Spreu und Weizen

Wellness ist ein Begriff, mit dem in vielen Branchen operiert wird, um neue Abnehmer für Produkte und Dienstleistungen zu gewinnen. Was aber prägt den Wellness-Tourismus? Ein kritischer Blick aus Expertensicht auf Anbieter und Nachfrager und das schwierige Thema Qualitätssicherung.

Die deutsche Gesundheitswirtschaft ist eine dynamische Branche mit hoher Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland. Die Gesundheitsausgaben beliefen sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2014 auf insgesamt 328 Milliarden Euro, das entspricht einem Anteil von 11,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft werden zwar mehr als 60 Prozent durch die sozialen Sicherungssysteme finanziert, aber der privat finanzierte sogenannte Zweite Gesundheitsmarkt gewinnt zunehmend an Bedeutung. In dieses Segment fallen nicht nur freiverkäufliche Arzneimittel, individuelle Gesundheitsleistungen, Nahrungsergänzungsmittel oder Naturkosmetik, sondern auch Angebote aus den Bereichen Fitness, Sport und Wellness.

Vor diesem Hintergrund hat sich auch das Segment des Gesundheitstourismus in den letzten 20 Jahren stark gewandelt und zur Ausdifferenzierung von Angebotsstrukturen geführt, vor allem in anerkannten Erholungsorten, Luftkurorten und höher prädikatisierten Heilbädern und Kurorten. Der Gesundheitstourismus lässt sich grob in vier Segmente differenzieren: Medizin-/Patiententourismus, Kurtourismus, Wellness-Tourismus und gesundheitsorientierte Urlaubsformen. In diesem Beitrag steht der Wellness-Tourismus im Fokus.

Zustand hohen Wohlbefindens

Die Herkunft des Begriffes „Wellness“ ist umstritten. Am häufigsten wird der amerikanische Mediziner Halbert L. Dunn mit ihm in Verbindung gebracht, der 1959 Wellness als Zustand von hohem menschlichen Wohlbefinden durch die neoanglizistische Wortschöpfung „well-being“ und „fitness“ definiert hat. Ende der 1970er-Jahre entwickelte Donald Ardell den Begriff weiter und zeigt Selbstverantwortung, Ernährungsbewusstsein, körperliche Fitness, Stressmanagement und Umweltsensibilität als wesentliche Faktoren für Wellness auf.

Dieses umfassende theoretische Verständnis von Wellness ist in der Praxis kaum umsetzbar, denn die Nachfrager stellen andere Aspekte in den Vordergrund. In der Regel erwartet der überwiegende Teil der Wellness-Touristen passive Angebote wie zum Beispiel Massagen. Die Aspekte geistige Aktivität/Bildung sowie Umweltsensibilität spielen kaum eine Rolle. Auch der Faktor der Selbstverantwortung, der zu einer dauerhaft gesünderen Lebensweise führen soll, wird kaum über den Aufenthalt am Urlaubsort hinaus aufrechterhalten. Die neben der passiven Dimension (Entspannung, Meditation, Massagen) notwendige aktive Dimension (Stressmanagement, Ernährung, Fitness) wird in der Realität daher deutlich weniger nachgefragt.

Inflationärer Einsatz des Begriffs

Da es keine einheitliche Definition von Wellness gibt, wird der Begriff teilweise inflationär gebraucht: von Wellness-Marmelade bis zu Wellness-Bürostühlen. Diese fehlende Abgrenzung führte zu der Frage: Wie kann die Qualität im Wellness-Tourismus gesichert werden?

Aufgrund des offensichtlich zunehmenden Interesses an Wellness-Angeboten Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre – begleitet von den finanziellen und strukturellen Folgen der Bäderkrise – wurden auf der touristischen Anbieterseite verschiedene Gütesiegel auf den Markt gebracht, um einerseits den Bekanntheitsgrad von Wellness zu erhöhen, den Bedarf zu decken und die Rückgänge durch Kurgäste zu kompensieren. Insbesondere hat die Ausdehnung der Kurintervalle bei gleichzeitiger Verkürzung der Aufenthaltsdauer bei Kuren zu einem Rückgang hauptsächlich bei den Übernachtungen in Heilbädern und Kurorten geführt.

Zur Kompensation des Verlustes an Kurgästen wurden nach und nach Wellness-Angebote für Privatzahler geschaffen, um den Rückgang der Kurgäste auszugleichen und die finanziellen Verluste zu minimieren. Doch werden etwa vier Wellness-Gäste benötigt, um einen Kurgast zu kompensieren, da ihre Aufenthaltsdauer wesentlich kürzer ist und die Wellness-Gäste darüber hinaus bevorzugt in Hotels und nicht in Kliniken übernachten.

Qualitätsstandards für Kurorte

Der Deutsche Tourismusverband und der Deutsche Heilbäderverband geben seit 1953 gemeinsam die „Begriffsbestimmungen – Qualitätsstandards für die Prädikatisierung von Kurorten, Erholungsorten und Heilbrunnen“ heraus. Sie definieren für Kurorte, Erholungsorte und Heilbrunnen Qualitätskriterien und sind weitestgehend materieller Bestandteil der Kurortegesetze/-verordnungen der Bundesländer. Im Vordergrund der staatlichen Anerkennung steht die Überprüfung der Strukturqualität; darüber hinaus bilden die Begriffsbestimmungen die Grundlagen für die kurort-medizinische Therapie mit den ortsgebundenen Heilmitteln.

Für die Qualitätssicherung von Wellness-Angeboten gibt es dagegen keine staatlichen Vorgaben. Folglich hat die Branche eigene Qualitätssiegel auf den Markt gebracht – mehr als 50 waren es bereits im Jahr 2013. Eine Untersuchung der Kriterienkataloge der einzelnen Wellness-Anbieter durch die Stiftung Warentest ergab, dass sich unter den 53 untersuchten Siegeln nur die folgenden vier im Wellness-Bereich als hilfreich herausstellten: Deutsches Wellnesszertifikat des Deutschen Wellness Verbands, Europespa – Hotelspa der Europaspa Med & Wellness, Wellness-Hotels & Resorts der Wellness Hotels & Resorts GmbH sowie die Wellness Stars Hotels der Wellness Stars GmbH. Die Einrichtungen liegen häufig in Heilbädern und Kurorten, aber auch in ländlich strukturierten Räumen, die eine hohe Erholungsqualität bieten. Darüber hinaus finden sich auch vereinzelte Angebote in Städten. Im Fokus standen bei der Auswertung der Kriterienkataloge besonders die Elemente, die sich touristisch gut darstellen lassen: Entspannung, Fitness, gesunde Ernährung und geistige Aktivität/Bildung.

Die Vielfalt des Angebots verringert die Markttransparenz, was wiederum eine Kundenbindung erschwert. Kunden und Gäste informieren sich aufgrund der dynamischen Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien über diese Angebotsvielfalt. Damit eine Abgrenzung von der Konkurrenz funktioniert, kommt es vielfach auf die Qualität der zusätzlich angebotenen Serviceleistungen an. In diesem Bereich wachsen die Erwartungen der Kunden stark.

Berechtigt ist hier auch die Frage, ob die Einführung eines einheitlichen Zertifikats oder Gütesiegels für Wellness-Orte oder Wellness-Hotels sinnvoll wäre. Dies würde zwar zu einer höheren Markttransparenz führen, die jedoch eine zunehmende Konformität der Angebote bedingen würde, was eine Profilierung durch regionaltypische Elemente erschwert. Deutlich wird jedoch, dass Wellnesshotels in Heilbädern und Kurorten in der Regel von der hohen medizinischen Kompetenz im Gesundheitsbereich profitieren können.

Anja Brittner-Widmann

Die Autorin
Prof. Dr. Anja Brittner-Widmann ist Studiengangsleiterin Betriebswirtschaftslehre Tourismus, Hotellerie und Gastronomie – Destinations- und Kurortemanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg