Stadtentwicklung legt sich als Querschnittsthema über viele einzelne Politiken der Europäischen Union. Die sind jedoch untereinander nicht immer abgestimmt und entfalten teilweise entgegengesetzte Wirkungen. Die neue „städtische Agenda“ der EU will hier Verbesserungen erreichen.
Hat die Europäische Union eine gesetzgeberische Kompetenz im Bereich der Stadtentwicklung? Formal betrachtet ist die Frage sicherlich mit Nein zu beantworten. Laut EU-Vertrag steht der EU-Kommission keine originäre Kompetenz für diesen Bereich kommunalen Handelns zu, er ist vielmehr Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Stadtentwicklungspolitische Vorhaben, sei es eine Maßnahme zur Verbesserung im Wohnumfeld auf Quartiersebene oder eine gesamtstädtische Mobilitätsstrategie, berühren jedoch immer eine Vielzahl an unterschiedlichen Themenbereichen. Somit haben einzelne Rechtsakte, in denen die EU sehr wohl legislative Kompetenzen besitzt, eine nicht unerhebliche Auswirkung auf die städtische Entwicklung vor Ort. Dazu zählen insbesondere die Energiepolitik, Verkehrspolitik, Umweltauflagen, aber auch Fragen der staatlichen Beihilfe oder vergaberechtliche Regelungen.
Nicht zu vernachlässigen sind in diesem Zusammenhang auch die enormen Summen, die hauptsächlich über die Europäischen Strukturfonds zu einer thematisch gesteuerten Förderpolitik führen und somit indirekt auch eine gewisse Einflussnahme auf lokale Entwicklungsvorhaben bedeuten. Deutschland erhält in der laufenden EU-Förderperiode immerhin rund 1,5 Milliarden Euro allein für Projekte der integrierten Stadtentwicklung.
Stadtentwicklung legt sich somit als Querschnittsthema über viele einzelne EU-Politiken, die jedoch untereinander nicht immer abgestimmt sind und im schlimmsten Fall entgegengesetzte Wirkungen entfalten können, zumal Städten selbst ein geringes Mitspracherecht im Europäischen Gesetzgebungsprozess zugestanden ist. Dies zu verbessern, sind zwei der Kerngedanken einer neuen „städtischen Agenda“ der EU.
Ehrgeizige Ziele
Europa hat sich selbst mit der „EU2020-Strategie“ ehrgeizige Ziele gesetzt. Sie zu erreichen, bedarf daher der Lösung von Herausforderungen wie Umweltbelastungen oder soziale Segregation, die insbesondere in Städten spürbar werden. Gleichzeitig bieten Städte aber auch als Motor für Wachstum und Innovation ein enormes Entwicklungspotenzial.
Am 30. Mai 2016 wurde mit dem „Pakt von Amsterdam“ ein politisches und methodisches Rahmendokument für die praktische Umsetzung einer „EU-Urban Agenda“ von den EU-Bauministern unter Mitwirkung der EU-Kommission verabschiedet. Ziel ist eine verbesserte Koordinierung von EU-Sektorpolitiken unter der Berücksichtigung von städtischen Belangen. Das heißt im Einzelnen genauer zu prüfen, welche Auswirkung legislative Maßnahmen und politische Entscheidungen der EU-Institutionen auf die lokale Entwicklung von Städten haben – und das auf Basis eines administrativen Mehrebenensystems.
Der aktuelle Prozess greift dabei Entwicklungen auf, die bereits seit Ende der 1990er-Jahre diskutiert werden. Ein vorläufiger Höhepunkt wurde 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft mit der „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ erzielt. Dieses von den EU-Bauministern verabschiedetes Dokument beschreibt die Grundsätze und Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung in Europa. Weitere Dokumente folgten mit der Erklärung von Marseille (2008) und Toledo (2010) – seither ist nicht mehr viel passiert. Die Niederlande stießen daher 2013 einen weiteren inhaltlichen und methodischen Diskussionsprozess an, den sie unter ihrer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2016 mit dem „Pakt von Amsterdam“ zu Ende führten. Ein von der EU-Kommission parallel geführter Prozess wurde in 2015 mit der „Erklärung von Riga“ zusammengeführt.
Mehr als eine weitere Absichtserklärung
Der „Pakt von Amsterdam“ soll mehr als eine reine Grundsatzerklärung sein. Er enthält konkrete Maßnahmen zu Inhalt und Methodik einer EU-Städteagenda mit der Konzentration auf drei Kernziele. Dazu zählen eine Überprüfung europäischer Rechtsakte und der finanziellen Unterstützung seitens der EU für Städte sowie die Erarbeitung einer breiteren Wissensbasis über konkrete Lösungsansätze.
Gemeint ist damit jedoch nicht, dass sich aus dem Prozess neue Rechtsakte und neue EU-Finanzierungsquellen für Städte ergeben oder gar Kompetenzen an die EU im Bereich Stadtentwicklung abgegeben werden. Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung wird nicht angetastet. Ziel ist es vielmehr, eine Stärkung der städtischen Dimension im bestehenden Rechtsrahmen der EU zu erzielen und im Sinne einer „Stadtverträglichkeitsprüfung“ eine bessere Koordination zwischen den Schlüsselakteuren auf allen politisch-administrativen Ebenen zu bewirken.
Im Fokus stehen dabei zwölf Themen. Methodischer Kern ist die Errichtung von je einer Partnerschaft pro Themengebiet für einen Zeitraum von drei Jahren. Diese Partnerschaften (de facto Arbeitsgruppen) bestehen aus Vertretern der EU-Kommission, der Mitgliedsstaaten und der Städte und deren Interessenvertreter (z. B. Eurocities, Ausschuss der Regionen, Rat der Gemeinden und Regionen Europas). Vier „Pilotpartnerschaften“ – zu den Themenfeldern „Städtische Armut“, „Wohnungswesen“, Integration von Migranten und Flüchtlingen“ und „Luftqualität“ – nahmen bereits zu Beginn des Jahres 2016 die Arbeit auf. Die Partnerschaft zum Thema „Wohnen“ beispielsweise wird Aspekte der EU-Beihilfeproblematik im Zusammenhang mit dem sozialen Wohnungsbau diskutieren, während sich die Partnerschaft „Städtische Armut“ Fragen sozialer Segregation innerhalb von städtischen Quartieren widmet. Vorgesehen ist, dass noch Mitte des Jahres konkrete Arbeitspläne veröffentlicht werden.
Den Begriff der Stadt weiter gefasst
Der Prozess bietet allen Akteuren einen interessanten neuen Handlungsansatz. Inwiefern jedoch eine „stadtverträglichere“ EU-Politik mit Hilfe der Arbeitsgruppen erzielt werden kann, bleibt abzuwarten – denn bisher gehört der Prozess nicht zu den definierten politischen Arbeitsschwerpunkten von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Schwierigkeiten bereitet zudem die Gewährleistung von Transparenz und Beteiligung am zukünftigen Arbeitsprozess.
Eine Städteagenda sollte auf keinen Fall eine Agenda der Großstädte sein. Es wurde zwar festgelegt, dass ebenso Klein- und Mittelstädte einbezogen werden, nur ist hier eine Beteiligung von kleineren Stadtverwaltungen an den Partnerschaften aufgrund der in diesen Kommunen meist geringeren Personalkapazitäten eher schwierig. Positiv hingegen ist, dass der Begriff Stadt nun weiter gefasst ist und auch funktionale Stadt-Umland-Gebiete einschließt. Denn Lösungswege ausschließlich innerhalb von administrativen Grenzen zu finden, ist oft wenig zielführend.
Inwiefern sich die städtische Agenda der EU auf den Ausgestaltungsprozess der städtischen Dimension in der zukünftigen EU-Strukturfondsdebatte für die Zeit ab 2021 auswirkt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. In der Präambel verspricht der Entwurf zumindest einen zielgerichteten Fokus auf eine handhabbare und einfachere Nutzung von EU-Finanzierungsquellen für städtische Akteure, die – so ist zu hoffen – im Sinne des „Acquis Urban“ (integrierte, partizipative Stadtentwicklung) bespielt werden.
Der Gesamtprozess einer städtischen Agenda trifft in seinem Kern europaweit weitestgehend auf Zustimmung. Es ist damit gelungen, ein Forum zu errichten, in dem neben dem Ausschuss der Regionen eine direkte Beteiligung für Städte im Gestaltungsprozess der EU-Politik ermöglicht wird – und das in direkter Abstimmung mit der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten. Städte sollten daher ermuntert werden, sich in diesen Prozess einzubringen und ihre Anliegen in den Partnerschaften zu vertreten.
Jonas Scholze
Der Autor
Jonas Scholze ist Leiter des EU-Büros Brüssel des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Berlin
Info: Acquis Urban
Die „Gemeinschaftsinitiative URBAN“ (1994-2006) war ein Sonderprogramm der EU-Kommission, das erstmals integrierte Stadtentwicklungsprojekte als Fördertatbestand gesondert in die EU-Strukturpolitik aufnahm. Aus Deutschland haben zwölf Städte daran teilgenommen. Der daraus abgeleitete spezielle Handlungsansatz eines „Acquis Urban“ beschreibt die Förderung von integrierten, sektorübergreifenden, partizipativen und innovativen Projekten, die zur nachhaltigen Entwicklung von Städten beitragen. Dazu zählen beispielsweise Projekte der Quartiersentwicklung beziehungsweise der Aufwertung eines Wohnumfeldes. Der Ansatz hat sich bewährt und wurde mit Beginn der EU-Förderperiode 2007–2013 in die regulären operationellen Programme der Länder integriert, was bedeutet, dass sich der Fördermitteltopf für nachhaltige Stadtentwicklung für alle Städte öffnete. Etwa die Hälfte der Bundesländer ermöglicht auch in der laufenden Förderperiode 2014–2020 die Förderung von Stadtentwicklungsmaßnahmen im Sinne des „Acquis Urban“ aus den EU-Strukturfonds.
Stichwort: Soziale Segregation
Der Begriff soziale Segregation (von lat. segregare: trennen, abtrennen) beschreibt die räumliche Absonderung von Bevölkerungsgruppen nach Merkmalen wie sozialer Schicht, ethnischem und kulturellem Hintergrund oder Lebensstil. In den Städten bewirkt Segregation die Verteilung von sozialen Gruppen auf bestimmte Wohnstandorte (z. B. Armutsviertel, Migrantenviertel, „Reichenviertel“). Sie wird zum Problem, wenn sie mit einer deutlichen Ungleichverteilung der Lebenschancen und gesellschaftlichen Privilegien verbunden ist. So können zum Beispiel Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt bewirken, dass einkommensschwache Schichten aus bisher sozial gut durchmischten bürgerlichen Stadtquartieren in Armutsviertel verdrängt werden. Wegen der dort geballt auftretenden sozialen Not kommt es in solchen Vierteln leichter zu Konflikten der Bewohner untereinander, zu Verwahrlosung und Vandalismus und zur Entstehung von Drogenmilieus.