Cradle to cradle: So können Kommunen die Kreislaufwirtschaft fördern und nutzen

Kein Abfall, sondern wertvolles Material für die nächste Baustelle − sofern die Materialien sortenrein verbaut sind. Foto: Adobe Stock/Daniel Ernst

Experte Dirk Hebel erklärt im Interview, wie das Bauen der Zukunft aussehen kann, welche Materialien in Zukunft wichtig werden und was Kommunen bei der Stadtplanung berücksichtigen sollten.

Ein zirkulierendes System – wie funktioniert das im Kommunalbau? Was müssen Städte und Gemeinden dabei beachten?

Dirk Hebel: Die Kreislaufwirtschaft hat grundsätzlich keine Maßstabsebene. Es geht darum, Gebäude so zu entwerfen, dass sie in Zukunft nicht mehr abgebrochen und entsorgt werden müssen, sondern einfach und sortenrein zurückgebaut werden können und damit als Materiallager der Zukunft dienen. Die kommunale Ebene wird dann interessant, wenn sich öffentliche Bauträger diesem Ansatz verpflichtet fühlen und Leuchtturmprojekte lancieren, die dieses Denken explizit in der Planungsphase vorneanstellen und umsetzen. Ebenfalls ist die kommunale Ebene interessant, wenn zukünftig auch Rückbaupläne bei den Genehmigungsverfahren mit eingereicht werden müssen und digitale Materialkataster aufgebaut werden, um über Informationen über Menge und Qualität frei werdender Ressourcen zu verfügen.

Wie kann ein systematisches Management von Sekundärrohstoffen aussehen?

Hebel: Wir müssen die digitale Erfassung von Materialien und Bauteilen vorantreiben und in einem zentralen System hinterlegen. Eigentlich ist dieses Vorgehen die logische Konsequenz aus digitalen Zwillingsmodellen, die heute schon bei fast allen größeren Bauvorhaben verlangt werden.

Was sind alternative Baumaterialien für die Zukunft?

Hebel: Alle jene, die sortenrein zirkulieren können und niemals auf der Deponie landen. Und zudem nachwachsende Materialien, die nicht durch chemische Behandlung zu Sondermüll werden, sondern auf dem Komposthaufen im Garten wieder zu Nährstoffen werden können. All das sind moderne Materialien, die sortenrein gefügt werden wollen.

Wie viel teurer wird es, sortenrein zu bauen?

Hebel: Noch vor der Coronapandemie sprachen wir von 10–15 %, vor allem dem kleinen Markt geschuldet und der Unsicherheit, neue Konstruktionsdetails voranzutreiben, über die es keine Erfahrungswerte gibt. Aber in den letzten Monaten erleben wir eine unglaubliche Preissteigerung der Primärrohstoffe, was diese Mehrkosten schon fast wieder ausgleicht – vorausgesetzt, man arbeitet mit Produkten der Sekundärrohstoffe, also Produkte und Materialien, die schon einmal etwas anderes waren. Ich glaube auch, dass diese Preisentwicklung bei den Primärrohstoffen sich weiter nach oben entwickeln wird, ein logischer Prozess von Verfügbarkeit und Nachfrage. Metallische und mineralische Baustoffe sind nur begrenzt abbaubar. Dazu kommen Lenkungssteuern wie die CO2-Abgabe, die sich in den kommenden Jahren sukzessive erhöhen wird.

Man sollte Hersteller von Baumaterialien zur Rücknahme ihrer Produkte gesetzlich verpflichten, meint Annette Hillebrandt, Professorin für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde von der Uni Wuppertal. Wie sehen Sie das?

Hebel: Grundsätzlich ist dies ein guter Gedanke, da hier Innovation stattfinden würde: Wie kann ich Produkte entwerfen und vermarkten, die hinterher nicht als Müll zu mir zurückkommen, sondern so konzipiert sind, dass ich sie komplett wiederverwenden kann, um neue Produkte herzustellen? Oder kann ich Komponenten ausbauen und wiederverwenden? Es gibt bereits solche Firmen und Wirtschaftsmodelle. Aufpassen muss man an dem Punkt, dass es keine Monopolsituationen gibt und ein gewisser Baustoff in nur einer Hand zirkuliert.

Muss die Stadtplanung in Zukunft ganz anders aussehen: mehr Hochhäuser, die weniger Platz brauchen und bei denen Material effizienter genutzt wird?

Hebel: Nein, ich glaube eher, wir müssen neue Modelle etablieren. Noch nie wurden so viele Wohnungen in Deutschland gebaut und noch nie gab es einen so hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche. Das Problem ist die Verteilung von Wohnraum. Wir sprechen heute von betonierter Einsamkeit in Einfamilienhaussiedlungen, die vor 40, 50 oder 60 Jahren gebaut wurden. Es haben sich aber die Familienstrukturen mittlerweile komplett verändert. Die Typologie passt nicht mehr zu den Bedürfnissen der Menschen. Das Problem ist doch, dass ältere, aktive Menschen fast keine Alternativen haben in Wohnmodelle zu wechseln, die dieser Einsamkeit entgegenwirken und somit das viel zu große Haus wieder für junge Familien frei wird. Ich glaube hier braucht es auch auf kommunaler Ebene neue Ideen und Modelle, um die endlose Linearität immer neuer Einfamilienhaussiedlungen mit den immer gleichen Rollenmustern zu vermeiden.

Interview: Denise Fiedler

Zur Person: Prof. Dirk Hebel ist Leiter des Fachgebiets Nachhaltiges Bauen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).