Blick in die Zukunft

Bevor wasserbauliche Maßnahmen zum Beispiel im Rahmen des Hochwas­ser­schutzes an Flüssen realisiert werden, geben hydrologische Simulationsmodelle Aufschluss über die künftigen Abflussverhältnisse. So auch an der Dinkel in Niedersachsen. Dort soll ein altes Wehr durch eine Sohlgleite ersetzt werden.

Wehre prägen bis heute das Landschaftsbild vieler Flusstäler im Bundesgebiet. An der Dinkel, einem Zufluss der Vechte in Niedersachen, soll nun anstelle des historischen Wehrs War eine moderne Sohlgeite treten, um den Flussverlauf wieder zu renaturieren.

Das Wehr wurde 1933/1934 vom Kreis Grafschaft Bentheim im Zuge des Ausbaus der Dinkel errichtet gebaut. Das Modellgebiet der geplanten Renaturierung befindet sich oberhalb der Mündung in die Vechte am Stadtrand von Neuenhaus.

Das Gebiet gehört zur Ems-Weser-Geest des nordwestdeutschen Tieflandes und weist insgesamt sehr geringe Höhenunterschiede auf. Im Nordwesten und Südosten befinden sich lokale Erhöhungen, zwischen denen sich im Hochwasserfall Überschwemmungsgebiete ausbilden.

Das Erscheinungsbild der Dinkel und der Alten Dinkel ist durch Begradigungen, Verlegung in Trapezprofile sowie Einleitungen aus der Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen über weite Strecken stark anthropogen (durch den Menschen verursacht) überformt. Im Laufe der letzten Jahre ist die Bebauung teilweise nah an die Gewässer herangerückt, während die älteren Hofstellen meist auf nicht überschwemmten Flächen zu finden sind.

Seitens des Landkreises ist geplant, das Wehr langfristig umzugestalten und durch ein gleichwertiges, wartungsfreies Bauwerk zu ersetzen. Dazu soll das Wehr vollständig rückgebaut werden und etwa zehn Meter unterstrom auf gesamter Gewässerbreite eine Sohlgleite mit Beckenstruktur entstehen.

Die Wiederherstellung der ökologischen und morphologischen Durchgängigkeit der Dinkel steht im Vordergrund der Umgestaltung vorzugsweise ohne sichtbare Verschlechterung der bestehenden hydraulischen Verhältnisse.

Wasserspiegel und Fließgeschwindigkeit

Zur Beurteilung des durch den Auftraggeber bereits erarbeiteten Konzeptes wurde die Ingenieurgesellschaft Lindschulte aus Nordhorn beauftragt, für einen etwa drei Kilometer langen Abschnitt ein zweidimensionales Gewässermodell aufzubauen. Mit dessen Hilfe können Wasserspiegellage und Fließgeschwindigkeit des Ist-Zustandes und der Planung vergleichen werden.

Dazu waren zunächst der Ist-Zustand der bestehenden Wehranlage zu erheben sowie die maßgeblichen Lastfälle (Abflussvolumen) zu ermitteln. Auf dieser Grundlage wurden für den Ist-Zustand sowie für die möglichen Planungsvarianten mehrere Modelle aufgebaut und unter Einhaltung identischer hydraulischer Bedingungen eine Reihe von Simulationsläufen durchgeführt.

Die Geometrie der vom Auftraggeber vorgesehenen Sohlgleite ist auf Basis der Simulationsergebnisse wiederholt zu variieren, bis die geforderten Bedingungen weitestmöglich erfüllt sind:

  • Im Lastfall MNQ (mittlerer Niedrigwasserabfluss) sollen die oberen Riegel der Sohlgleite nicht benetzt sein. Darüber hinaus muss die Alte Dinkel im Niedrigwasser-Fall ausreichend Wasser führen, da sie einen Mühlenstandort beschickt und ein trockenes Flussbett im nahen Ortszentrum nicht gewollt ist.

  • Im Lastfall MQ (Mittelwasserabfluss) darf sich der Wasserstand am Bauwerk nicht negativ verändern, die Riegel sollten zur Vermeidung von Verklausungen leicht überströmt werden.

  • Im Lastfall HQ100 (Hochwasserneutralität) darf die Hochwassersituation für Ober- und Unterlieger nicht relevant verschärft werden.

Eine detaillierte Untersuchung der Simulationsabläufe führte zu aufschlussreichen Ergebnissen. Mit der hydraulischen Untersuchung wurde die Variante einer Sohlgleite als Ersatzbauwerk für das bestehende Wehr untersucht. Es zeigte sich im Vergleich der Wasserspiegel und Fließgeschwindigkeiten zwischen derzeitigem Zustand (Wehranlage) und Planung (Sohlgleite) deutlich, dass die geplanten Anpassungen der Sohlgleite nicht ausreichen, um alle Bedingungen – insbesondere die Hochwasserneutralität – zu erfüllen.

Um die Anforderungen des Auftraggebers mit denen des Hochwasserschutzes in Einklang zu bringen, wäre es notwendig, den hydraulischen Querschnitt der Sohlgleite zum Beispiel durch ein Umgehungsgerinne oder die Aufweitung des Brückenquerschnittes weiter zu vergrößern.

Aus ingenieurtechnischer Betrachtung ist die geplante Maßnahme technisch grundsätzlich machbar und lässt sich durchaus mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie in Einklang bringen.

Jörn Schröter

Der Autor
Jörn Schröter ist Projektleiter bei der Lindschulte Ingenieurgesellschaft in Nordhorn

Info: Numerische Simulationsmodelle sind in der modernen Wasserwirtschaft unentbehrliche Hilfsmittel für die Strömungsanalyse eines Fließgewässers und die Planung wasserbaulicher Maßnahmen. In Abhängigkeit der vorliegenden Strömungssituation im Gewässer und der Aufgabenstellung im Projekt stehen dem Bearbeiter unterschiedliche numerische Modelle zur Verfügung, bis hin zur vollständig dreidimensionalen Simulation.

Das Ingenieurbüro Lindschulte setzt unter anderem die Programme „Hydro AS-2D“ und „FLUSS 2D“ ein. Beide Softwareprodukte ermöglichen in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung belastbare Aussagen zu Aspekten wie Fließtiefen, Wasserspiegellage, Fließgeschwindigkeiten, Abflussverhältnisse (-aufteilung), Überschwemmungsgebietsgrenzen, Dauer der Überflutung und Sohlschubspannungen.