Energetische Sanierung macht Sprung nach vorn

Fast 40 Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland gehen auf das Konto des Gebäudesektors. Um die Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen, müssen mehr Gebäude energetisch auf den Stand der Zeit gebracht werden. Das Energiesprong-Konzept für innovatives Sanieren kann ein Teil der Lösung sein.

In Städten und Gemeinden spielen Neubauten im Gesamtverhältnis zum Immobilienbestand meist eine prozentual geringere Rolle. Bestehende Gebäude zu modernisieren und energetisch aufzuwerten, ist damit ein wichtiges Handlungsfeld für Kommunen.

Funktionierende Sanierungskonzepte müssen die Interessen von Eigentümern und Mietern erfüllen, um in der Breite zu überzeugen. Wohnungsbaugesellschaften wünschen sich schnelle, kostengünstige und wiederholbare Konzepte; Mieter möchten nicht oder nur geringfügig durch Bauarbeiten und anschließend durch Mehrkosten belastet werden und mehr Wohnkomfort erleben.

Der Engpass bei Fachkräften erschwert das Planen und Umsetzen energetischer Sanierungen. Die Technologien und Prozesse der Industrie 4.0 hingegen bieten viel Potenzial, das bisher bei der energetischen Gebäudesanierung noch nicht ausgeschöpft wird.

Klimafreundlich und bezahlbar

Serielles Sanieren nach dem aus den Niederlanden stammenden „Energiesprong“-Prinzip setzt bei diesen Rahmenbedingungen an. Ziel ist eine warmmietenneutrale Sanierung mit „NetZero“-Standard, nach der das Gebäude selbst über das Jahr so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Strom erzeugt, wie benötigt wird. Die eingesparten Energiekosten fließen in die Refinanzierung. So können hochwertige Sanierungen ohne oder nur mit geringen Mehrkosten für die Bewohner umgesetzt werden.

Energiesprong-Sanierungen basieren auf einem digitalisierten und industrialisierten Bauprozess. Ein dreidimensionaler Laserscan vermisst das Gebäude schnell, kostengünstig und mit großer Genauigkeit. Auf Basis dieser Daten werden Solardach- und Fassadenelemente in Fabriken passgenau vorgefertigt.

Gesicherte Qualität

Durch die industrielle Fertigung lassen sich Qualitätsstandards setzen und jedes fertige Produkt auf Einhaltung überprüfen. Wie auch bei anderen in Serienproduktion gefertigten Gütern, beispielsweise bei Autos, sind individuelle gestalterische Anpassungen etwa bei Farben, optischen Elementen und Oberflächen in der Industrie 4.0 problemlos möglich. Ebenfalls vormontiert wird ein integriertes Energiemodul, das die gesamte Haustechnik enthält, darunter Wärmepumpe, Warmwasserspeicher, Lüftungsanlage sowie die Elektronik für Fotovoltaik und Monitoring.

Neue Hülle in wenigen Wochen

Die vorgefertigten Elemente werden dem Gebäude wie eine neue Hülle übergezogen, die Technik installiert: Auf das Dach kommt eine Fotovoltaikanlage, eine effiziente Wärmepumpe ersetzt die alte Öl- oder Gasheizung. Dieser Vorgang dauert in der Regel wenige Wochen statt mehrere Monate. Das bedeutet weniger Belastung für die Bewohner als bei einer Standardsanierung.

Auch der Personalaufwand vor Ort sinkt, je Fachkraft kann mehr saniert und die Planungssicherheit erhöht werden. Die Standardisierung vereinfacht für den Auftraggeber auch den Ausschreibungs- und Bestellprozess. Statt vieler Einzelbeauftragungen kann bei einem Generalübernehmer das „Paket“ Sanierung auf den „NetZero“-Standard bestellt werden. Dieses Unternehmen ist dann zentraler Ansprechpartner für den Auftraggeber und koordiniert alle beteiligten Akteure.

Halbe Million Häuser geeignet

Energiesprong ergänzt bestehende Sanierungsansätze und eignet sich zunächst insbesondere für die Gruppe mittelgroßer Mehrfamilienhäuser. Das sind insbesondere Wohnhäuser aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mit bis zu drei Etagen, verhältnismäßig einfacher Hülle und einem eher hohen Energieverbrauch von rund 130 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr. Schätzungsweise 500.000 dieser Gebäude gibt es in Deutschland.

In der aktuellen Phase der Marktentwicklung ist der Energiesprong-Ansatz vor allem interessant für Eigentümer von Gebäudeserien. Das können auch kleine Gebäudeserien, wie zum Beispiel fünf Mehrfamilienhäuser gleichen Bautyps sein.

Perspektivisch können Sanierungen mit vorgefertigten Elementen auch für Eigentümergemeinschaften interessant sein. Auch weitere Gebäudetypen können in Frage kommen – also zum Beispiel Einfamilienhäuser oder Nichtwohngebäude. Gleichzeitig ist aber klar, dass dieser Ansatz etablierte Sanierungsansätze ergänzt und vor allem für die architektonisch einfacheren und typenähnlichen Gebäude geeignet ist.

Zeigen, wie es funktioniert

In Deutschland wollen mehrere Wohnungsunternehmen das Energiesprong-Konzept anhand von Prototypen umsetzen. Für 2019/2020 sind bundesweit mehrere Projekte mit insgesamt rund 300 Wohneinheiten geplant, die ganz praktisch zeigen, wie es funktioniert. Das von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) koordinierte Marktentwicklungsteam begleitet die Prototypen sehr eng und wertet die Erfahrungen aus, um sie auf folgende Gebäude zu übertragen, Innovationen anzustoßen und die Kosten schrittweise zu senken. Das wird weitere Bau- und Wohnungsunternehmen motivieren, in diese Richtung zu gehen.

Ziel ist es, Energiesprong-Sanierungen zu einem Preis anbieten zu können, der sie gegenüber der heutigen Standardsanierung wirtschaftlich attraktiver macht. Das kann vor allem durch eine große Masse an Sanierungen erreicht werden. In den Niederlanden konnten die Kosten nach wenigen Jahren um rund 40 Prozent gegenüber den ersten Projekten gesenkt werden.

In der jetzigen frühen Phase der Marktentwicklung sind die Baupreise aber noch vergleichsweise hoch. Eine Förderung ist notwendig, um diese Lösung preislich mit Standardsanierungen vergleichbar zu machen. Dazu hat Baden-Württemberg im Februar 2019 als erstes Bundesland ein Förderprogramm für serielles Sanieren gestartet.

Zudem besteht noch Kostensenkungspotenzial durch Optimierungen bei den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, das vor allem durch Vereinfachungen beim Thema Mieterstrom gehoben werden kann. Das wird sich lohnen, denn hocheffiziente und weitgehend standardisierte Komplettsanierungen können der Wärmewende einen wichtigen Impuls geben, um konventionelle Sanierungsansätze zu ergänzen und Lösungen anzubieten, die es Wohnungsunternehmen ermöglicht, Klimaschutz und Bezahlbarkeit für die Mieter zu vereinbaren.

Uwe Bigalke

Der Autor
Uwe Bigalke ist Teamleiter Energiesprong Deutschland bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena) in Berlin

Info: Energiesprong

Die Initiative Energiesprong („Energiesprung“) kommt aus den Niederlanden und wurde dort bereits in mehr als 4500 Gebäuden umgesetzt. Auch in Frankreich und Großbritannien ist das Konzept erfolgreich. In Deutschland wird Energiesprong von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) koordiniert, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie dem EU-Förderprogramm Interreg NWE-Programm „Mustbe0“ finanziert sowie vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen unterstützt. Gemeinsam mit innovativen Unternehmen der Bau- und Wohnungswirtschaft wird das Prinzip an den deutschen Markt angepasst und ein erster Absatzmarkt entwickelt. Die Teilnahme an der Initiative ist kostenfrei.