Lärmschutz an Schienenwegen hat Nachholbedarf

Auch für den Bahnlärm gilt, dass die effektivsten Maßnahmen der Lärmminderung direkt an der Quelle ansetzen: Wagenmaterial und Gleise. Doch dieser Verfahrensweg ist mühsam. Ersatzweise betreibt der Bund Lärmschutz entlang der Bahnstrecken mit Schallschutzwänden. Diese haben nicht nur Vorteile.

 

Zwischen sechs und zehn Millionen Menschen in Deutschland sind von Lärm an Bahnstrecken betroffen. Mehr als 300 Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm setzen sich für bessern Lärmschutz ein. Das sind Fakten. Dennoch ist die Akzeptanz des Problems bei Nichtbetroffen gering – im Gegensatz zur Fluglärmproblematik, die allgemein als kritisch anerkannt wird. Bei den Nichtbetroffen herrscht die Meinung vor, dass es die Bahnlinien schon seit über 100 Jahren gebe und nun die Anwohner plötzlich überempfindlich geworden seien und sich in unberechtigter Weise wehren würden.

Diese Argumentation ist grundlegend falsch. Die Eisenbahn ist in den vergangenen Jahrzehnten wirklich sehr viel lauter geworden, in vielen Bereichen in den letzten 50 Jahren bis 20 dB(A). Die akzeptablen Mittelungspegel von 55 dB(A) werden heute deutlich überschritten, bisweilen 25 dB(A) und mehr .

Lärmschutzwände sind heute noch übliches Mittel der Lärmminderung – mit allen akustischen und optischen Konsequenzen: schlechte Wirkung bei tiefen Frequenzen, Umverteilung des Lärms (vor allem die oberen Stockwerke auch auf der Schutzseite erleiden eine Lärmzunahme), Zerstörung von Sichtachsen, große Investitions- und Instandhaltungskosten, Imageschädigung des Verkehrssystems Schiene. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Die Lärmerhöhung erfolgte schleichend, in kleinen Schritten. Die Wahrnehmungsschwelle des Menschen für Änderungen in der Lautstärke liegt oberhalb drei Dezibel. Einflussfaktoren sind höhere Fahrgeschwindigkeit, andere, lautere technische Ausführung an den Fahrzeugen und den Gleisen, längere und mehr Züge. Am deutlichsten haben es viele Anwohner wahrgenommen, als alte Gleise, die leiser waren, durch neuere, lautere ersetzt wurden. Reklamationen deshalb wurden und werden aber abgewiegelt. Da es keine Monitoringstationen gibt, fehlt eine objektive Diskussionsbasis. Glücklicherweise ändert sich das nun. Das Bundesverkehrsministerium hat die Errichtung von etwa 20 Monitoringstationen bundesweit beauftragt. Die Orte sollen Ende 2017 festgelegt sein.

Aus Gründen der Luftreinhaltung sollte in nächster Zeit der Schienenverkehr nochmals deutlich zunehmen. Auf die Lärmbelastung hat das aber nur geringen Einfluss. Die Verdoppelung der Verkehrsmenge bei sonst gleichen Randbedingen erhöht den Pegel nur um 3 dB. Eine theoretische Halbierung der Verkehrsmenge würde nur zu einer Verringerung um drei Dezibel führen. Das ist nicht die Stellschraube, mit der das Problem gelöst werden kann. Wohl aber ist bei den Lösungsmechanismen zu berücksichtigen, dass die Lärmbelastung aufgrund des Verkehrsmengenzuwachses leicht ansteigen wird.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Bundesrepublik Deutschland weist als Besonderheit keine Immissionsgrenzwerte für Bestandsstrecken, sondern nur für Neubaustrecken auf. In anderen Ländern sind die Grenzwerte für Bestandsstrecken typischerweise 5 dB höher als für Neubaustrecken. Als vorbildlich gilt die Gesetzgebung in der Schweiz. Allerdings gibt es in Deutschland seit 1999 das freiwillige Lärmsanierungsprogramm des Bundes, in das heute jährlich 150 Millionen Euro einfließen.

Folgende Auslösewerte (in dB (A)) zur Lärmsanierung werden zugrunde gelegt: Für Krankenhäuser, Schulen, reine/allgemeine Wohngebiete gelten am Tag (6 bis 22 Uhr) 67, in der Nacht 57. Für Kern-, Dorf- und Mischgebiete gelten am Tag 69 und in der Nacht 59. Für Gewerbegebiete liegen die Werte tags bei 72 und nachts bei 62.

Damit eine Bahnstrecke lärmsaniert wird, müssen die Anwohner die Maßnahmen beantragen, es muss Geld und Planungskapazität vorhanden sein und die genannten Werte müssen überschritten sein. Ein Rechtsanspruch besteht nicht. Basis für die Maßnahmen ist die Berechnung des Beurteilungspegels für Schienenwege (Schall 03), die auch für Neubaustrecken angewendet wird.

Seit vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass die Lärmminderung an der Quelle, also die Lärmvermeidung, sehr viel kostengünstiger und effizienter ist als die Lärmminderung am Ausbreitungsweg. Auch die Broschüre „Lärmschutz im Schienenverkehr“ (2016) der Bunderegierung fordert diesen Ansatz. So wurde in der Revision der „Schall 03“ von 2014 der Weg, Lärmminderung an der Quelle einzuführen, ermöglicht. Allerdings ist das sehr viel mühsamer. Meistens sind die klassischen Maßnahmen der Lärmminderung am Ausbreitungsweg das Resultat der Lärmsanierung: Schallschutzfenster und Lärmschutzwände. Vereinfacht gesprochen wird eine Minderung der Lebensqualität, nämlich Lärm durch eine andere Einschränkung, nämlich Einengung ersetzt.

Durch die Auswirkungen des Schienenverkehrslärmschutzgesetzes wird nicht nur der Pegel des Rollgeräusches kleiner, sondern auch das die Frequenz der dominierenden Amplituden deutlich abgesenkt. Dies hat sehr negative Auswirkungen auf die Schutzwirkung der Lärmschutzwand. Die ohnehin schon geringen Absorptionseigenschaften werden weiter verschlechtert und die Beugungseffekte vergrößert. Beides reduziert die Schutzwirkung.

Umsetzung der EU-Umgebungslärmrichtlinie

Die EU-Umgebungslärmrichtlinie wurde 2003 zu einem Zeitpunkt erlassen, als der Europäischen Union Überregulierung vorgeworfen wurde. Sie besteht deshalb nur aus der formalen Vorschrift, dass Lärmkarten und Lärmaktionspläne erstellt werden müssen und die Öffentlichkeit zu beteiligen ist. Es sind aber keine Ziele vorgegeben. In Deutschland werden nun genau die formalen Vorgaben eingehalten, um ein Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden, aber es gibt keine Lärmminderungsziele!

Diverse Gerichtsurteile zeigen das Problem auf. So unterlag die Gemeinde Mahlberg (Baden-Württemberg) in ihrem Ansinnen, ein besonders überwachtes Gleis bei der DB Netz einzufordern, vor dem Verwaltungsgericht Freiburg (11. August 2016). Nur das Eisenbahnbundesamt ist gegenüber der DB Netz forderungsberechtigt, macht das im akustischen Bereich bei Bestandsstrecken jedoch nicht.

Das neue Schienenlärmschutzgesetz (SchLärmSchG, seit 29. Juli 2017 in Kraft) schreibt vor, dass bis 2020 keine graugussgebremsten Wagen mehr unterwegs sein dürfen. Die Schweiz hat ein Gesetz mit gleicher Zielrichtung erlassen. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten, da nun alle Fahrzeuge in etwa gleich laut sind. Viele Maßnahmen, die bisher von den lauten Güterwagen überdeckt wurden, können nun zur weiter notwendigen Lärmminderung ergriffen werden.

Das erste Problem sind die Rollgeräusche, die von Rad, Schiene und Schwelle abgestrahlt werden. In der „TSI Noise“ (Technische Spezifikation für die Interoperabilität) werden Emissionsgrenzwerte definiert, die bei akustisch gutem Gleis einzuhalten sind. In der Praxis liegt jedoch nicht immer ein akustisch gutes Gleis vor. Zudem bestehen überhaupt keine akustischen Vorgaben für Gleise, nicht einmal Abnahmevorschriften. Die Deutsche Bahn in Form der Tochtergesellschaft DB-Netz rüstet in ganz Deutschland den Ausbaustandard der Gleise nach DB-Richtlinie 820 aus. Dort existiert das Thema Lärm nicht. Im Gegensetz dazu zeigt die Euronorm EN ISO 3095:2005 im Anhang D den großen Einfluss der Gleisbauart auf den Lärm exemplarisch auf.

Bis zum Jahr 2020 werden die Minderungsmöglichkeiten des Bahnlärms an der Quelle deutlich zunehmen. Insbesondere der Regionalverkehr hat nun die Chance, durch tiefe Grenzwerte die Situation zu verbessern. Standard war bislang, als Minimalziel die TSI Noise-Werte einzuhalten. Selbst Vorzeigeprojekte wie der Rheinruhrexpress (RRX) begnügen sich mit diesen schlechtesten in Europa erlaubten Grenzwerten. Einzige Ausnahme bisher ist die Ausschreibung der S-Bahn Berlin, die verschärfte Werte verlangt, nämlich als Standgeräusch der S-Bahn 60 dB(A), statt TSI 65 dB(A) sowie für Anfahrt 77 dB(A), statt TSI 80 dB(A) und Vorbeifahrt 79 dB (A) statt TSI 80 dB(A).

Außer der deutlichen Verschärfung der TSI-Werte ist die Aufnahme weiterer Betriebszustände zu fordern, wenn dies relevant ist, zum Beispiel Kurven- und Tunnelfahrt oder Auf- und Abrüstpegelwerte für Dienstbeginn und Dienstende der Fahrzeuge.

Leider ist es bisher aus rechtlichen Gründen nicht möglich, dass akustische Qualitätsstandards für das Gleis gesetzt werden. Aus den sogenannten Regionalisierungsmitteln zur Finanzierung des Schienenverkehrs werden zwar überproportionale Beiträge für die Gleisinstandhaltung gezahlt, ohne dass damit die autonomen Entscheidungen der DB Netz beeinflussbar sind. Daher ist dringend die DB Richtlinie 820 mit akustischen Kriterien nachzurüsten, auf die dann bei der Bestellung der Regionalverkehrsleistungen langfristig Einfluss genommen werden kann.

Aktuell kann der Lärm durch Maßnahmen am Fahrzeug deutlich reduziert werden. Werden zum Beispiel die Stromabnehmer auf dem Dach der Loks abgeschirmt, mindert das den bei hohen Geschwindigkeiten auftretenden großen Strömungslärm.

Markus Hecht

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Markus Hecht ist Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin