Bitte keine Betonklötze

Zufahrtsschutz geht auch schön und ohne, dass man ihn als solchen wahrnimmt, wie hier beim Berliner Technikmuseum. Foto: Initiative Breitscheidplatz

Berlin, Heidelberg, Münster, Trier: Die Liste der Überfahrttaten in Deutschland wird länger. Dabei ist ein guter Zufahrtsschutz kein Hexenwerk, sagt Experte Christian Schneider. Aber als Aufgabe nebenbei sei es für kommunale Mitarbeiter nicht zu stemmen.

Eigentlich sind Steine sein Metier. Christian Schneider arbeitet im Bereich Naturgefahrenschutz. Aber der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz 2016 erwischt ihn kalt. Welchen Schutz gäbe es in seiner Wahlheimat Leonberg bei einem ähnlichen Attentat? „Ich habe nachgerechnet, welchen Steinschlagschutzzaun es gebraucht hätte, um die Menschen zu retten. Ein 40-Tonner-LKW mit 80 Kilometern pro Stunde setzt Energie wie eine Panzergranate frei.“ Schneider widmet sich dem Thema, plant heute für große und kleine Städte Zufahrtsschutzkonzepte für Veranstaltungen, aber auch für belebte Plätze beispielsweise in der Innenstadt.„Steinschlag und Zufahrtschutz sind zu 90 Prozent deckungsgleich,“ erklärt Schneider. Es werden dafür internationale Normen ausgelegt, die Physik betrachtet und Sperrmittel eingesetzt.

Die Norm, die für den Zufahrtsschutz maßgeblich ist, ist die ISO IWA 14-2. Zu der 46 Seiten starken Prüfrichtlinie kommt eine 58 Seiten umfassende Anwendungsrechtlinie. „In der Anwendungsrichtlinie steht alles Relevante, auch in welcher Reihenfolge vorzugehen ist“, sagt Schneider.

Als erstes steht eine Örtlichkeitsbetrachtung auf dem Plan. Was will ich schützen? Ist ein Zufahrtsschutz sinnvoll und wirtschaftlich machbar? Welche Mittel sind nötig? Mittel, die zur Wahl stehen, gibt es in drei Bereichen.

  • Organisatorische Mittel, wie beispielsweise die Veranstaltung an einem Ort stattfinden zu lassen, der von Haus aus sicherer ist.
  • Technische Maßnahmen sind die verfügbaren Sperr- und Schutzmittel.
  • Erst die dritte Wahl sollten personelle Maßnahmen sein, erklärt Schneider. Dazu gehört zum Beispiel die Personen- und Zufahrtskontrolle.

Als zweites muss eine Gefahrenanalyse erstellt werden. Wie groß ist die physische Gefahr? Woher kann ein Täter anfahren? Welche Geschwindigkeit kann er erreichen? Wo befinden sich die Fluchtwege?

Der Experte erstellt nun einen Maßnahmenplan mit einer technischen Beschreibung und einer präzisen Karte des Ortes. Was will ich wo schützen? Wo ist ein nicht sicherer Bereich?

Beispiel Stadtfest in Winnenden

Die Stadt Winnenden in Baden-Württemberg hatte 2019 einen dreimonatigen Vorlauf, um ihr Sommerfest zu schützen. Dem zuständigen Mitarbeiter war schnell klar, dass er Unterstützung bräuchte. Christian Schneider konnte ihm helfen, in der vorgegebenen Zeit eine gute Lösung zu finden. „In Winnenden lag vor dem Festplatz eine meterlange gerade Zufahrt, eine ganz ungünstige Ausgangslage“, berichtet Schneider. Mithilfe von mobilen Barrieren konnte der Bereich gesichert werden. Diese gibt es in verschiedenen Ausführungen. Sie können beispielsweise mit Wasser gefüllt sein oder aus einem Stahlkonstrukt bestehen.

Einen richtigen Zufahrtsschutz zu installieren – ob mobil für eine Veranstaltung oder dauerhaft, um zum Beispiel die Innenstadt zu schützen – sei nicht schwer, findet Schneider, erfordere aber Kompetenz. Kompetenz, die man sich nicht so nebenbei aneigne. „Das Schlimmste, was sie machen können, ist Betonklötze aufzustellen. Wenn der LKW darauf zu fährt, fängt der Klotz an sich zu überschlagen und splittert. Die Betonkeile fliegen wie Granatsplitter durch die Luft.“ Der Betonklotz erweitere die Schneise der Zerstörung um ein Vielfaches. „Wenn ich mit meiner Familie auf ein Fest gehe und Betonklötze sind um den Festplatz herum aufgestellt sehe, gehe ich wieder.“ Es sei sicherer auf einem ungesicherten Platz als auf einem mit Betonklötzen.

Neue Angriffsfelder

Als Experte verfolgt Schneider das internationale Umfeld ebenso wie die Seite der Angreifer. Das Terrornetzwerk Al-Qaida rief vermehrt dazu auf, Muldenkipper für Attentate zu verwenden. „Das stellt den Verteidiger vor zwei Probleme“, sagt Schneider. „Sie müssen das Fahrzeug aus der Schutzzone raushalten und zudem die Ladung, die aus dem Kipper fliegt, aufhalten.“

Aktuell arbeitet er am Zufahrtsschutz für ein Stadion in Luxemburg. Ein erklärtes Ziel des Experten ist es, dass der Schutz auf die Zuschauer nicht bedrohlich wirkt. „Das geht“, ist er sich sicher. „In den letzten Jahren hat sich viel getan auf dem Markt.“ Den Pollern beispielsweise sehe man durch ihre modernen Materialien nicht an, welcher Kraft sie standhalten können.

Schneider frischt sein Wissen regelmäßig bei Konferenzen und im Austausch mit internationalen Kollegen auf. „Großbritannien ist das Mekka der Gefahrenabwehr“, findet er. Hier berät eine eigene Planungsabteilung innerhalb der Polizei, die CTSA, die Kommunen produktneutral und auf dem neuesten Stand der Technik. In Deutschland seien die Kommunen allein gelassen, findet er. Ein Grund für ihn, sich bei der Initiative Breitscheidplatz für besseren kommunalen Zufahrtsschutz zu engagieren und so vielleicht die nächste schlimme Überfahrttat zu verhindern.

Denise Fiedler