Bevor die Stadt auseinanderdriftet

Werden Stadtteile durch negative soziale Entwicklungen zu Problemvierteln, kommt das vielfach für Politik und Verwaltung völlig unerwartet. Denn in der Regel ist kein Frühwarnsystem installiert, das aufziehende Schwierigkeiten erkennen lässt. Nicht so in der Hansestadt Hamburg.

Jedes schon mittelgroße Unternehmen ist angehalten, die wichtigsten Kennziffern seiner unternehmerischen Tätigkeit regelmäßig zu messen und zu beobachten. Ähnlich verhält es sich mit einer kommunalen Gebietskörperschaft, die rechtzeitig – besser aber vorausschauend – auf die Veränderungen zentraler sozialpolitischer Indikatoren mit ihrer kommunalen Sozialplanung und Städtebaupolitik reagieren muss. Ein regelmäßiges Sozialmonitoring des Stadtgebietes nach vorher definierten Analyseparametern ist solch ein städtisches „Controlling-Instrument“, eingesetzt zum Beispiel in Hamburg. Es lässt rechtzeitig erkennen, ob die Stadtteile womöglich auseinanderzudriften drohen.

Häufig betrachten Kommunen eine sozialpolitische Bestandsaufnahme nur als Schlaglicht. Sie können deshalb im Zeitverlauf keine negativen Veränderungen einzelner Gebiete beziehungsweise statistischer Einheiten feststellen, um gegebenenfalls sozialplanerische, schul- und wohnungspolitische Gegenmaßnahmen einzuleiten. Probleme fallen dann plötzlich den Bürgern und der Lokalpresse auf. Was folgt, ist nicht selten politischer Aktionismus. Ohne einen Seismografen für ungünstige soziale Entwicklungen kann es auch geschehen, dass Verwaltung und Kommunalpolitik primär auf die bekannten „Problemgebiete“ achten und dabei die schleichenden Veränderungen an anderer Stelle nicht bemerken – dort, wo ein Abrutschen droht, das bei energischem Gegensteuern noch zu verhindern wäre.

Hamburg identifiziert potenziell unterstützungsbedürftige Quartiere

Bereits seit 2010 nutzt die Hansestadt Hamburg ein standardisiertes Sozialmonitoring als kontinuierliches Beobachtungssystem. Ziel ist es, sozialräumliche Unterschiede innerhalb der Stadt zu analysieren und dadurch potenziell unterstützungsbedürftige Quartiere zu identifizieren. Dazu erfolgt eine kleinräumige Untersuchung aller 941 Statistischen Gebiete der Stadt. Bei der Erstellung des Sozialmonitoring-Berichts 2017 durch das Institut F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt aus Hamburg wurde auf das praxiserprobte und wissenschaftlich überprüfte Hamburger Indexverfahren der Vorgängerberichte zurückgegriffen. Dadurch werden eine kontinuierliche Fortschreibung und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse über einen längeren Zeitverlauf sichergestellt. So können kleinräumige Entwicklungen einzelner Statistischer Gebiete ebenso wie gesamtstädtische sozialräumliche Entwicklungsprozesse seit 2010 abgebildet werden. Auf diese Methodik kann auch von kleineren Kommunen für ihre jeweiligen kleinsten statistischen Gebietseinheiten zurückgegriffen werden, wenn entsprechende kommunal erhobene soziostrukturelle Daten auch auf dieser Ebene verfügbar sind.

Beim Hamburger Indexverfahren werden sieben „Aufmerksamkeitsindikatoren“ erfasst und ausgewertet:

  • Anteil Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an den unter 18-Jährigen insgesamt

  • Anteil Kinder von Alleinerziehenden an den unter 18-Jährigen insgesamt

  • Anteil SGB II-Empfänger sowie Anteil der Empfänger nach dem AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) an der Bevölkerung insgesamt

  • Anteil Arbeitslose an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren

  • Kinder in Mindestsicherung(Anteil der nichterwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach SGB II an der Bevölkerung unter 15 Jahren)

  • Mindestsicherung im Alter: Anteil der Bezieher von Grundsicherungsleistungen (nach 4. Kapitel SGB XII) im Alter von 65 Jahren und älter an der Bevölkerung

  • Schulabschlüsse: Anteil Realschul- und Hauptschulabschlüsse und der Schüler ohne Hauptschulabschluss an allen Schulabgängern

Die Kennzahlen liefern wichtige Hinweise für die Identifizierung von potenziellen sozialen Problemlagen in der Stadt. Für den Hamburger Status- und Dynamikindex werden die Werte der sieben Indikatoren durch eine Standardisierung ins Verhältnis zu allen untersuchten Gebieten gesetzt und aufsummiert. Auf dieser Basis erfolgt eine Einteilung in die Statusindex-Klassen „hoch“, „mittel“, „niedrig“ und „sehr niedrig“.

Funktion eines Frühwarnsystems

Der Dynamikindex wiederum gibt Auskunft über die Entwicklung der statistischen Gebiete. Er umfasst die Indexklassen „positiv“, „stabil“ und „negativ“. Aus der Verknüpfung von Status- und Dynamikindex wird der Gesamtindex gebildet, der Aussagen sowohl über den Status quo als auch über die Entwicklung innerhalb der statistischen Gebiete erlaubt und das zentrale Ergebnis des Indexverfahrens darstellt.

Da das Instrument die Identifizierung von Statistischen Gebieten ermöglicht, in denen gegebenenfalls kumulierte Problemlagen zu vermuten sind, übernimmt es die Funktion eines Frühwarnsystems. Die Ergebnisse des Sozialmonitorings können als Ausgangspunkt für vertiefende Analysen dienen, aus denen sich stadtteilentwicklungspolitische Handlungsbedarfe für diese Quartiere ableiten lassen.
Jannis von Lüde

Der Autor
Jannis von Lüde ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Unternehmen F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt, Hamburg

Info: Statistische Gebiete: Für eine zielführende Raum- und Sozialplanung sind statistische Daten und Auswertungen zu zentralen Aufgabenbereichen der Kommune (z. B. Arbeitsförderung, Sozialhilfe, Schul- und Kindergartenplanung, Gesundheitswesen) unerlässlich. Dabei lassen sich differenzierte Aussagen etwa zu sozialen Entwicklungen dann treffen, wenn die notwendigen Informationen möglichst kleinräumig erfasst werden. In Hamburg beispielsweise wurden für diesen Zweck Statistische Gebiete als kleinste räumliche Ebene gebildet. Sie sind eine Zusammenfassung von nebeneinander liegenden Baublöcken, die hinsichtlich ausgewählter baulicher und sozialstruktureller Merkmale homogen und damit vergleichbar sind. Die dort für verschiedene Bereiche ermittelten Daten lassen sich zusammenführen, um bezogen auf das jeweilige Gebiet Entwicklungen sichtbar zu machen, die politisches Handeln erfordern.

Der Sozialmonitoring-Bericht 2017 der Stadt Hamburg kann hier im Internet abgerufen werden.