Wie sieht die Post-Corona-Stadt aus?

In der Kreuzberger Kneipe Tante Lisbeth dient seit Sommer 2020 auf Grund der Corona-Einschränkungen ein Parkplatz als Außengastronomiefläche. Foto: Reto Klar/FUNKE Foto Services

Die Imakomm-Akademie hat im November eine Studie zur Situation der Innenstädte seit Beginn der Pandemie vorgestellt. Die Ergebnisse relativieren Prognosen und zeigen Handlungsoptionen.

„Brennglas“, „Brandbeschleuniger“, „Todesstoß“ – Bezeichnungen für Effekte der Corona-Pandemie in den Innenstädten sind sowohl vielfältig als auch zu hinterfragen. Genau das will die Studie der Imakomm-Akademie GmbH Aalen und Stuttgart tun. Die Studie basiert auf einer Online-Befragung von Kommunen und Wirtschaftsvereinigungen. Fachlich begleitet wurde die Studie von DIHK, kommunalen Spitzenverbänden, Dachverbänden der Stadtmarketingorganisationen und der Wirtschaftsfördereinrichtungen in Deutschland.

Die vorliegenden Kennziffern zeigen die nachhaltigen Veränderungen in den Innenstädten, relativieren aber auch manche düstere Prognose:

  • Die Handelslage wird „schrumpfen“, vermutlich um 11 bis 12 Prozent. Eine 400 Meter lange Innenstadtlage mit Handelsbesatz wird also künftig nur noch auf gut 350 Metern Länge ein Handelsangebot vorhalten können.
  • Insgesamt wird eine dauerhafte Leerstandsquote von 14 bis 15 Prozent in einer Innenstadt wohl als durchschnittlich gelten. Vor Corona waren es rund 10 Prozent.
  • Die Kundenfrequenz in den Innenstädten wird sich dauerhaft erholen, allerdings nur dann das Vorkrisenniveau erreichen, wenn echte Besuchsgründe, die über Einkaufen hinausgehen, ausgebaut und erlebbar gemacht werden.

Innenstädte stabilisieren

Die Studie zeigt auf, welche schnellen Maßnahmen zur Stabilisierung der Innenstädte bisher umgesetzt werden – und welche wünschenswert wären:

  • Vor allem die Erlebbarkeit des „Produktes Innenstadt“ soll schnell weiterentwickelt werden. Seine Erreichbarkeit und die Digitalisierung sind zwar Themen, aber nicht prioritär. Darin sind sich Kommunen und Wirtschaftsvereinigungen einig.
  • Der Instrumentenkasten zur Innenstadtstabilisierung scheint groß. Als besonders effektive Maßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung haben sich Mikroevents, das Erlebbarmachen von Alleinstellungsmerkmalen und die Betonung regionaler Angebote herausgestellt.
  • Durch die Pandemie wurde die Schlüsselrolle von Immobilieneigentümern für eine funktionierende Innenstadt unterstrichen. Mit dem ersten Lockdown erfolgten meist eine temporäre Reduzierung des Mietzinses (in rund 60 Prozent aller Standorte) sowie die Stundung von Mietzahlungen (53 Prozent). Aus Standortsicht bedarf es in den kommenden Jahren vor allem flexiblerer Mietmodelle und einer Absenkung des allgemeinen Mietpreisniveaus.
  • Die digitale Sichtbarkeit der Innenstadt, insbesondere bei gewerblichen Anbietern, erfuhr mit Corona einen Schub. Hier besteht ein klarer Trend nach Größe der Standorte. Die digitale Sichtbarkeit wurde in Kleinstädten weniger stark ausgebaut und wird in den kommenden Jahren wohl überdurchschnittlich häufig wieder zurückgefahren werden. Es besteht dabei die Gefahr, dass die bessere digitale Sichtbarkeit in Kleinstädten nur ein „Strohfeuer“ war und die Schere zu größeren Standorten weiter aufgeht.

Funktionen und Erreichbarkeit der Ortskerne

Die Studie zeigt schließlich Ansatzpunkte für eine langfristige Weiterentwicklung. Zwei Beispiele sind die künftige Funktion und Erreichbarkeit der Innenstädte.

1. Welche Funktionen die Innenstadt langfristig umfassen wird:

Die Gleichung „Innenstadt = Einkaufen“ stimmt in dieser Klarheit nicht mehr, insbesondere in Klein- und Mittelstädten. An Bedeutung werden vor allem die Funktionen Wohnen, Aufenthaltsbereiche und Spielmöglichkeiten, Coworking-Spaces, Frei- und Grünflächen sowie Betreuungseinrichtungen gewinnen. Damit eine multifunktionale Innenstadt entsteht, sehen die Standorte einen „Dreiklang“:

  • Innenstädte müssen stärker als bisher unterschiedliche Akteure einbinden. Die Zentren werden zu „Gemeinsam-Projekten“. Das dürfte einen erheblichen Koordinationsaufwand auf kommunaler Seite bedeuten.
  • 71 Prozent der Standorte plädieren für eine Forcierung von „Reallaboren“, um verschiedene Ansätze bei den Funktionen testen zu können.
  • Innenstädte sind zu Orten der Kommunikation zu entwickeln, mit Begegnungs- und Freiflächen. Nur 8 Prozent aller Standorte sind der Meinung, dass bisher ausreichend Möglichkeiten zum Austausch in „ihrer“ Innenstadt bestehen.

2. Wie die Erreichbarkeit der Post-Corona-Innenstadt aussehen wird:

Die Post-Corona-Innenstadt scheint sich von dogmatischen Sichtweisen beim Thema Erreichbarkeit zu verabschieden. Weder die autofreie Innenstadt, noch eine grundsätzliche Erreichbarkeit für den Individualverkehr werden mehrheitlich für sinnvoll erachtet. Peter Markert

Der Autor: Dr. Peter Markert ist Geschäftsführender Gesellschafter des Stadtmarketingexperten Imakomm in Aalen und Stuttgart.

Info: Das A-B-B-A-Modell als Orientierungshilfe

Auf Basis der Ergebnisse wurde ein Modell entwickelt, das Anhaltspunkte für die Innenstadtentwicklung gibt:

  • Agilere Strukturen: Dem „Faktor Mensch“ kommt künftig als Mitgestalter eine größere Bedeutung zu. Bisherige Strukturen (wie Gewerbevereine) müssen ergänzt werden.
  • Belebungspotenziale als Ansatz: Mit der Rückkehr zu einer multifunktionalen Innenstadt bedarf es der Abkehr von der (reinen) Verkaufslogik. Notwendig ist ein integriertes Konzept, das Belebungspotenziale gleichermaßen berücksichtigt (Gastronomie, Handwerk, Handel, nicht kommerzielle Räume, usw.).
  • Besonderheiten auf-/ausbauen: Angesichts begrenzter Ressourcen muss auf besonders effektive Maßnahmen gesetzt werden, die Wettbewerbsvorteile betonen.
  • Ausbau als resilienter Stadtraum: Resilienz wird zum Wettbewerbsvorteil. Die Studie beschreibt die notwendigen Faktoren.

Die Ergebnisse sind abrufbar unter www.imakomm-akademie.de.