Stadtentwicklung: altersfreundlich wohnen

Die meisten Seniorinnen und Senioren wollen selbstständig und selbstbestimmt in vertrauter Umgebung alt werden. Zugleich müsste es Anreize dafür geben, dass sie weniger Wohnraum nutzen, so Karin Haist. Foto: Adobe Stock/goodluz

Die Zahl der Seniorinnen und Senioren steigt: Karin Haist plädiert dafür, dass Kommunen sich am Leitbild einer altersfreundlichen Stadt orientieren – und stellt ein bemerkenswertes Konzept aus Zürich vor.

Altersfreundlich zu werden, ist für Kommunen eine große Zukunftsaufgabe. Während die Geburtenraten seit Jahrzehnten gesunken sind, steigt der Anteil der Älteren stetig. Die Babyboomer, fast ein Drittel der Bevölkerung, sind heute zwischen 53 und 68 Jahre alt. Innerhalb einer überschaubaren Frist werden sie alle in der Nacherwerbsphase sein. Aktuell sind 16 Millionen über 67 Jahre alt; für 2030 werden vom Statistischen Bundesamt 20 Millionen prognostiziert.

Spürbar wird der demografische Wandel zuerst in den Städten und Gemeinden. Egal, ob „junge“ Groß- und Universitätsstädte oder Orte im Strukturwandel, aus denen die Jüngeren abgewandert sind: Die alternde Gesellschaft muss in allen Kommunen gestaltet werden. Lokale Politik und Verwaltung können sich dabei am Leitbild einer alters-freundlichen Stadt ausrichten.

Für sie definiert die Weltgesundheitsorganisation acht Handlungsfelder – erprobt in den rund 1500 internationalen Mitgliedsstädten des „WHO Global Network for Age-friendly Cities and Communities“. Die meisten beziehen sich auf kommunale Infrastruktur, zum Beispiel Mobilität und Verkehr oder öffentliche Räume: Ältere Bürgerinnen und Bürger brauchen einen zugänglichen und altersgerechten öffentlichen Nahverkehr, Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum, niedrigschwellige Begegnungsorte sowie öffentliche Gebäude, die gut ausgeschildert und erreichbar sind.

Bürgerinnen und Bürgern über 65 gerecht werden

Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge, Betreuung oder Pflege sollten im besten Fall im Nahbereich zugänglich sein, denn der Aktionsradius nimmt gerade bei Hochaltrigen ab. Aber in der altersfreundlichen Stadt meint „Zugang“ mehr als Barrierefreiheit und Versorgung. Es geht ebenso um soziale, kulturelle und politische Teilhabe, um das Engagement älterer Bürgerinnen und Bürger oder ihre Möglichkeiten, Arbeit auszuüben.

Es ist wichtig, dass die lokalen Entscheider und Entscheiderinnen die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen über 65 kennen – und die sind divers. Alt, sprich über 65, sind in Deutschland mindestens zwei Generationen, viele Ethnien und soziale Gruppen mit sehr unterschied-licher Bildung und Qualifikation. Der gesellschaftliche und ökonomische Status hat großen Einfluss auf Alter und Lebenserwartung. 15,7 Prozent der Menschen über 65 galten nach dem Statistischen Bundesamt 2020 als armutsgefährdet. Die derzeitige Inflation und Teuerung werden den Kreis vermutlich erhöhen.

Ein differenziertes Altersbild verhindert zudem die einseitige Wahrnehmung von Alter als defizitär. Kommunen können erheblich von den Potenzialen der Bürger und Bürgerinnen über 65 profitieren, zum Beispiel von ihren ökonomischen Ressourcen, ihrem Engagement oder ihrem Beitrag zur Pflege innerhalb der Familie.

Gut, aber nicht allzu groß wohnen

Die Lebensqualität im Alter wird wesentlich davon bestimmt, wie Menschen wohnen. Die meisten wollen selbstständig und selbstbestimmt in vertrauter Umgebung alt werden. Das zu ermöglichen, ist eine zentrale Aufgabe der altersfreundlichen Kommune. Denn Zuhause alt werden zu können, heißt nicht nur, dass die eigene Wohnung altersgerecht ist. Es geht auch um die soziale Einbindung in der Nachbarschaft, um erreichbaren Einzelhandel oder medizinische Versorgung.

Ob im urbanen oder ländlich-kleinstädtischen Raum: Die Bedürfnisse der Älteren müssen von den Kommunen bei jeder integrierten Gestaltung des Ortes oder Quartiers berücksichtigt werden. Der öffentliche Raum sollte Aufenthaltsqualität wie Begegnungs-möglichkeiten bieten. Pflegezentren, betreutes Wohnen oder Service-Wohnungen müssen geschaffen werden. Für Dörfer und Randregionen mit mangelnden Infrastruktur- und Mobilitätsmöglichkeiten sind Konzepte für eine dezentrale Versorgung gefragt, vielleicht auch durch die Kooperation von Gemeinden.

Mit der Alterung der Babyboomer wird langfristig aber auch der aktuelle Bedarf an Wohnraum sinken. Es ist sinnvoll, heute eher im Bestand altersgerecht zu sanieren, als nur neu zu bauen. Gegen Neubau spricht zudem, dass viel Wohnraum vorhanden, er aber nicht generationengerecht aufgeteilt ist. Die Wohnfläche pro Person beträgt bei Menschen unter 45 Jahren im Schnitt rund 37 Quadratmeter, bei 45- bis 65-Jährigen 46 Quadrat-meter und bei Menschen über 65 fast 60 Quadratmeter.

Die Babyboomer leben mehrheitlich im Eigentum oder zahlen günstige Mieten. Sie bleiben auch nach dem Auszug der Kinder auf zu großen Flächen, die den nachfolgenden Generationen fehlen. Kommunen könnten Anreize zum Umzug in kleinere, aber nicht teurere Wohnungen setzen, zum Beispiel mit Tauschbörsen.

Studentisches Mitwohnen in Zürich

Ein ganzheitliches Konzept zum Thema Wohnen im Alter hat die Stadt Zürich entwickelt. Das Angebot an kostengünstigen Alterswohnungen wird konstant erhöht, vorhandene werden barrierefrei saniert. Die Stadt vergibt durch langfristige Baurechtsverträge gezielt städtische Grundstücke an genossenschaftliche und zivilgesellschaftliche Bauträger.

Individuelle Beratung bei Hausbesuchen und in quartiersnahen Fachstellen, ambulante Unterstützungsangebote und Musterwohnungen für smarte Technologien helfen Älteren, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu bleiben. Alten- und Pflegeheime öffnen sich in ihre Quartiere – der soziale Austausch erfolgt dort auch generationsübergreifend durch studentisches Mitwohnen. In einem Kooperationsprojekt der Stadt entsteht ein Wohn- und Lebensort für Ältere der LSBTIQ* Community.

Grundlage der erfolgreichen Wohnpolitik ist die Zürcher „Altersstrategie 2035“, für die Wohnen und Quartier eine zentrale Rolle spielen. Die Strategie und den Maßnahmenplan hat die Verwaltung in einem breiten Beteiligungsprozess entwickelt. Bis heute lädt das zuständige „Gesundheits- und Umweltdepartment“ bei Quartiersrundgängen regelmäßig die ältere Bevölkerung zur Mitgestaltung ihres Lebensumfelds ein. In Zürich weiß man: Eine aktive Alters- und Wohnpolitik machen die Stadt attraktiv und zukunftsfähig. Karin Haist

Die Autorin: Karin Haist leitet bei der Körber-Stiftung in Hamburg das Programm Alter und Kommune.