Wie wünschen sich Bürger ihre Stadt?

Grüne Oasen, die mehr und mehr den Raum von Asphalt, Beton und Stein übernehmen: Das wünschen sich Bürgerinnen und Bürger für die Zukunft. Foto: Adobe Stock/sururu

Mehr Grün und natürliche Lebensräume, weniger Abfall, angemessener und bezahlbarer Wohnraum: So stellen sich Bürger die lebenswerte Stadt 2030 vor.

Der Beitrag der Kommunen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn es darum geht, die 17 Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu erreichen. Denn vor Ort – dort, wo die Menschen leben – wird Nachhaltigkeit umgesetzt.

Weltweit lebt mehr als die Hälfte der Menschen in Städten, in Deutschland sind es sogar drei Viertel. Bis zum Jahr 2050 werden über 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Sie verbrauchen schon jetzt bis zu 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie, erwirtschaften rund 80 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und sind für bis zu 70 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes der Menschheit verantwortlich. Folgerichtig konstatiert das High-Level Panel für die Post-2015-Agenda der UN: „In den Städten wird der Kampf um eine nachhaltige Entwicklung gewonnen oder verloren.“

Visionen einer nachhaltigen Stadt der Zukunft

In den Kommunen werden Fehleinschätzungen, vor allem aber auch Erfolge, Umsetzungsfortschritte und gute Beispiele für nachhaltige Entwicklung wie durch ein Brennglas sichtbar. Bedingt durch ihre Grundausrichtung an den Paradigmen des Gemeinwohls und der Lebensqualität für die Bürger ist Nachhaltigkeit keine Strategie, die den Kommunen übergestülpt wird, sondern dort wird sie seit Jahren gelebt. Sie ist Grundlage des Handelns.

Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ging der Frage nach, wie die Menschen Visionen einer nachhaltigen Stadt der Zukunft für ihren Wohnort bewerten und wie sie den Umsetzungsstand dort einschätzen.

Befragt wurden 1019 Personen ab 14 Jahren in Städten mit mindestens 50.000 Einwohnern. Neun Zukunftsvisionen wurden exemplarisch aus den SDGs abgeleitet: Vorstellungen davon, wie die Stadt der Zukunft organisiert und beschaffen sein könnte.

Die Hoffnung auf „Urbane Wildnis“

Die „Urbane Wildnis“ hat sich als bevorzugte Vision der deutschen Stadtbevölkerung erwiesen: Als Umschreibung einer Stadt, die in besonderem Maße dem Verlust der Artenvielfalt entgegensteuert, indem sie etwa vielfältige Lebensräume für Flora und Fauna bietet und sie auch auf neue Art in bebaute Flächen integriert.

Dicht gefolgt von der „Abfallfreien Stadt“, die sich in unterschiedlichen Handlungs-bereichen am Prinzip der Kreislaufwirtschaft orientiert und die Ressourcen- und Energieverbräuche auf ein notwendiges Minimum reduziert.

Auf Platz drei: Die Stadt der Zukunft, die allen Menschen einen ausreichenden, angemessenen und bezahlbaren Wohnraum bietet. Diese Vision „Wohnraum für alle“ zeichnet sich durch eine hohe soziale Gerechtigkeit aus und kann letztendlich zur Verringerung der Armut in der Bevölkerung beitragen.

Erheblicher Handlungsbedarf

Den geringsten Anklang fand die Vision der „Sharing City“, in der die Menschen ihre Besitztümer und damit ihren Konsum auf das Wesentliche konzentrieren: Indem sie diverse Dinge teilen und leihen, anstatt sie zu kaufen und dann häufig kaum benutzt wegzuwerfen und neu anzuschaffen.

Der Ergebnisbericht des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) fördert nicht unerheblichen Handlungsbedarf zutage. Denn der Umsetzungsstand aller neun abgefragten Visionen liegt jeweils deutlich hinter den Wünschen zurück.

Auch wenn die präferierte Zukunftsvision, die „Urbane Wildnis“, aus Sicht der Befragten schon heute am weitesten umgesetzt ist, zeigt sich eine deutliche Lücke hinsichtlich der realen Umsetzung vor Ort. Die größte Diskrepanz zwischen der Erwünschtheit in der Zukunft und dem aktuellen Umsetzungsgrad findet sich bei der Vision „Wohnraum für alle“, die nicht ohne Grund zu den derzeit drängendsten kommunalen Herausforderungen überhaupt gehört.

Starker Wunsch nach Partizipation

Weiterhin liegen aus Sicht der Befragten nicht unerhebliche Diskrepanzen beim Konzept der „Abfallfreien Stadt“ und der „Schwammstadt“, gefolgt von „Autofreier Stadt“ und der „Smart City“. Der geringste Handlungsbedarf scheint in der Wahrnehmung der Bevölkerung wieder bei der „Sharing City“ zu liegen.

Die Einschätzungen in der Altersgruppe bis 27 Jahre unterscheiden sich in einigen Aspekten deutlich von denen der befragten Gesamtbevölkerung. Jungen Menschen ist das Thema „Klima“ deutlich wichtiger, und auch die Vision der „Selbstversorgenden Stadt“ findet bei ihnen mehr Zuspruch. Besonders wichtig ist ihnen die „Autofreie Stadt“.

Junge Menschen finden direktdemokratische Angebote wünschenswerter als andere Altersgruppen – dies zeigt einen starken Wunsch nach Partizipation. Darüber hinaus thematisierte die junge Altersgruppe deutlich häufiger soziale Themen. Oliver Haubner

Der Autor: Oliver Haubner ist Nachhaltigkeitsexperte in der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.