Bibliotheken stehen mitten im Leben der Stadt

Bibliotheken erfüllen vielfältige Rollen für die Kommunen und prägen das Profil einer Stadt. Bei gleichbleibendem Kernauftrag – Medienausleihe und kulturelle Bildung – wandelt die Digitalisierung die Angebote grundlegend. Dafür benötigen die Einrichtungen entsprechende personelle und technische Ausstattung.

 

Bibliotheken antworten auf den rasanten gesellschaftlichen Wandel mit verstärkter Hinwendung zum Besucher statt zum Buch. Zudem bauen sie ihre Funktion als sogenannte Dritte Orte weiter aus. Damit ist ein öffentliches Zuhause zusätzlich zu Wohnung und Arbeitsstätte gemeint.

Die Besucher einer Bibliothek suchen heute vor allem einen Ort für Austausch, soziales Lernen und eigene Kreativität, kurz: einen öffentlichen Treffpunkt. Hier begegnen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Alters mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen nach Kommunikation und Konzentration.

Es wird der Stellenwert der Kultur am Ort ablesbar

An der Bedeutung, die der Bibliothek zugemessen wird, kann man den Stellenwert der Kultur eines Ortes ablesen. Gerade im ländlichen Raum ist die Bibliothek oft der letzte Ort, wo Kultur stattfindet. Durch ihre Angebote der kulturellen Bildung, insbesondere Ausstellungen, Literatur- und Kunstförderung, und ihre Unterstützung freier Kulturarbeit sowie durch die Kooperation mit örtlichen Vereinen und Initiativen haben sie sich als kommunale Treffpunkte etabliert.

Die Bedeutung des physischen öffentlichen Raumes hat parallel zur Bewegung in virtuellen Räumen spürbar zugenommen. Wo eine attraktive Architektur oder innovative Angebote wie ein „Makerspace“ Menschen Raum für die Umsetzung eigener Ideen geben, steigt die Zahl der Besucher weiter an. Die Bibliothek kann so als Erlebnisraum gemeinschaftsbildend sein und der Vereinzelung entgegenwirken. Durch gezielte (Medien-)Angebote unterstützen Bibliotheken auch die Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.

Im Rahmen des ersten bibliothekspolitischen Bundeskongresses „Zugang und Teilhabe im Digitalen Wandel“ diskutierten im März dieses Jahres Vertreter verschiedener Politikebenen, welche (neue) Rolle Bibliotheken in der künftigen Stadt- und Regionalentwicklung einnehmen. Deutlich wurde, dass Kultur in den Smart City Entwürfen bisher fast nicht vorkommt. Klar wurde auch, dass die grundlegende Funktion von Bibliotheken, der Bevölkerung im kommerzfreien Raum verlässliche Informationen zu vermitteln, weiter im Mittelpunkt stehen wird.

Niederschwellige Orte der Bildung

Die Bundesregierung will ein gesamtstaatliches Bündnis für kulturelle Bildung und Vermittlung sowie Medienkompetenz schließen, um den Zugang zu Kunst, Kultur, Bildung und Medien zu stärken. Bibliotheken weisen als niederschwellige Orte der kulturellen Bildung häufig eine Nähe zur Alltags- und Soziokultur auf. Sie übernehmen die Rolle des Initiators und Koordinators in einem lokalen Netzwerk – auch, um die Bibliotheksräume und ihre Ausstattung optimal zu nutzen. Damit können sie die integrierende Kraft der Kultur und die kulturelle Bildung stärken. Diese Rolle könnte kommunalpolitisch unterstützt und weiter ausgebaut werden.

Als dem Gemeinwohl verpflichtete Einrichtungen sind Bibliotheken gut geeignet, im Rahmen großangelegter Bauplanungen eine Schlüsselstellung einzunehmen. Als besucherstarke Institutionen garantieren sie eine Belebung der sonst von Verödung bedrohten Stadtviertel. In Einkaufszentren sorgen sie als nicht-kommerzielle Einrichtungen auch für die erforderliche Angebotsvielfalt.

Bibliotheken gehen mit dem digitalen Wandel mit

Der gesellschaftliche Auftrag, durch ihr Medienangebot Teilhabe am kulturellen Leben für alle zu ermöglichen und so den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu stärken, ist bedeutender denn je: Mit dem digitalen Wandel gehen Bibliotheken neue Wege bei der Vermittlung von Lesefreude, Informations- und Medienkompetenz und passen sich mit ihren Angeboten dem geänderten Mediennutzungsverhalten an. In vielen Bibliotheken können heute hochwertige Kinderbücher im App-Format getestet, Online- und PC-Spiele erkundet werden, es werden ausgewählte Musik oder Filme als Streaming angeboten. Freies WLAN ermöglicht das Arbeiten mit eigenen Endgeräten an Einzelarbeits- oder Gruppenarbeitsplätzen.

In klassischen Tageszeitungen kann in vielen Sprachen online geblättert werden. Lernsoftware oder Online-Sprachkurse werden an speziell dafür eingerichteten Arbeitsplätzen intensiv genutzt. Ältere Menschen werden durch Schulungen oder die Ausleihe von E-Book-Readern oder Tablets beim unkomplizierten Einstieg in die Nutzung digitaler Medien unterstützt.

Bereits vor zehn Jahren haben Bibliotheken mit der Ausleihe von E-Books begonnen. Heute ist das ein selbstverständlicher Teil ihres Angebotes, der nur durch Medienetat und eine ungeregelte Gesetzeslage bei der Ausleihe von digitalen Medien begrenzt wird. Das Internet macht Informationen jederzeit für jedermann zugänglich. Gleichzeitig ist es im Netz schwieriger, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten festzustellen. Um weiterhin qualitativ hochwertige und zuverlässige Informationen vermitteln zu können, lizenzieren Stadt- und Gemeindebibliotheken Online-Datenbanken und Online-Lexika. Bibliotheken tragen mit all diesen Aktivitäten dazu bei, die „digitale Spaltung“ der Gesellschaft zu überwinden.

Um auch die Öffnungszeiten den veränderten Ansprüchen der Kunden anpassen zu können, experimentieren einige Bibliotheken mit dem Konzept der „Open Library“, bei der die Bibliothekskunden mit ihrem Ausweis auch außerhalb der Öffnungsstunden die Bibliothek nutzen können. Dringend sollte die Möglichkeit geschaffen werden, für Familien und Berufstätige auch sonntags zu öffnen. Hier ist eine Änderung des Bundesarbeitszeitgesetzes längst überfällig, die auch vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städte- und Gemeindebund unterstützt wird.

Weitsichtige Kommunalpolitik muss Unterstützung geben

Die Digitalisierung der Bibliotheksangebote ist nur mit einer zeitgemäßen IT-Infrastruktur, der notwendigen Hard- und Software und mit kompetentem Personal flächendeckend zu bewältigen. Erschwert wird die digitale Weiterentwicklung jedoch vielerorts durch den Mangel an Personalstellen und Personal sowie einer schlechten räumlichen und technischen Ausstattung. Bund und Länder sind gefordert, die Kommunen dabei zu unterstützen, durch entsprechende Investitionen in die technische Ausstattung zeitgemäße Angebote zu ermöglichen. Eine weitsichtige Kommunalpolitik wird die manchmal unerkannten Potenziale der Bibliotheksinfrastruktur unterstützen und aktivieren, damit sie ihre volle Wirksamkeit entfaltet.

Die gesellschaftliche Bedeutung der Bibliothek steigt in der digitalen Welt, aber nur in fünf von 16 Bundesländern ist ihre Arbeit durch Bibliotheksgesetze gestützt. In keinem davon sind sie als gesetzlich notwendige Leistung der Kommunen abgesichert. Doch gerade in Zeiten des digitalen Wandels muss die Zukunftsfähigkeit der Bibliothek garantiert werden.

Wir brauchen ein dichtes Bibliotheksnetz auch als Beitrag gegen die verschlechterte Lese- und Sprachkompetenz der Bevölkerung. Hier zeitgemäße rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen sowie innovative Angebote zu fördern, ist Aufgabe der Träger von Bibliotheken sowie der Verantwortlichen in Kultur- und Bildungspolitik.

Optimistisch stimmt die Zusage der Bundesregierung zu prüfen „wie der Bund zum Erhalt der vielfältigen Bibliothekslandschaft und ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung beitragen kann“. „Bibliotheken sollten auch im digitalen Zeitalter ihre zentralen Funktionen für Bildung und Kultur erfüllen können“, so die Aussage im Koalitionsvertrag.

Barbara Schleihagen

 

Die Autorin
Barbara Schleihagen ist Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Bibliotheksverbands (DBV) in Berlin (schleihagen@bibliotheksverband.de)