Abbild von Wirklichkeit und Möglichkeit

Wie viel Wasser fließt bei Hochwasser? Wie hoch steigt der Wasserspiegel? Die Antworten auf diese Fragen sind Teil eines kommunalen Hochwasserschutz­konzepts. Es basiert auf Niederschlag-Abfluss- sowie hydraulischen Modellen. Sie helfen dabei, gefährdete Gebiete zu erkennen und Risiken abzuschätzen.

 

Die Umsetzung der EG-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie und die vermehrt auftretenden urbanen Sturzfluten stellen Kommunen vor die Aufgabe, den vorsorgenden Hochwasserschutz zu verbessern. Niederschlag-Abfluss-Modelle und Hydraulik-Programme zur Simulation der Fließvorgänge in Kombination mit Geo-Informationssystemen kommen zum Einsatz, um die wasserwirtschaftlichen Prozesse realitätsnah darzustellen und zu analysieren. Die Modelle erlauben es, Maßnahmen zu konzipieren und hinsichtlich ihrer Rückhaltewirkung und ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu bewerten. Meist fehlen in den Rathäusern das Fachwissen und/oder die personellen Ressourcen, um selbst Modellstudien durchzuführen, sodass Fachbüros beauftragt werden.

Niederschlag-Abfluss (N-A)-Modelle berechnen aus Niederschlagsdaten die Abflüsse für alle Gewässer eines Einzugsgebiets. Die Berechnung erfolgt für einzelne Hochwasserereignisse oder mittels Langfristsimulation über mehrere Jahre. Regionalisierte Abfluss-Kennwerte, wie sie zum Beispiel in Baden-Württemberg vorliegen, stellen eine wichtige Vergleichsgröße dar, die man beispielsweise für Deichhöhen verwenden kann. Für die Bemessung von Rückhaltebauwerken sind jedoch Ganglinien erforderlich, die mit einem N-A-Modell erzeugbar sind.

Häufig können Kommunen auf bestehende N-A-Modelldaten von Landes- oder Regionalbehörden zurückgreifen. Diese sind zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Unter Umständen ist ein neues Modell zu erstellen und anhand von Pegelwerten zu kalibrieren. Dazu sind Daten zu Böden, Topografie, Landnutzung, Siedlungsentwässerung und natürlichen Fließgewässern auszuwerten und im GIS aufzubereiten.

Aus der Langfristsimulation des N-A-Modells mit gemessenen Regenreihen und dem Abgleich mit Daten aus dem Starkregenkatalog des Deutschen Wetterdienstes (Kostra-Daten, Koordinierte Starkniederschlags-Regionalisierungs-Auswertungen) errechnet das Modell die Bemessungsabflüsse für verschiedene Jährlichkeiten. Sie werden in hydrologischen Längsschnitten für die zu untersuchenden Gewässer dargestellt.

Digitales Geländemodell als Basis

Hydraulische Modelle ermitteln aus den Hochwasserabflüssen die zugehörigen Wasserspiegellagen und die Ausuferungen entlang des Gewässers. Die Eingangsdaten der hydraulischen Modelle basieren auf vermessenen Gewässerquerprofilen. Sie enthalten die Geometrie und Rauheiten des Gewässers und bilden Bauwerke wie Brücken, Wehren oder Ufermauern ab.

Zum Einsatz kommen Modelle mit einem eindimensionalen (1D) oder einem zweidimensionalen (2D) Rechenansatz. Die 2D-Modelle sind etwas aufwändiger zu erstellen, bieten aber den Vorteil, komplexe Fließverhältnisse genauer abzubilden.

Die 1D-Modellierung nutzt die Querprofil-Daten des Gewässers. Die Überschwemmungsflächen ermittelt man mit einer Überlagerung der Wasserspiegellagen mit dem digitalen Geländemodell (DGM). Ein 2D-Modell nutzt die Querprofile und das DGM der Vorländer als Eingangdaten, aus denen der Modellierer ein flächiges Berechnungsnetz erstellt. Die Ergebnisse werden als Wasserstände an den Profilen oder im DGM dargestellt. Die Berechnung und Darstellung der Überschwemmungsgebiete erfolgt im GIS.

Zusätzlich empfiehlt es sich, die Gefährdungslage bei Starkregen durch wild abfließendes Wasser und Kanalüberstau zu untersuchen. Datengrundlage bildet ein möglichst genaues digitales Geländemodell des Untersuchungsgebiets zusammen mit Straßenverläufen und ALK-Gebäudeumrissen (ALK: Automatisierte Liegenschaftskarte).

Defizite erkennen

GIS-Analysen identifizieren vorab Fließwege und Senken als mögliche Gefährdungsschwerpunkte. Eine 2D-Simulation des Gebiets liefert definitive Aussagen über die bei einer Sturzflut zu erwartenden Wassertiefen, Fließgeschwindigkeiten und Fließrichtungen.

Die Ergebnisse der hydraulischen Berechnungen werden abgeglichen und wenn nötig ergänzt mit den bestehenden Überschwemmungsgebieten und Informationen über historische Hochwasserereignisse. Daraus lassen sich Defizite im Hochwasserschutz benennen und mögliche Schutzmaßnahmen entwickeln.

Hochwasserschutzmaßnahmen werden als Speicher, als Linienschutz, als lokale oder flächige Maßnahmen im Einzugsgebiet oder als Vorsorgemaßnahmen konzipiert. Sie sind einzeln oder kombiniert als Planungsvarianten mithilfe der hydrologischen und hydraulischen Modelle hinsichtlich ihrer Schutzwirkung zu untersuchen. Dadurch wird schnell deutlich, welche Möglichkeiten auf dem Gebiet der Kommune bestehen und was grundsätzlich sinnvoll und möglich ist.

Zur Bewertung des monetären Nutzens von Hochwasserschutzmaßnahmen muss die Höhe der Schäden bekannt sein, die durch die Maßnahmen vermieden werden. Dazu dienen das Schadenspotenzial für unterschiedliche Abfluss-Szenarien, zum Beispiel zehn- oder 50-jährliches Hochwasser (Q 10, 20, 50, 100) und die aus der Schadenswahrscheinlichkeit berechnete Schadenserwartung.

Für den Ist-Zustand und die Planungsvarianten werden die Schadenspotenziale und -erwartungen sowie deren Minderung durch die Schutzmaßnahmen berechnet. Der Vergleich mit den Kosten liefert ihre ökonomische Effizienz. Die erarbeiteten Planungszustände und der Ist-Zustand werden in einer Bewertungsmatrix nach den Kategorien hydraulisch/hydrologische Wirkung, Wirtschaftlichkeit, weitergehende/verbleibende Schadwirkung, Umsetzung und Umweltverträglichkeit gegenübergestellt.

Das mit der Modellierung beauftragte Fachbüro sollte nicht nur über wasserwirtschaftliches Fachwissen verfügen, sondern auch in der Lage sein, die erzielten Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen und gut aufbereitet zu dokumentieren. Die erstellten Berichtsunterlagen unterstützen dann die kommunalen Mitarbeiter bei der Abstimmung des Konzepts mit den beteiligten Behörden und der Öffentlichkeit.

Aus den Maßnahmenvorschlägen sind die wirksamen Maßnahmen für die Umsetzung zu wählen, die technisch und finanziell umsetzbar sind, die Akzeptanz bei der Bevölkerung finden und deren Umweltverträglichkeit nachgewiesen wurde.

Oliver Buchholz

Der Autor
Dr.-Ing. Oliver Buchholz ist Gesellschafter bei der Hydrotec Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt in Aachen