Vorbereiten auf den Blackout

Die Folgen eines langanhaltenden Stromausfalls sind nur bedingt vorhersehbar – umso wichtiger ist es, dass Kommunen handlungs- und entscheidungsfähig bleiben, betonen die Sicherheitsexperten. Foto: Adobe Stock/ric

Was ist, wenn Strom und Wasser nicht mehr fließen und die Kommunikationsnetze zusammenbrechen? André Röhl und Rico Kerstan haben Konzepte entwickelt, mit denen Kommunen organisationale Resilienz planen können.

Die aktuelle Debatte um die Folgen von Stromausfällen nach Lastabschaltungen oder durch einen Blackout zeigt auf, wie vulnerabel unsere digitalisierte Gesellschaft ist. Kommunen müssen Handlungsoptionen entwickeln, um mit den Auswirkungen komplexer Ereignisse umzugehen. Um die Resilienz unserer Gesellschaft auch in Zeiten großer Ungewissheit zu steigern, bedarf es Mut, die Verantwortlichkeiten für Krisenvorsorge und -bewältigung neu zu denken.

Die Folgen eines langanhaltenden Stromausfalls sind nur zum Teil vorhersehbar. Entsprechend können sie nur bedingt im Vorfeld vorbereitet werden. Oberstes Ziel der Vorbereitungen ist daher die Wahrung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Für kreisangehörige Gemeinden bedeutet dies, dass sie sich im Rahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr auf die vielschichtigen Auswirkungen eines umfassenden Stromausfalls vorbereiten müssen.

Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass im Falle des Stromausfalls Kommunikationsverbindungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eingeschränkt sind und an die Stelle einer übergeordneten Koordinierung eine dezentrale Eigenverantwortung treten muss. Die Auswirkungen können derart komplex sein, dass die Wiederherstellung der Stromversorgung nicht gleichbedeutend mit dem Funktionieren des gesellschaftlichen Lebens ist. Durch Spillover-Effekte zwischen Systemen und Prozessketten ist auch nach Wiederherstellung der Stromversorgung mit erheblichen Einschränkungen zu rechnen.

Die eigene organisationale Resilienz im Fokus

Die Covid-19-Pandemie hat zudem gezeigt, dass die Legaldefinition von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) in einer umfassenden Krise nur wenig hilfreich ist. Beispielsweise fallen von rund 2000 Krankenhäusern in Deutschland nur knapp 200 unter die gesetzliche KRITIS-Definition nach BSIG. Für die einzelne Kommune ist ein Krankenhaus aber dennoch von großer Bedeutung.

Zudem müssen die kommunalen Verwaltungen selbst als kritisches Element verstanden werden, sind diese doch wichtiger Teil der örtlichen Gemeinschaft. Aber auch Ad-Hoc-Auslegungen zur „Systemrelevanz“ waren in der Vergangenheit im Ergebnis zu ungenau, um daraus eine zielgerichtete Vorbereitung auf kommunaler Ebene abzuleiten.

Kommunalverwaltungen sollten daher die eigene organisationale Resilienz in das Zentrum der Vorbereitungen stellen. Das von uns entwickelte Resilienzmodell unterscheidet hierbei vier Handlungsfelder organisationaler Resilienz:

  • Widerstandsfähigkeit (Verringerung von Risken und Schäden),
  • Bewältigungsfähigkeit (Überwindung des Schadens),
  • Verständnis des inneren Ökosystems (organisationsspezifisches Handeln in der Verwaltung),
  • Verständnis des äußeren Ökosystems (organisationsspezifisches Handeln in der Kommune).

Die unterschiedlichen Reifegrade der Handlungsfelder resultieren in unterschiedlichen Evolutionsstufen organisationaler Resilienz. Nano- und Mikro-Resilienz fördern durch entschlossenes und agiles Handeln die Störungsbehebung.

Meso-Resilienz umfasst ein funktionierendes Krisenmanagement zur Aufrechterhaltung der wichtigsten Prozesse. Makro-Resilienz ermöglicht durch Kooperation unterschiedlicher Akteure die gemeinsame Nutzung und den Austausch notwendiger Ressourcen. Sie macht Ressourcen für die Verwaltung nutzbar, die sonst verborgen bleiben, weil sie nicht zu den klassischen Akteuren der Gefahrenabwehr gehören.

Aufbauend auf dem Resilienzmodell haben wir eine Methode zur Analyse des Gesamt-ökosystems in der Kommune entwickelt: die Municipal Impact Analysis, kurz MIA (übersetzt: kommunale Wirkungsanalyse). Der Name leitet sich von der „Business Impact Analysis“ ab, dem Kernelement betrieblicher Kontinuitätsplanungen. Ziel von MIA ist es, die Handlungsfähigkeit der Kommunalverwaltung als Organisation zu verbessern und die Bewältigungsfähigkeit in der örtlichen Gemeinschaft zu erhöhen.

Die sieben Schritte der Municipal Impact Analysis (MIA):

  1. Der erste Schritt von MIA ist die Abgrenzung des zu betrachtenden Ökosystems. Sie hat wesentliche Auswirkungen auf die zu betrachtenden Verwaltungsdienstleistungen und Organisationen von kommunaler Bedeutung. Bei der Abgrenzung sind die tatsächlichen Wirkungsketten zu analysieren, die sich nicht immer an kommunale Gebietsgrenzen halten – auch ein Klärwerk in der Nachbargemeinde muss Berücksichtigung finden. Bei Schritt 1 werden zudem Kritikalitätsstufen als Grundlage für die spätere Einordnung von Sachverhalten abgestimmt. In ihnen drückt sich die Entscheidung aus, welche Risiken akzeptiert werden können. Zudem müssen Szenarien definiert werden, die in der Analyse Berücksichtigung finden sollen, zum Beispiel Stromausfall, Flut oder Dürre.
  2. In einem zweiten Schritt folgt die Erhebung der Organisationen von kommunaler Bedeutung. Sie umfassen Organisationen der KRITIS-Sektoren ebenso wie Organisationen, die über besondere Ressourcen wie Fuhrpark und Stromgeneratoren oder besondere Bedarfe, zum Beispiel Pflegeheime oder Dialysepraxen, verfügen.
  3. Im dritten Schritt wird in einem Expertenworkshop mit Vertretern der Verwaltung und ausgewählter Organisationen die Bedeutung jeder Organisation für das Ökosystem „Kommune“ bewertet. Dies beinhaltet für jedes Szenario eine organisationsbezogene Einschätzung der Ausfallwirkung, der Unterstützungsbedürftigkeit und des Unterstützungspotentials entlang einer zeitlichen Entwicklung (zum Beispiel vier, acht, 24, 48 Stunden) im Einklang mit den im ersten Schritt definierten Kritikalitätsstufen.
  4. Im vierten Schritt werden im Kontext des Ökosystems die wichtigsten Prozesse innerhalb der kommunalen Verwaltung identifiziert: Welche Auswirkung hat der Ausfall der Verwaltungsdienstleistung in den jeweiligen Zeitspannen?
  5. Es folgt die Einschätzung der akzeptablen Ausfallzeiten sowohl bezüglich der Verwaltungsprozesse als auch der Prozesse innerhalb des Ökosystems. Diese ergeben sich je Szenario aus den Analysen der Schritte drei und vier.
  6. Im sechsten Schritt werden die individuelle Widerstands- und Bewältigungsfähigkeit von Organisationen und Verwaltung eingeschätzt. Dies erfolgt im Gespräch mit der Organisation selbst. Mögliche Leitfragen sind: Wie lange kann die Organisation den Betrieb aufrechterhalten? Welche Ressourcen können wann bereitstellt werden? Welche benötigt sie wann? Zur Bewertung werden die zuvor genutzten Zeitspannen genutzt.
  7. Im siebten und letzten Schritt werden die Widerstandswerte mit den akzeptablen Ausfallzeiten verglichen. Im Falle von Abweichungen werden Handlungs-empfehlungen zur Anpassung der organisationalen Kompetenzen erstellt und umgesetzt.

MIA liefert der kommunalen Verwaltung ein fundiertes Lagebild zu Potenzialen, aber auch Schwächen in der eigenen Verwaltung und im kommunalen Ökosystem. Sie ist Voraussetzung für eine zielgerichtete Steuerung von Ressourcen im Krisenfall, für Investitionen und für die Förderung kommunaler Resilienz.

MIA macht Gefahrenabwehr zum kommunalen Gemeinschaftsprojekt. Auch trotz neuartiger Bedrohungs- und Krisenszenarien kann auf diese Weise die unverzichtbare Kompetenz der kommunalen Selbstverwaltung zur Lösung von Krisen zur Geltung gebracht werden. André Röhl, Rico Kerstan

Die Autoren: Prof. Dr. André Röhl ist Leiter des Studiengangs Sicherheitsmanagement an der NBS Northern Business School in Hamburg. Er ist Mitbegründer des Deutschen Instituts für Sicherheit und Krisenvorsorge (DISK). Rico Kerstan, MBA, berät als Geschäftsführer der KR Krisensicher Risikoberatung GmbH Verwaltungen und kritische Infrastrukturen bei der Verbesserung ihrer Risiko- und Sicherheitsmanagementprozesse.