei 5,1 Millionen Euro, an Finanzhilfen werden 3,1 Millionen Euro gewährt.

Schon der Startphase des Sanierungsverfahrens zeigte sich, dass ein wesentliches Anliegen bei der Entwicklung zukunftsfähiger Strukturen darin bestehen muss, auch in energetischer Hinsicht zeitgemäße Standards zu erreichen. Dieses sachgerecht auf den historischen Stadtkern mit seinen alten und oftmals auch denkmalgeschützten Gebäuden zu übertragen, ist ein Ziel des „Integrierten Energetischen Quartierskonzepts“, das die in Stuttgart ansässige Stadtentwicklungsgesellschaft STEG für das Sanierungsprojekt entwickelte und dessen Umsetzung sie auch verantwortlich begleitet. Das Konzept betrachtet nicht nur die gebäudebezogenen energetischen Aufgaben, sondern zeigt auch Ansätze zur Nahwärmeversorgung und zum Einsatz regenerativer Energieträger auf. Darüber hinaus zielt es auf die Beteiligung lokaler Akteure und den Aufbau von Know-how auf deren Seite – beides Faktoren, die den Erfolg eines (energetischen) Sanierungskonzepts mit einem derart umfassenden Ansatz entscheidend mitbeeinflussen.

Ehrgeizige Ziele

Schon sehr bald nach dem kommunalpolitischen Beschluss für das Sanierungsprojekt erfolgte eine erste Information der Bürger im Rahmen der Auftaktveranstaltung. Dem folgte eine städtebauliche und energetische Bestandserhebung. Und 2013 gab es den ersten „Herbolzheimer Energietag“. Er brachte private Bauherren mit Fachleuten für Bauen, Energetik und Finanzierung ins Gespräch. Der Erfolg der Veranstaltung ermutigte dazu, diesen Weg der Bürgerinformation weiterzugehen. Denn die Ziele sind ehrgeizig: am Ende will man den Energiebedarf für Wärme ausgehend vom Stand des Jahres 2011 um rund 50 Prozent gesenkt haben, den Strombedarf um 40 Prozent.

Mit seinem Ortskern-Sanierungsprojekt nähert sich Herbolzheim der Ziellinie, bis 2020 ist der Projektrahmen zeitlich gesteckt. Baulich wurde schon vieles erreicht, vor allem bei öffentlichen Gebäuden. Im Bereich der privaten Erneuerungsmaßnahmen müssen die Impulse, die durch Bürgerinformation, Beratung und auch Fördermittel gegeben werden, noch stärker wirken. Letztendlich geht es nicht nur um den Klimaschutz als Weg zur Drosselung der Erderwärmung, sondern auch um das gesellschaftliche Klima in der Stadt. Ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Nutzungen im Stadtkern soll alle Bevölkerungsgruppen ansprechen und unterschiedliche Lebensgeschwindigkeiten zulassen. Die geordnete Verkehrsführung und die Aufwertung des öffentlichen Raumes zielen auf eine hohe Aufenthalts- und Lebensqualität für die Bürger. Und es geht auch um die gesicherte Versorgung mit Wohnraum in der Innenstadt. Wenn es gelingt, alleinstehenden älteren Eigentümern zu einem passenden Altersruhesitz zu verhelfen und sie zu ermuntern, die ihnen mittlerweile zu groß gewordenen Wohngebäude dem Markt zu Verfügung zu stellen, bedeutet das auch eine Aktivierung des Potenzials für den Wohnungsmarkt im Stadtzentrum. In Verbindung mit dem Anliegen des Quartierskonzepts, eine dezentrale, erneuerbare Energieversorgung in der Hand der Bürger und der Kommune zu etablieren, fördert all das die Identifikation der in Herbolzheim lebenden Menschen mit ihrer Stadt und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Auch Aichtal drängt energetisch nach vorn

„Die Energiethemen vor Ort lebendig zu machen, das Nachdenken über den Umgang mit Energie zu anzuregen und das Umdenken zu fördern“ – das war das Ziel einer Informationsveranstaltung im Rahmen der Energiewendetage 2018 im September dieses Jahres im Aichtaler Stadtteil Neuenhaus. Wie auch Herbolzheim hat sich die knapp 20 Kilometer südlich der baden-württembergischen Hauptstadt Stuttgart im Landkreis Esslingen gelegene Stadt Aichtal die Aufgabe gestellt, energetisch auf einen zeitgemäßen Stand zu gelangen. Daher erhielten im Jahr die STEG Stadtentwicklung und das Institut für Sozial- und Umweltforschung Dr. Kleinmann (ISUF) aus Weiskirchen den Auftrag, ein integriertes Quartierskonzept zur energetischen Stadtsanierung für den Bereich „Stadtkern Neuenhaus“ zu entwickeln.

Auf dessen Basis werden in den nächsten fünf Jahren Sanierungsmaßnahmen umgesetzt. Neben der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes mit seinen alten, teilweise unter Denkmalschutz stehenden Bauten geht es um den schrittweisen Umbau der Energieversorgung im Quartier auf nachhaltige, emissionsarme Lösungen. Mit der Quartierssanierung verbunden ist zudem das Ziel, die bestehenden Gebäude im Hinblick auf die Wohnungszuschnitte und die Barrierefreiheit heutigen Bedürfnissen beziehungsweise Standards anzupassen. Viele der großen Gebäude werden heute nur noch von ein oder zwei Personen bewohnt und haben das Potenzial, zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums im Ortskern beizutragen.

Handlungsbedarf zeigt sich darüber hinaus auch bei den öffentlichen und privaten Verkehrsflächen. Denn breite und triste Straßenräume prägen heute noch das Neuenhauser Ortsbild. Das Sanierungskonzept sieht vor, Überdimensioniertes zu reduzieren, die Verkehrsflächen attraktiver für Fußgänger und Radfahrer zu machen und dadurch die Aufenthaltsqualität im Zentrum zu verbessern. Entsiegelungsmaßnahmen und Anlagen zur Regenwasserversickerung sollen dabei die ökologische Qualität der Flächen erhöhen, konsequente Begrünung der Ortsmitte einen Beitrag zur Bindung von CO2 leisten. Für einen Ort, der am Rande des Naturparks Schönbuch, der grünen Lunge des mittleren Neckarraums, liegt, eine selbstverständliche Verpflichtung.

Klimaschutzengagement konsequent fortgesetzt

Das Sanierungsprojekt im Stadtteil Neuenhaus mit seiner Betonung auf Energieeffizienz und Ökologie ist die konsequente Fortsetzung des Aichtaler Klimaschutzengagements. Bereits seit zwölf Jahren betreibt die Stadt ein kommunales Energiemanagement, schaut darauf, im Bestand ihrer eigenen Gebäude und Anlagen die Energieeffizienz zu erhöhen, so zum Beispiel durch die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik oder die Energieerzeugung im Neuenhauser Hallenbad mit einem hoch effizienten Blockheizkraftwerk. Im Bereich der Wärmeversorgung für den privaten Sektor und die Unternehmen hat man mit der sukzessiven Erdgaserschließung in den Stadtteilen Grötzingen und Aich einen Beitrag zur Klimagasreduzierung geleistet.

Wenngleich in Aichtal und dessen Stadtteil Neuenhaus bei den Sanierungszielen die Betonung auf dem Thema „Energieeffizienz“ liegt, geht es hier wie auch in Herbolzheim um das Ganze: Energetisch zeitgemäß entwickelte Stadtquartiere bieten weit mehr als nur den sparsamen Umgang mit Strom und Wärme und die nachhaltige Erzeugung dieser Energien. Sie erhöhen ihr wirtschaftliches Potenzial durch neue räumliche Möglichkeiten für Handel und Gewerbe und die dezentrale Energieversorgung in der Hand lokaler Akteure, stärken mit gemischten Wohnformen für junge wie alte Bürger den gesellschaftlichen Zusammenhalt und erfinden sich als attraktive Wohnstandorte und Tourismusziele neu.
Wolfram Markus

Info

Herbolzheim
Die Stadt gilt als moderner Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungsstandort und verfügt über eine gute Infrastruktur mit Kindergärten, Schulen und Angeboten der Altenbetreuung. In einer reizvollen Kulturlandschaft gelegen, hat sie auch touristisch viel zu bieten.

Aichtal
Die Stadt bietet eine Vielzahl von Freizeit-, kulturellen und sozialen Einrichtungen. Ihre günstige Lage zu beliebten Naturräumen wie auch zu Stuttgart mit dem internationalen Flughafen wissen Bürger und Unternehmen zu schätzen.