Das Gebot der Daseinsvorsorge

Auf dem Weg der Digitalisierung darf niemand zurückgelassen werden. Um das zu gewährleisten, stehen die Kommunen in besonderer Verantwortung. Eine Digitalisierungsstrategie darf sich daher nicht auf technisch-operative Aspekte beschränken, sondern muss die soziale Dimension berücksichtigen.

Angesichts der Digitalisierung brauchen Kommunen einen „Digital-Kompass“, einen Handlungskorridor, innerhalb dem sie zielgerichtet vorangehen. Die Bürgerbeteiligung ist ein zentraler Baustein für die soziale Ausgestaltung einer solchen Digitaisierungsstrategie. Gemeinhin wird die Beteiligung der Bürger im Rahmen eines Digitalisierungsprozesses auf die Information und die Bedarfsermittlung in Form von Befragungen reduziert – analog wie online. Diese übliche Form ist der Beteiligung ist wichtig. Aber es müssen drei weitere Dimensionen berücksichtigt werden: Wissenstransfer, Überwindung neuer sozialer Armut, Teilhabe. Diese Aspekte werden im Folgenden erläutert.

Wissenstransfer

Schlicht pragmatisch gedacht: Die Bürger können ein großer Wissenspool sein. Warum nutzen Kommunen dieses Pool nicht und transferieren das Wissen ihrer Bürger in die Verwaltung? Oberbürgermeister Gunter Czisch hat in Ulm (Baden-Württemberg) das „Verschwörhaus“ gegründet, das mittlerweile Leuchtturmprojekt ist. Unter der Trägerschaft der Stadt forschen interessierte Bürger an digitalen Projekten und geben ihr Wissen weiter.

Die Vorteile für die Stadt sind groß: Wissen wird transferiert, neue Zielgruppen werden gewonnen und passgenaue digitale Tools entwickelt. Weitere gute Beispiele lassen sich im Städtenetzwerk des Städtetags Baden-Württemberg und in der vom baden-würettembergischen Staasministerium und weiteren Trägern initiierten „Allianz für Beteiligung“ finden.

Überwindung neuer sozialer Armut

Der digitale Fortschritt birgt eine Gefahr, der noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Im Jahr 2017 hatten laut dem Online-Portal Statista sieben Prozent aller deutschen Haushalte kein Internet. Der Digital-Index der Initiative D21 hat Anfang 2018 ermittelt, dass es rund zwölf Millionen „digital Abseitsstehender“ gibt. Gerade diese Zielgruppe muss aktiv beteiligt werden.

Es darf nicht passieren, dass Menschen aus finanziellen, technischen oder Bildungsgründen nicht an der „digitalen Kommune“ teilnehmen können. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen zu einer neuen sozialen Armut führen. Die kommunalen Digitalisierungsprozesse müssen für alle transparent und nachvollziehbar sein, alle müssen Zugang haben und alle müssen digitale (Weiter-)Bildungsmöglichkeiten haben. Das ist das Gebot der Daseinsvorsorge.

Teilhabe

Die Digitalisierung in den Gemeinden und Städten wird neue Kommunikationsformen und neue Formen der Vergemeinschaftung mit sich bringen. Gerade Menschen mit Behinderungen sind von der Gefahr betroffen, nicht mehr daran teilhaben zu können.

Auf der anderen Seite bietet gerade die Digitalisierung große Möglichkeiten, diese Menschen einzubinden und mitzunehmen: telemedizinische Angebote, neue Formen der Betreuung, bedarfsgerechte und automatisierte Services, die im alltäglichen Leben und im Notfall unterstützen. Die Chancen, eine gerechte Teilhabe zu sichern, sind gegeben, es gilt sie nur in der Digitalisierungsstragie zu bedenken, da Menschen mit Behinderungen leider nicht auf eine so potente Lobby zurückgreifen können wie andere Bevölkerungs- oder Interessengruppen.

Die zentrale Frage lautet: Alle müssen beteiligt werden, aber wie? Auch Menschen, denen der Zugang zu gesellschaftlich bedeutsamen Ressourcen fehlt, sollen an allgemeinen politischen Entscheidungen mitzuwirken. Hier kommt die Stadtverwaltung als Koordinierungsstelle ins Spiel. Eine zugehende, sozialraumorientierte Arbeit wird wichtig. Die sogenannten stillen Gruppen müssen aufgespürt und digital unterstützt werden, zum Beispiel durch Nachbarschaftsgespräche und die Schaffung von weiteren Orten der Begegnung in den Quartieren. Auch inszenierte Prozesse wie der mit „Zufallsbürgern“ besetzte Bürgerrat sind spannende Vehikel für alle.

Martin Müller / Carlo Schöll

Die Autoren
Martin Müller (Waldkirch) ist Fachberater für Bürgerengagement beim Städtetag Baden-Württemberg, Bürgermeister-Coach und Geschäftsführer der Social Profit Agentur Lebenswerke, Carlo Schöll ist Berater für Kommunen in der Digitalisierung und Inhaber der Agentur Bächle & Spree in Freiburg