Massive Übergriffe auf Frauen: Die Silvesternacht 2015 in Köln war einer der maßgeblichen Anlässe dafür, die Videobeobachtung der Domstadt auszuweiten.
Die Vorfälle machten bundesweit Schlagzeilen: In der Silvesternacht 2015 wurden zahlreiche Frauen bestohlen und zum Teil massiv sexuell bedrängt. Hätte mit Videobeobachtung die Nacht anders verlaufen können?
Martin Lotz: Mit einem Live-Überblick über den Bahnhofsvorplatz hätten die Einsatz-bearbeiter der Leitstelle die Lage anders einschätzen können. Im besten Fall hätte die Polizei durch konsequentes Einschreiten Übergriffe verhindern können.
Wie ist die Situation in Köln heute?
Lotz: Die Videobeobachtung ist ein Baustein der 2016 gestarteten Präsenzoffensive an Brennpunkten. Seitdem wird Videobeobachtung verstärkt eingesetzt, um Gefahren-situationen frühzeitig erkennen und schnell handeln zu können. Hinweisschilder informieren über die Videobeobachtung – es ist also klar, dass die Polizei jederzeit im Bild ist, und die wahrnehmbare Videobeobachtung hat sicherlich eine abschreckende Wirkung.
Abschreckung ist das eine, Strafverfolgung das andere. Nach der Silvesternacht 2015 gab es zahlreiche Anzeigen, aber kaum Verurteilungen. Wäre das mit Videoaufzeichnungen anders ausgegangen: Leisten sie einen Beitrag zur Identifizierung von Tatverdächtigen?
Lotz: Die Statistik der vergangenen zwei Jahre gibt einen Hinweis darauf, dass es so ist. 2020 gab es 4149 Einsätze, die durch die Videobeobachtung erfasst wurden oder bei denen sie im Einsatzverlauf hinzugeschaltet wurde, um zum Beispiel bei Fahndungen zu unterstützen. Daraufhin gab es 1986 Archivierungsaufträge in Verbindung mit der Videobeobachtung: Aufträge zur Speicherung von Videoaufzeichnungen, die zur Beweissicherung in bestehenden Ermittlungsverfahren genutzt werden. Im Corona-Jahr 2021 gab es 3606 Einsätze in Verbindung mit der Videobeobachtung und 2455 Archivierungsaufträge.
Ist der vermehrte Einsatz von Videokameras eine Reaktion auf die Silvesternacht 2015?
Lotz: Die „Kölner Silvesternacht“ war einer der maßgeblichen Auslöser für die Präsenzoffensive, zu der auch die Videobeobachtung zählt. In der ersten Ausbaustufe übertrugen Kameras Bilder vom Hauptbahnhof und aus dem Domumfeld. Später auch von der Partymeile „Ringe“.
Wie viele Videokameras haben Sie in Köln im Einsatz?
Lotz: Die Videobeobachtungszentrale der Leitstelle der Polizei Köln hat Zugriff auf 103 Kameras im Kölner Stadtgebiet. Lediglich sieben Kameras am Breslauer Platz werden aktuell nicht genutzt. Die genauen Standorte sowie die Sichtbereiche der Videobeobachtung sind jederzeit im Internetauftritt der Polizei Köln einsehbar.
Wie lange sind die Bilddaten verfügbar?
Lotz: Sie werden 24 Stunden am Tag erfasst, aufgezeichnet, gespeichert und nach 14 Tagen automatisch gelöscht, sofern sie nicht als Beweismittel in Strafverfahren dienen.
An welchen Orten im öffentlichen Sektor macht Videobeobachtung Sinn?
Lotz: Sie darf nur stattfinden, wenn ein unverzügliches Eingreifen der Polizei möglich ist. Bei allen Videobereichen handelt es sich um Kriminalitätsschwerpunkte mit einer Vielzahl an Delikten und Einsatzanlässen: Videobeobachtung macht Sinn, wenn Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mit ihrer Hilfe effektiver sind. Ebenso, wenn an einem Ort in der Vergangenheit wiederholt Straftaten begangen wurden und der Ort die Straftaten begünstigt. Oder wenn davon auszugehen ist, dass an einem Ort zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder begangen werden.
Fühlen sich Bürgerinnen und Bürger durch Videopräsenz sicherer oder vor allem kontrolliert?
Lotz: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: Sie reichen von ausdrücklicher Befürwortung bis hin zu derzeit noch anhängigen Klagen gegen die Videobeobachtung.
Wie ist Ihr Fazit bis jetzt?
Lotz: Aus Sicht der Kölner Polizei ist das Fazit für die verstärkte Videobeobachtung auf jeden Fall positiv.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person: Martin Lotz ist Leitender Polizeidirektor, Leiter der Direktion Gefahrenabwehr und Einsatz in Köln.