Das Brot geteilt

Hatice Kara setzt sich als Bürger­meisterin so selbstverständlich für ihre Gemeinde Timmendorfer Strand ein, wie sie zuvor als Rechtsanwältin die Interessen ihrer Mandanten vertrat. Ein gelungener Quereinstieg.

„Ich stehe für einen offenen Politikstil. Ich stehe für Einsatz und Engagement. Ich stehe für Entscheidungsstärke.“ Mit dieser klaren Ansage trat Hatice Kara im Frühjahr 2012 vor die Gemeinde Timmendorfer Strand und bewarb sich als Bürgermeisterin. Die damals 32-jährige selbstständige Rechtsanwältin aus Rendsburg kannte die Probleme der Ostseegemeinde und machte sie zu ihrem Programm: Pflege und Ausbau der kommunalen Infrastruktur, Maßnahmen zur Minderung der Verkehrsprobleme und vor allem: „Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum – und zwar für Jung und Alt!“

Das sei die größte Herausforderung für den Ort, betont Hatice Kara auch jetzt, drei Jahre nach ihrer Wahl. Die Gemeinde habe ähnliche Verhältnisse wie auf der Insel Sylt. „Junge Menschen, die in unserer Gemeinde geboren und aufgewachsen sind, gründen oftmals ihre eigenen Familien außerhalb unserer Gemeinde, da kaum bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist.“ Dass sie in ihrer Amtszeit Wohnraumprojekte bereits realisiert habe und ein weiteres gerade umgesetzt werde, mache sie „glücklich“, sagt Hatice Kara. „Es wäre für mich sehr enttäuschend, wenn dieser Prozess zum Stillstand käme.“

Sich für andere erfolgreich einsetzen, das gelingt Hatice Kara. Das prägte ihren Beruf als Rechtsanwältin früher, das kennzeichnet ihren Alltag im Rathaus heute. „Es ist für mich nicht schwierig, mein jetziges Amt als Bürgermeisterin auszuführen“, sagt sie, „da ich die Interessen meines Ortes und meiner Bewohner vertrete“. Neben dieser quasi beruflichen Verwandtschaft bringe sie zudem ein rechtliches Gespür für die aktuellen Herausforderungen mit. Das habe ihr vieles erleichtert.

Nicht allein dieser scheinbar mühelose berufliche Wechsel ist bemerkenswert, sondern auch und vielleicht mehr noch, wie sich der Bürgermeisterwechsel im Rathaus von Timmendorfer Strand vollzog. Hatice Karas Vorgänger Volker Popp, der krankheitshalber keine dritte Amtsperiode hatte anstreben können, hätte gerne, so schildert es der Timmendorfer Pastor Thomas Vogel, „in anerkennender Mitfreude noch seine Nachfolgerin begrüßt“. Weil das nicht mehr möglich war, vermittelte der Pastor eine Form der Begegnung in eindrücklicher Geste: „Ein Stück vom Brot des Lebens geteilt. Die eine Hälfte habe ich Hatice Kara gereicht, die andere sogleich zu Volker Popp gebracht, drei Tage, bevor der 61-Jährige das Zeitliche gesegnet hat.“

„Niemals“, sagt Hatice Kara, habe sie später wegen ihrer eigenen Krebserkrankung an das Aufgeben des Amtes gedacht. „Im Gegenteil! Durch meine Erkrankung habe ich gelernt, das zu machen, was mir Spaß macht.“ Im März 2015 kehrte Kara geheilt an ihren Arbeitsplatz zurück.

Schon in der Stichwahl um den Bürgermeisterposten hatte Kara Kampfkraft gezeigt. Von den Versuchen, Ressentiments zu schüren aufgrund ihrer Religion und ihres Migrationshintergrundes, ließ sie sich nicht beeindrucken. Die Mehrheit der Gemeinde hatte sie auf ihrer Seite: „Diesen Ressentiments begegneten die Bürger mit einer klaren Antwort und zwar am Wahltag mit dem Wahlergebnis von fast 62 Prozent für Hatice Kara.“ Pastor Vogel bestätigt in seiner Grußadresse auf Karas Homepage: „Selten habe ich die Rathaus-Besatzung so freudig motiviert erlebt. Sehr viel Gewinn auf allen Seiten.“

Durchaus, so erinnert die Bürgermeisterin sich, musste sie sich „in der männerdominierten Kommunalpolitik erst mal behaupten und in der einen oder anderen Diskussion auch zeigen, dass die ,nette, sympathische Frau‘ auch auf den Tisch hauen kann und dies auch tut“. Wer von den Parteienvertretern versucht hatte, sie als das „kleine Mädchen“ hinzustellen, habe in der folgenden Zusammenarbeit erfahren müssen, „dass ich mir nicht die Butter vom Brot nehmen lasse“.

Hatice Kara sieht sich in ihrem Traumberuf angekommen. Sie könne sich „nur vorstellen, beruflich immer wieder Bürgermeisterin zu sein und irgendwann vielleicht auch Oberbürgermeisterin zu werden.“ Das Beste an ihrem jetzigen Amt sei, Prozesse begleiten zu können. „Wenn eine Seebrücke zunächst nur als Planung auf dem Papier entsteht und man später auf dieser Brücke flanieren kann, dann ist das für mich immer ein Moment voller Freude.“

Jörg Benzing

Zur Person:
Hatice Kara (Jahrgang 1979, ledig, keine Kinder) ist seit 2012 Bürgermeisterin der Gemeinde Timmendorfer Strand (Schleswig-Holstein). Vor ihrem Amtsantritt war sie selbstständige Rechtsanwältin in Rendsburg. Karas Familie stammt aus der Türkei, sie selbst besitzt seit 1999 die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit 2010 ist sie Mitglied des SPD-Kreisvorstandes Rendsburg-Eckernförde mit den Arbeitsschwerpunkten Integration und Migration sowie Arbeitnehmerrechte. Ihr Lebensmotto: „Die Dinge sind nie so, wie sie sind. Sie sind immer das, was man aus ihnen macht.“ (Jean Anouilh)

Info: Gemeinde Timmendorfer Strand
Einwohner: rund 9000
Gebietszugehörigkeit: Schleswig-Holstein, Kreis Ostholstein
Haushalt: 40 Mio. Euro
Gewerbesteuer: 3,8 Mio. Euro
Pro-Kopf-Verschuldung: 570 Euro
(Datenstand jeweils 31.12.2014)