„Stadtbegrünung ist überlebenswichtig“

Viel Grün, viel Wasser – und sehr viel mehr: Jan Paul hebt Kopenhagen als Vorreiter im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung hervor. Foto: Adobe Stock/dudlajzov

Parkanlagen und Alleen, begrünte Dächer und Fassaden: Sie sind keine Deko-Zugaben, sondern so wichtig wie Strom-, Wasser- und Abwasserversorgung, so Grünexperte Jan Paul – und sie helfen, langfristig Geld zu sparen.

Sie haben eine Umfrage in Auftrag gegeben: Es ging darum, wie zufrieden Metropolen-Bewohner mit dem Pflegezustand der Grünflächen und dem Engagement der Politik sind. Kritiker könnten einwenden, dass angesichts der gravierenden aktuellen Heraus-forderungen die Parks zweitrangig sind. Warum sind Grünflächen für Sie dennoch ein zentrales Thema?

Jan Paul: Ohne Grün ist eine Stadt nicht lebenswert. Parkanlagen, Alleen, Dach-und Fassadenbegrünung oder Stadtwälder sind gleichzusetzen mit Strom-, Wasser- oder Abwasserversorgung. Unsere Umfrageergebnisse zeigen, dass in nahezu allen deutschen Millionenstädten zwei Drittel der Menschen mindestens einmal in der Woche eine städtische Grünflache aufsuchen. Urbanes Grün ist sozialer Treffpunkt, bietet Entspannung, Bewegungsraum, Naturerleben.

Was bedeutet der Klimawandel in diesem Kontext?

Paul: Durch ihn bekommen städtische Grünflächen eine zusätzliche Dringlichkeit. Denn sie kühlen die nähere Umgebung ab und beugen Hitzeinseln vor, mildern die Folgen von Starkregenereignissen, binden aktiv CO22 und regulieren insgesamt somit das städtische Mikroklima. Wenn man bedenkt, dass bereits heute 79 Prozent der Menschen in Deutschland die Rekordtemperaturen im Sommer als stark bis teilweise belastend wahrnehmen, wird klar, wie wichtig Investitionen in städtisches Grün auch mit Blick auf die kommenden Jahre und Jahrzehnte sind. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unserer Städte. Deshalb werden wir nicht müde, über Parks zu reden.

Viel Asphalt, Stein, Beton – und das bei zunehmend heißen Sommern: Urbane Räume sind schlecht für den Klimawandel aufgestellt. Oder sehen Sie das anders?

Paul: Zumindest haben Städte und Metropolregionen besonders große Herausforderungen. Die Versiegelung ist ein Hauptproblem der Urbanisierung. Im Sommer heizen sich viele Städte bis zur Unerträglichkeit auf, weil das Sonnenlicht von den vielen versiegelten und insbesondere von dunklen Flächen absorbiert wird. Außerdem erhöhen sie die Gefahr, dass das Wasser bei starken Regenfällen, die sich durch den Klimawandel häufen, nicht rechtzeitig abfließen kann und es immer öfter zu massiven Überschwemmungen und Hochwasser kommt. Diesen reellen Bedrohungen für Gesundheit und Sicherheit der Bürger müssen Kommunen aktiv begegnen.

Ideen gibt es jede Menge – was sind gute Maßnahmen?

Paul: Durch begrünte Dächer und Fassaden, dezentrales Regenwassermanagement und das Schwammstadtprinzip kann der urbane Flächenfraß zumindest kompensiert werden. Langfristig empfehlen wir den Kommunen, mithilfe von grün-blauer Infrastruktur eine Netto-Null-Versiegelung anzustreben. Dadurch würde nicht nur das Überflutungsrisiko minimiert, sondern gleichzeitig werden auch die Stadtquartiere aufgewertet. Denn gerade Dach- und Fassadenbegrünung wirkt wie eine Klimaanlage für Gebäude. Eine sehr gute Kombination ist übrigens Dachbegrünung mit Photovoltaikanlagen. Denn der Kühlungseffekt der Dachbegrünung kann zu einer Leistungssteigerung der Solaranlage um bis zu vier Prozent führen.

Um urbane Räume grüner werden zu lassen, muss man letztlich die ganze Stadt umbauen, seien es Straßen, Parkplätze, zugepflasterte Fußgängerzonen oder verbaute Gewässer. Was sind die größten Hindernisse für mehr Grün in den Städten?

Paul: Ein sukzessiver Umbau der Städte ist in den kommenden Jahrzehnten so oder so unvermeidbar. Die Mobilität der Zukunft macht Anpassungen der Verkehrsinfrastruktur notwendig. Es entstehen CO22-neutrale Wohn- und Arbeitsquartiere. Es werden neue Konzepte für aussterbende Einkaufsmeilen realisiert. Uns ist es wichtig, dass Stadtgrün in den Städten der Zukunft als zentraler Baustein für urbane Lebensqualität und als Lösungsansatz für die Abmilderung von Klimafolgen konsequent mitgedacht wird. Bisher passiert es allzu oft, dass Stadtgrün lediglich als unnötige Kostenstelle betrachtet wird.

Liegt es also am Geld?

Paul: Zum einen ja: Investitionen werden gescheut. Zudem gibt es aufgrund von bürokratischen Hürden und unzureichenden finanziellen Anreizen nahezu keine Kooperationen zwischen Städten und Unternehmen in Deutschland. Welches Potenzial in solchen Kooperationen steckt, zeigt das Beispiel Kopenhagen sehr anschaulich – die Stadt ist Vorreiter im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung.

Kommen Transformationspläne angesichts des längst fortgeschrittenen Klimawandels nicht zu spät?

Paul: Das hoffe ich nicht! Denn das würde dann ja genauso für die Energiewende und alle sonstigen Bemühungen gelten, um den Klimawandel und die Folgen der Erderwärmung abzumildern. In bin Optimist und davon überzeugt, dass wir unsere Zukunft und die unserer Städte sowie Gemeinden immer noch positiv beeinflussen können. Aber klar ist auch: Wir müssen jetzt handeln.

Womit kann man beginnen?

Paul: Zum Glück fängt kaum eine Kommune in Deutschland bei Null an. Es gibt Parks, Wiesen, baumbewachsene Straßen und wunderbare Alleen. Es ist schon ein guter Anfang, wenn sich Städte und Gemeinden ausreichend um die Pflege und den Erhalt der bereits bestehenden Grünflächen bemühen. Die Hitze und die veränderten klimatischen Bedingungen setzen insbesondere den Stadtbäumen stark zu. Hier muss investiert werden. Darüber hinaus sollte man sich bei Neubepflanzungen Gedanken machen, welche Pflanzen und Gehölze besonders robust auf Trockenheit und Hitze reagieren. Und durch nachhaltigere Pflanzungen und Ansaaten hitze- und trockenheitsangepasster Pflanzen kann ein deutlich größerer Beitrag für den Erhalt der Flora und Fauna geleistet werden, als dies bisher geschieht.

Transformation kostet aber eben Geld, und Sie beklagen, dass die Investitionen von Städten und Gemeinden ins öffentliche Grün seit Jahren sinken. Es gibt allerdings Fördermöglichkeiten vom Bund und von der EU. Worauf sollte man achten, wenn man sich hier auf den Weg machen will?

Paul: Zunächst einmal müssen sich die Entscheider und Entscheiderinnen in Städten und Kommunen klar machen, dass Stadtgrün nicht teuer ist. Überschwemmungen sind teuer, die Behandlung von Menschen, die Atemwegsprobleme aufgrund von Feinstaub oder Kreislaufprobleme aufgrund von Hitzeinseln haben, ist ebenfalls um ein Vielfaches teurer. Es gibt zahlreiche Förderprogramme, die sehr individuell auf lokale-, kommunale und länderspezifische Anforderungen zugeschnitten sind. Weitere Informationen dazu stellen wir auf unserer Website bereit. Der Abruf dieser Fördergelder ist nicht mehr oder weniger komplex als bei anderen Förderprogrammen.

Wo liegt das Problem?

Paul: Uns erschreckt, dass die bereitgestellten Gelder nicht überall ausgeschöpft werden. Hier können wir nur an die Kommunen appellieren, die Fördermöglichkeiten abzurufen.

Best Practice-Beispiele findet man ebenfalls auf Ihrer Website. Haben Sie ein Lieblingsprojekt?

Paul: Eines der Projekte, die mich besonders begeistern, sind die Ihlegärten und der Weinberg im sachsen-anhaltinischen Burg. Die beiden öffentlichen Grünflächen sind im Rahmen der Landschaftsgartenschau 2018 entstanden und liegen mitten im Stadtzentrum. Es handelte sich dabei um vorher ungenutzte Flächen. Die Ihlegärten waren beispielsweise jahrzehntelang eine Industriebrache. Finanziert wurde das Projekt unter anderem durch das Förderprogramm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“. Es beeindruckt mich sehr, wie meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Garten- und Landschaftsbau daraus grüne und artenreiche Wohlfühlareale für die Menschen in der Stadt geschaffen haben.

Interview: Sabine Schmidt

Zur Person: Jan Paul ist Sprecher der Initiative „Grün in die Stadt“ und Vizepräsident des Bundesverbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V.

Foto: BGL