Smart City: Verändern, um zu bewahren

Smart bedeutet nicht nur vernetzt: Die moderne Stadt hat auch Antworten auf den Klimawandel. Das Grün dient beispielsweise nicht nur als schmückendes Beiwerk, es hilft HItze in Städten zu verringern und die Luftqualität zu verbessern. Foto: Adobe Stock/hanohiki

Welche Herausforderungen kommen in Zukunft auf die Kommunen zu und wie können sie diese bewältigen?
Smart-City-Expertin Prof. Dr. Chirine Etezadzadeh liefert Antworten und erklärt, welche Rolle Technologien wie Künstliche Intelligenz dabei spielen werden.

 

Frau Etezadzadeh, was muss aus Ihrer Sicht eine Smart City leisten?

Chirine Etezadzadeh: Eine Smart City muss, wie jede andere Stadt oder Gemeinde auch, für die Sicherheit, die Versorgung und Mobilität ihrer Bewohner sorgen, das gute Zusammenleben der Bewohner fördern und die damit verwobenen Herausforderungen der Gegenwart meistern. Anders als andere Kommunen arbeiten Smart Citys aber konsequent nachhaltig und resilient. Sie nutzen hierfür neue Technologien ebenso wie smarte analoge Lösungen. Smart Citys sind zudem informiert und reagieren ohne Zeitverlust. Sie minimieren erfolgreich den Ressourcenverbrauch sowie die weiteren negativen Auswirkungen unseres Lebens und Wirtschaftens.

Wie kann das gelingen?

Etezadzadeh: Zusammenhänge müssen ganzheitlich betrachtet werden, Maßnahmen entsprechend geplant und realisiert werden. Diese Maßnahmen und Ergebnisse werden mit Hilfe intelligenter Systeme dauerhaft analysiert und weiterentwickelt. Ein solches Vorgehen erfordert natürlich ein interdisziplinäres Zusammenarbeiten verschiedenster Akteure sowie die Aufklärung und Einbeziehung der Bewohner. Doch nicht nur das: Eine Smart City wird von anderen Städten und Gemeinden lernen und mit ihnen kooperieren. Darüber hinaus interagiert sie reibungslos mit allen Verwaltungsebenen. Trotz dieser Vernetzung, die auch mit Standardisierungen einhergeht, wahrt sie ihre Individualität.

Corona, Flutkatastrophe, Klimawandel: Halten Sie den Zeitpunkt für geeignet, um sich für Smart-City-Themen Zeit zu nehmen?

Etezadzadeh: Für Deutschland ist nun der Zeitpunkt gekommen, smarte Technologien im urbanen und ländlichen Raum in Anwendung zu bringen. In Deutschland wollen wir von der Notwendigkeit, dem Funktionieren und dem positiven Nutzen von Maßnahmen überzeugt sein, bevor wir sie umsetzen. Die Pandemie, die Flutkatastrophe und die Umweltveränderungen zeigen uns, dass diese Anforderungen von zahllosen möglichen Anwendungen erfüllt werden und dass wir uns smarten Lösungen öffnen sollten. Smart Citys können Ereignisse wie die angesprochenen nicht verhindern, aber das Management von Krisen und Reaktionsgeschwindigkeiten deutlich verbessern. Es ist evident: Wir müssen jetzt positive Veränderungen einleiten, damit möglichst viel von dem, was wir schätzen und brauchen, bewahrt bleibt. Meines Erachtens hat die Akzeptanz der Bevölkerung für entsprechende Maßnahmen gegenwärtig einen Höhepunkt erreicht.

Verändern, um zu bewahren: Können Sie diese Aussage an einigen Beispielen konkretisieren?

Etezadzadeh: Betrachten wir beispielsweise den Mobilitätsbereich. Entweder wir machen weiter wie bisher und warten, bis uns einschneidende Mobilitätsverbote drohen – oder wir beginnen damit, wirklich attraktive Mobilitätsangebote und -alternativen zu schaffen und zu nutzen: Lösungen, die nur überschaubare Verhaltensänderungen erfordern, stellenweise noch komfortabler sind als das eigene Auto und uns mobil halten. Ein solches Ziel erfordert allerdings eine ganzheitliche Gestaltung von Mobilitätssystemen unter Verwendung moderner Technologien und verschiedener Transportlösungen. Ein anderes Beispiel betrifft die bauliche Gestaltung von Städten. Wir können unseren Lebensraum weiter denaturieren und mit wachsendem Aufwand den resultierenden Konsequenzen entgegenwirken. Oder wir nutzen zum Beispiel grüne Infrastruktur als Gestaltungselement unserer Städte – nicht nur, um sie schöner und lebenswerter zu machen, sondern auch, um sie zu kühlen, die Luftqualität zu verbessern, den Umgang mit Wasser zu optimieren und ein wesensgerechtes Umfeld für die Stadtbewohner zu schaffen.

Welche Rolle spielt dabei die KI?

Etezadzadeh: Eine Grundlage für die beschriebenen Veränderungsprozesse ist die genaue Erfassung der realen Gegebenheiten. Die daraus resultierenden Informationen werden in Daten überführt und diese durch künstliche Intelligenz verarbeitet. Auf dieser Basis können wir unsere Systeme und Prozesse integrieren, optimal steuern, warten und kontinuierlich an Veränderungen anpassen. Wir können Anomalien erkennen, Warnungen empfangen und Maßnahmen ergreifen, um dauerhaft im Optimalzustand zu arbeiten oder bei Störungen schnell in selbigen zurückzufinden. Das Arbeiten im Optimalzustand ist die notwendige Voraussetzung für Nachhaltigkeit. Und Nachhaltigkeit ist die logische Voraussetzung für Resilienz, die uns hilft, im Optimalzustand zu bleiben. Dementsprechend kann uns gut gemachte und sinnvoll eingesetzte KI dabei helfen, nachhaltiger und resilienter zu werden.

Brauchen wir eine deutsche Smart-
City-Variante?

Etezadzadeh: Wir brauchen eine Vorstellung davon, wie wir in Zukunft leben wollen, oder zumindest eine Vorstellung davon, wie wir nicht leben wollen. Solche 
Vorstellungen müssen, wie bisher, die Grundlage für die Gestaltung unserer Städte und Gemeinden bilden. In einer Smart City werden Systeme das Leben in der Kommune determinieren. Auch bei der Schaffung dieser Systeme werden Wertvorstellungen und Ziele in Ergebnisse überführt. Diese Produkte entscheiden unter anderem darüber, wie und wie weit sie unser Leben bestimmen werden. Daher sollten diese Systeme und deren Teillösungen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechen und weitere Elemente unserer Wertvorstellungen berücksichtigen. Außerdem sollte eine fehlgeleitete Kommerzialisierung der aus den Systemen resultierenden Daten verhindert werden. Gleiches gilt für Abhängigkeiten von Herstellern oder Betreibern entsprechender Lösungen. Vor diesem Hintergrund brauchen wir meines Erachtens eine deutsche Smart-City-Vision sowie deutsche Kompetenzen und Lösungen, um diese Vision zu unseren Bedingungen umzusetzen.

Welche Aufgaben im Bereich der Smart-
City-Entwicklung sehen Sie gegenwärtig bei der kommunalen Verwaltung?

Etezadzadeh: Die Kommunen sollten das Thema nicht als weiteren Punkt auf der Agenda sehen, nicht als isoliert zu startendes Projekt, für das jetzt keine Zeit oder kein Geld da ist. Vielmehr sollten sie die verfügbaren smarten Lösungen jetzt nutzen, um die drängendsten Probleme der Gegenwart zu meistern. Solche Maßnahmen realisieren wir allerdings nicht, indem wir existierende Prozesse digital anreichern. Vielmehr müssen Prozesse dort, wo es sinnvoll ist, auf Basis der Möglichkeiten moderner Technologien neu gestaltet werden. Mit einem wachsenden Verständnis des technischen Potenzials werden zukünftig völlig neue Lösungen, Produkte und Services geschaffen werden können, um gegebene Aufgaben zu bewerkstelligen.

Können Sie uns ein Beispiel für diesen Prozesswandel geben?

Etezadzadeh: Wählen wir ein einfaches Beispiel: Früher haben wir zur Beantwortung von Fragestellungen beispielsweise einmal pro Jahr eine Erhebung umgesetzt, Bedarfe analysiert und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Nutzen wir zum Beispiel KI, wird sie Bedarfe selbst identifizieren und über entsprechende Maßnahmen auch decken. Das tut sie nicht nur einmal im Jahr und nicht nur täglich, sondern kontinuierlich. Schließlich wird KI in der Lage sein, Bedarfe zu prognostizieren und die Gegebenheiten darauf vorzubereiten. Damit werden sich uns völlig neue Möglichkeiten eröffnen und Aufgaben stellen.

Wird die Kommune demnach von der analogen Verwaltung zum selbstlernenden System?

Etezadzadeh: Das klingt nach einem unermesslich großen Schritt. Jedoch muss sich unsere Verwaltung transformieren, um funktionsfähig zu bleiben. Die aktuell bestehenden Herausforderungen der kommunalen Verwaltung sind derart umfangreich und vielschichtig, dass wir sie nicht seriell, sondern soweit wie möglich integriert werden abarbeiten müssen. Wir sollten den Wandel mit den Aufgaben Einzug halten lassen und daran wachsen.

Interview: Denise Fiedler

Zur Person: Prof. Dr. Chirine Etezadzadeh ist Gründerin und Leiterin des Smart City Institute in Ludwigsburg.