Erneuerbare Energien – Volker Quaschning im Interview

Windmill park with Offshore-Windanlagen stören Menschen nicht, dafür aber Wasserwelten – und doch: „Auch an diesen Anlagen führt kein Weg vorbei“, so Volker Quaschning.

Forschung, Bücher, YouTube, Fernsehen − und mehr: Volker Quaschning plädiert auf vielen Kanälen für erneuerbare Energien. Woran es immer noch hakt und was er sich von Bürgermeistern wünscht, erklärt er im Interview.

Laut einer „Spiegel“-Umfrage vom März 2023 findet die Hälfte der Deutschen Klimaschutzpolitik eher unwichtig. Überrascht Sie das?

Volker Quaschning: Die „Spiegel“-Umfrage fügt sich in etliche andere ein − sie hat mich also nicht überrascht. Auch der Volksentscheid hier bei uns in Berlin, ebenfalls im März, der ehrgeizigere Klimaziele als die bisher festgelegten erreichen wollte, erzählt eine ähnliche Geschichte: Zwar votierte die Mehrheit derjenigen, die teilnahmen, dafür; es stimmten aber längst nicht genügend Bürgerinnen und Bürger ab − mit der Folge, dass der Bürgerentscheid ins Leere läuft. Mir kommt es so vor wie auf der Titanic: Vor dem Zusammenstoß mit dem Eisberg hat man noch gut gespeist und Champagner getrunken − niemand wollte etwas von Risiken wissen.

Der Eisberg kam unerwartet für Crew und Passagiere der Titanic, der Klimawandel mit seinen gravierenden Folgen ist dagegen keine Theorie mehr, wir erleben ihn längst. Warum wird er dennoch nur eingeschränkt ernst genommen?

Quaschning: Immerhin wird er ernster als noch vor einigen Jahren genommen, aber nicht ernst genug. Nach der Energiekrise im vergangenen Jahr, als der russische Gashahn zugedreht wurde, haben viele verstanden, dass wir heimische Energie brauchen. Dennoch: Dass diese Energiekrise aufgefangen werden konnte, bestätigt viele in ihrem Glauben, dass es auch weiterhin so vergleichsweise bequem für sie gehen kann – man konnte die Energiekrise auffangen, und so wird es wohl auch bei der Klimakrise sein. Im schlimmsten Fall muss man halt den Garten intensiver gießen oder ein paar Tage mehr in einer heißen Wohnung aushalten. Und dass der Wald leidet, ist beim Spaziergang nicht schön anzusehen, aber aushaltbar.

Haben wir also auch heute noch nach so vielen Jahren des Engagements und der Forschung immer noch ein Kommunikations- und Aufklärungsproblem?

Quaschning: Das sehe ich tatsächlich so. Viele Menschen finden Umweltschutz wichtig, aber sie beurteilen die Problematik nicht als so existenzbedrohend, wie sie tatsächlich ist. Vieles bleibt an der Oberfläche, die Debatten drehen sich vor allem darum, wie viel Strom, Wärme und Benzin kosten – nicht aber darum, dass die Städte sich aufheizen, dass wir mit Hitze und Dürre ebenso wie mit Starkregenereignissen zu tun haben; dass wir durch fossile Energie unsere Lebensgrundlagen und die vieler Tiere und Pflanzen zerstören. Bis jetzt ist es nicht gelungen, der Mehrheit die tatsächliche Dramatik der Entwicklungen zu vermitteln. Viele verstehen auch nicht, dass zwar die Energiekrise beherrschbar ist, dass wir von russischem Gas unabhängig werden können − dass aber der Klimawandel irreversibel ist.

An den Erneuerbaren führt aus Sicht von Volker Quaschning kein Weg vorbei. Sein Appell an die Verantwortlichen vor Ort: So viele Menschen wie möglich von der Energiewende überzeugen. Foto: Adobe Stock/gpointstudio

Was kann man tun?

Quaschning: Wir müssen kommunizieren und aufklären – es gibt keine andere Möglichkeit. Das hätte man zum Beispiel beim Hochwasser im Ahrtal viel klarer tun können – und müssen: Deutlich machen, dass das nicht einfach „nur“ eine Naturkatastrophe war, sondern ein Naturereignis im Rahmen des Klimawandels, der vom Menschen verursacht ist, durch unseren hohen Energie- und Ressourcenverbrauch. Und dass uns mehr solcher Ereignisse drohen. Aus meiner Sicht ist es alternativlos: Wir müssen mehr Menschen ins Boot holen und bei der Energiewende Gas geben. Denn aktuell kommen nur 20 Prozent unserer Energie – Strom und Wärme – aus erneuerbaren Energien.

Aber auch Windräder und PV-Anlagen müssen hergestellt und geliefert werden.

Quaschning: Ein Windrad muss nur ein halbes Jahr laufen, um die aufgewendete Energie wieder einzubringen −die Klimabilanz der Erneuerbaren ist eindeutig positiv. Das ist lange bekannt, wird dennoch immer wieder in Frage gestellt.

Erneuerbare haben zudem das Problem der „Dunkelflaute“: Wind und Sonne sind nicht immer verfügbar − Speicher fehlen aber nach wie vor. Kann das überhaupt funktionieren?

Quaschning: Bisher kamen die Erneuerbaren zur konventionellen Energieerzeugung dazu. Jetzt müssen sie die fossilen Anlagen ersetzen. Das heißt, dass wir bei den Speichern enorm aufrüsten müssen. Das ist möglich: Die Technologien sind vorhanden, sie müssen „nur“ umgesetzt werden.

Ein Argument gegen Windkraft ist der Artenschutz. Windräder bedrohen Vögel, und Offshore-Windanlagen bedrohen zum Beispiel Schweinswale. Wie sehen Sie es, dass Klima- und Artenschutz als Widersprüche eingestuft werden?

Quaschning: Es macht keinen Sinn, die beiden Anliegen als Gegensatz aufzubauen. Zum Beispiel der Rotmilan, der oft genannt wird. Braunkohleabbaugebiete sind auch keine Vogelparadiese – aber davon abgesehen: Tatsächlich ist Windkraft für den Rotmilan nicht schädlich, das zeigen Studien. Das Hauptproblem für diesen Greifvogel ist vielmehr die intensive Landwirtschaft. Doch selbst wenn Windkraft für einige Individuen problematisch ist, ist die Erwärmung im Rahmen des Klimawandels für ganze Vogelarten existenzbedrohend. Das heißt: Wir müssen die Klimakata­strophe vermeiden, um Arten zu erhalten, auch wenn das bedeutet, dass einzelne Tiere durch den Bau von Anlagen belästigt oder sogar getötet werden.

Was sollten Kommunen tun?

Quaschning: Bitte auf keinen Fall aufgeben! Ich weiß von Bürgermeistern, die irgendwann dem Widerstand gegen Windkraftanlagen nachgegeben haben. Oft ist es nur eine kleine, aber laute Minderheit, die hier sehr aktiv ist – übrigens oft Städter, die aufs Land gezogen sind, jeden Tag mit ihrem SUV zur Arbeit zurück in die Stadt fahren, aber nicht von Windrädern belästigt werden wollen. In der Regel gibt es eine unentschiedene Mehrheit, die man von der Bedeutung und von den Vorteilen der Erneuerbaren überzeugen muss.

Was hilft?

Quaschning: Bürgerenergieprojekte funktionieren sehr gut. Es hilft auch, wenn Windkraft Geld in die Gemeinde bringt, das etwa für die Kita verwendet wird. Oder eine Entschädigung für Lärmbelastung – hier geht es oft nicht unbedingt nur um das Geld, sondern auch um die Anerkennung, dass es diese Belastung für einige Bürgerinnen und Bürger gibt. Insgesamt gilt: Den Ernst der Situation verdeutlichen und so viele Menschen wie möglich von der Energiewende überzeugen.

Interview: Sabine Schmidt


Zur Person

Dr. Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin sowie Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien.