Die Chancen auf dem Land erkennen und nutzen

Ob sich junge Ärzte auf dem Land niederlassen, liegt auch im Einflussbereich der Kommunen. Was sie hierzu wissen müssen, welche Chancen und möglichen Ansätze es gibt und welche Kompetenzen erforderlich sind, um abseits der Zentren die medizinische Versorgung zu sichern, umreißt dieser Beitrag.

Um die Schwierigkeiten, junge Ärzte auf das Land zu bekommen, wissen mittlerweile alle kommunalen Entscheider und Meinungsbildner. Die Tageszeitungen und die Fachpresse berichten dazu fast täglich irgendwo in Deutschland. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden müssen, sind dagegen weniger bekannt, da teilweise neu und mitunter unbequem. Bevor das Problem der dünner werdenden medizinischen Versorgung gelöst werden kann, müssen die Relevanz und die Dimensionen dieser Herausforderung erkannt werden, die sich mit vier Stichworten umschreiben lässt: „Übergreifender Entwicklungsprozess“, „Kommunen in der Pflicht“, „Strukturwandel Hausärztemarkt“ und „Bedarf an innovativen Lösungen“.

Abgeleitet daraus lassen sich folgende Thesen aufstellen:

  • Dem Sterben von Landarztpraxen mit nur einem Arzt ging der Rückzug zahlreicher kleiner Einzelhandelsgeschäfte voraus. Im Fall von Landapotheken ohne Nachfolger verläuft die Entwicklung parallel. Ursache auch hier: der vorangegangene atomisierte Marktauftritt der „Einzelkämpfer“, die nie gewohnt waren, rechtzeitig mit anderen zu kooperieren. Hier kommt die Gemeinde als Akteur ins Spiel.

  • Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben zwar den Sicherstellungsauftrag, aber weder die Durchgriffsmöglichkeiten (z. B. in Bezug auf die Anzahl der Medizinstudenten) noch – aufgrund der freien Berufsausübung, Niederlassungsfreiheit und damit Ortswahl der Ärzte – kaum Steuerungsmöglichkeiten. Das Instrument der Verkleinerung der Planungsbereiche greift deutlich zu langsam, Überversorgungsgrade im Facharztbereich von mehr als 200 Prozent sprechen für sich.

  • Der Hausärztemarkt steht vor einem Strukturwandel. 1:1-Nachfolgebesetzungen sind unattraktiv. Mit Hilfe delegativer interner Strukturen (nicht zu verwechseln mit Outsourcing von Funktionen) sind größere und effizientere Strukturen zu entwickeln, die mit weniger Ärzten auskommen. Diese können sich dabei mehr als bisher auf ihre medizinischen Aufgaben konzentrieren.

  • Bei einer statistischen Nachbesetzungswahrscheinlichkeit von etwa 25 Prozent ist es verfehlt, weiter auf das bisherige Nachfolgesystem als Selbstläufer zu setzen und im schlimmsten Fall noch alte Praxisräume zu erwerben. Vielmehr sind eigene innovative Anstrengungen notwendig und nach dem Siebten Altenbericht der Bundesregierung auch erwünscht.

Die Entwicklung der Ärzteversorgung ist von verschiedenen, direkt mit der Kommune zusammenhängenden Einflussfaktoren geprägt. Zu diesen gehören unter anderem die Größe der jeweiligen Gemeinde oder Stadt, deren Bevölkerungsentwicklung, die geografische Lage, das vorhandene Gesundheits-Cluster, die Eigendynamik der Akteure vor Ort sowie die Eigeninitiative von Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung.

Abhängig von den jeweiligen Konstellationen dieser Faktoren lassen sich die Kommunen grob kategorisieren: in solche mit geringer Handlungsperspektive, in Kommunen mit Chancen zur nachhaltigen Sicherung der Hausärzteversorgung und in jene, in denen ein Potenzial zum Ausbau der haus- und fachärztlichen Versorgung vorhanden ist.

Hierauf aufbauend lassen sich folgende Thesen entwickeln:

  • Zahlreiche Kommunen mit weniger als 2000 Einwohnern (Einwohnerangaben jeweils nur als Anhaltspunkt) verloren ihren letzten Hausarzt in den 1960er-Jahren. Bei statischer Bevölkerungsentwicklung ist ein isoliertes Vorgehen nahezu aussichtslos, Chancen ergeben sich fast ausschließlich in einer interkommunalen Zusammenarbeit.

  • Für Kommunen mit bis zu 4000 Einwohnern mit in der Regel Einzelpraxen wird es schwer werden, größere Einheiten auf den Weg zu bringen. Besonders dann, wenn im Umkreis von etwa zehn Kilometern eine oder mehrere größere Kommunen ab etwa 6000 Einwohner existieren (Problem der sogenannten Sandwich-Kommunen). Ausgesprochene Wachstumskommunen können dagegen auch bei niedriger Einwohnerzahl so agieren, als wären sie doppelt so groß. Die jeweilige Handlungsperspektive ist jedoch aufgrund des im Normalfall begrenzten Honorarvolumens eingeschränkt.

  • Eigenaktive Kommunen gleicher Größe (bis zu 4000 Einwohner), aber in einer Insellage (d. h., die nächst größere Kommune ist mehr als zehn Kilometer entfernt), haben in der Regel große Chancen, größere Einheiten auf den Weg zu bringen. Voraussetzung: Es muss ihnen gelingen, das Einzugsgebiet für die ärztliche Versorgung auf potenziell 10 000 Einwohner und mehr auszuweiten.

  • Kleine Kommunen können im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit Defizite unter anderem in Bezug auf Einzugsgebiet, Facharztversorgung und Finanzen ausgleichen und durchaus zu innovativen Lösungen kommen. Voraussetzung: man begegnet sich auf Augenhöhe.

  • Kommunen mit über 8000 Einwohnern sind aufgrund des größeren Einzugsgebiets und häufig vorhandener Unternehmerärzte und Investoren auf der „sicheren“ Seite. Durch das breit aufgestellte Gesundheitscluster sind sie in der Regel bestens für die Zukunft gewappnet. Selbst bei defizitären und von einer Schließung bedrohten Kliniken winken Medizinische Versorgungszentren (MVZ) als interessante Nachfolgemodelle zur Abfederung der Schließungsfolgen.

  • Innovative Lösungen (z. B. Gründung von Gesundheitszentren auf Genossenschaftsbasis mit Kommune, Ärzten, Investoren als Teilhaber) benötigen Zeit und sind eher für größere Kommunen oder stabile interkommunale Verbünde geeignet, die sich explizit nachhaltig aufstellen wollen. Für die innovativen Lösungen kommen mehrere Positionierungsmöglichkeiten in Betracht. Diese bauen auf einer vorangegangenen Analyse auf und hängen wesentlich davon ab, wie die Akteure sich einbringen.

Das Agieren von Kommunen bezogen auf die Niederlassung von Ärzten ist eine hochkomplexe Angelegenheit im Umfeld von Standesregularien, tradierten kommunalen Zuständigkeiten und damit neuen (Projekt-)Erfahrungen, Bürgererwartungen, eigenen Kapazitäten und individuellen Rahmenbedingungen. So sind zum Beispiel die Interessenten häufig bereits über 35 Jahre alt, wenn nicht gar bereits Mitte 40 mit einem entsprechenden sozialen Umfeld, weshalb die Kommune mit einem entsprechenden, auf die altersbedingte und familiäre Situation zugeschnittenen Unterstützungsangebot reagieren muss.

Das erfolgreiche Heranziehen von Ärzten erfordert daher aufseiten der Kommune verschiedene Kompetenzen: inhaltliche Kompetenz (u. a. Regularien Kassenärztliche Vereinigungen, Haus- und Fachärzteverbände), systemische Kompetenz (soziales Umfeld „junger“ Ärzte und Berufserwartungen/-anforderungen), Moderatoren-Kompetenz (Neutralität als Schlüssel zum Erfolg, Kapazitäten), strategischer Marktüberblick (Was gehört alles zur „Gesundheit“? Was sind die jeweiligen Markt- und Strukturtrends? Was sind relevante Hotspots?).

Bei komplexen Lösungsansätzen – sie beginnen bereits mit der neutralen und lösungsorientierten Moderation mehrerer Akteure vor Ort und von außerhalb – sind (insbesondere kleine) Kommunen überfordert. Neutrale Dritte zu Rate zu ziehen, kann weiterhelfen. Lösungsorientierte Verantwortungsträger (i. d. R. Bürgermeister) müssen entweder nach Außen an einen Dritten delegieren oder für sich selbst zeitliche Kapazitäten freiräumen.

Geht es um das Vorhaben, größere Einheiten zu schaffen (z. B. MVZ, Ärztehaus, Gesundheitszentrum mit Mehrarztpraxen), sind neben den Allgemein-, Fach- und Zahnärzten sowie möglichen Investoren auch andere Anbieter des Gesundheitswesens (z. B. Physiotherapeuten, Heilpraktiker, Logopäden, Apotheken) zu berücksichtigen. Standardaktivitäten „von der Stange“ wie „DocFinding“, Schaltung von Inseraten oder die Arztpraxisvermietung, können Kommunen dann selbst erledigen, dies zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und öffentlichen Beratungsstellen. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Nutzung von (finanziellen) Fördermöglichkeiten.

Landkreise, staatlich geförderte Gesundheitsregionen oder Vereinigungen zur Realisierung integrierter ländlicher Entwicklungskonzepte (ILEK) sind wegen zu großer Einzugsgebiete und dem Mitwirken von thematisch nicht betroffenen (Wettbewerbs-)Kommunen meistens die falsche Lösungsplattform.

Adrian W. T. Dostal

Der Autor
Adrian W. T. Dostal ist Geschäftsführer der Dostal & Partner Management-Beratung in Vilsbiburg; er entwickelt gemeinsam mit Kommunen Konzepte zur nachhaltigen Sicherung der ärztlichen Versorgung und begleitet deren Umsetzung

Info: Versorgungslücke klafft

Die Zahl der Mediziner, die sich als Vertragsarzt niederlassen wollen, sinkt kontinuierlich. Das betrifft vor allem den ländlichen Raum und dort insbesondere die Hausärzte. Sie haben zunehmend Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Als Gründe nennt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Budgetierung (diagnoseabhängige Pauschalen, egal, wie oft ein Patient vorstellig wird), zunehmende Bürokratisierung (hoher Anteil der Schreibtischarbeit) und eine schwache Infrastruktur auf dem Land (Ärztinnen mit Familie finden keine Betreuungsstellen für ihre Kinder). Gleichzeitig schließen viele Ärzte ihre Aus- und Weiterbildung nicht in den Fachgebieten ab, die für eine flächendeckende ambulante Versorgung der Bevölkerung benötigt werden. Zudem legen junge Mediziner mit Familienwunsch auf eine geregelte, klar begrenzte Arbeitszeit Wert.

Prognosen der KBV gehen davon aus, dass die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung bis zum Jahr 2030 moderat ansteigen, das ärztliche Angebot jedoch sinken wird. Besonders betroffen ist dabei der hausärztliche Bereich und die Gruppe der fachärztlichen Grundversorger.

In den vergangenen Jahren wurden insbesondere mit dem Versorgungsstrukturgesetz (2012) viele Regelungen eingeführt beziehungsweise geändert, um den Arztberuf wieder attraktiver zu machen. Vergütungszuschläge oder Umsatzgarantien sollen Anreize für Mediziner setzen, sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen.