Sicherheitskonzept für alle Szenarien

Nach draußen laufen oder in den Panikraum – wie sollen sich Schülerinnen und Schüler verhalten? Wichtig ist: Das Sicherheitskonzept sollte verschiedene Notfallszenarien verbinden. Foto: Adobe Stock/Christian Schwier

Bei einem Feuer soll man sich nach draußen retten, bei einem Amoklauf kann es sinnvoll sein, sich drinnen zu verbarrikadieren. Warum es dennoch Sinn macht, beide Situationen zusammenzudenken, erklärt Baurechtsexperte Bastian Nagel.

Die Studienergebnisse zum Verhalten von Menschen bei Amokläufen sind sehr unterschiedlich, da die einzelnen Vorfälle individuell sind. Anders sieht es bei Brandalarmierungen aus, sagt Psychologin Laura Künzer: „Hier liegt eine Vielzahl von belastbaren Forschungserkenntnissen vor, die in Teilen auf die Situation eines Amoklaufs übertragbar sind.“ Künzer forscht in Ludwigsburg zum Verhalten von Menschen bei Räumungen und Evakuierungen.

„In einem Notfall wollen sich Menschen instinktiv aus der Gefahrensituation befreien und in Sicherheit bringen“, beschreibt Künzer eine Verhaltensweise, die im Brandfall Rettung bedeutet, bei einem Amoklauf dagegen Risiko.

Soll man sich einschließen, steht das also zunächst im Widerspruch zum evolutionär verankerten, inneren Programm. Dazu kommt, dass Menschen in einer Gefahrensituation genau verstehen wollen, was los ist. Viele Planende haben Künzers Erfahrung nach allerdings Bedenken, durch Alarmierungen Paniksituationen auszulösen.

Entsprechend zurückhaltend werde mancherorts im Ernstfall vor der Gefahr gewarnt. Das ist ein Fehler: Studien belegen, dass Panik in der Regel gar nicht auftritt und das Problem eher am anderen Ende der Skala liegt. „Betroffene reagieren häufig zu langsam oder überhaupt nicht, weil sie den Ernst der Lage nicht verstehen“, warnt Künzer. Auch deshalb möchte sie dafür sensibilisieren, planungsseitig mehr im Bewusstsein zu haben, wie Menschen bei Gefahren reagieren und was sie benötigen, um adäquate Handlungen abzuleiten.

„Menschen, die unter Stress stehen, sind schlechter in der Lage, kreativ nach Lösungen zu suchen. Sie greifen auf vorhandenes Wissen und übliches Verhalten zurück und brauchen daher verständliche Informationen und klare Handlungsanleitungen. Grundsätzlich gilt: Je expliziter, dringlicher und deutlicher eine Anweisung ist, desto besser“, so Künzer.

Welche Informationen und Durchsagen im Einzelfall zielführend sind, hängt von vielen Faktoren ab. Umso wichtiger sei es, von Anfang an alle Beteiligten am Planungstisch zusammenzubringen und beispielsweise die Alarmierungskonzepte für ein Amok- oder Brandereignis nicht isoliert zu betrachten, sondern von vornherein gemeinsam.

Alle Gruppen einbeziehen

Plant man beispielsweise ein ganzheitliches Sicherungskonzept für eine Schule, kann es Sinn machen, auch die Schülervertretung einzubeziehen. Ebenfalls an den Planungstisch gehören Einsatzkräfte, Behördenvertreter, die für den Ernstfall geschulten Mitarbeiter und Personen mit besonderen Anforderungen, die bei einem Notfall ebenfalls betroffen sein könnten. Wird die Einrichtung von Kindern mit eingeschränkten Deutschkenntnissen besucht, muss das bei der Ausgestaltung berücksichtigt werden.

Im Vergleich zum Brandschutz ist der Schutz vor anderen Gefahrensituationen bauordnungsrechtlich weniger reguliert. Das führt in der Praxis dazu, dass es unterschiedliche Vorstellungen von den rechtlichen Zusammenhängen gibt und das Thema auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert wird.

Nach Künzers Erfahrungen ist es hilfreich, sich bei der Betrachtung von Amoklagen an die Brandschutzkonzepte anzulehnen, wenngleich sie nicht eins zu eins adaptierbar sind. Das gilt unter anderem für Alarmpläne. „Die beiden Schutzziele können nicht nur, sie müssen sogar zusammengedacht werden, damit sie sich nicht gegenseitig behindern“, betont die Psychologin.

In Bezug auf Schulen lässt sich das sogar aus dem Bauordnungsrecht ableiten: Die Erläuterungen der Bauministerkonferenz zur Schulbaurichtlinie machen deutlich, dass in der Brandschutzordnung nicht nur Regelungen für den Brandfall, sondern auch für andere Gefahren festzulegen sind. Das betrifft insbesondere die Alarmierung und Räumung der Schule.

Bevor eine Brandmelde- oder eine Sprachalarmanlage gebaut werden darf, verlangen die genannten Normen die Erstellung eines Brandmelde – und Alarmierungskonzeptes. Dafür sind jeweils die Betreibenden oder Auftrageber der Anlage verantwortlich. Sie definieren gemeinsam mit den zuständigen Stellen und weiteren Beteiligten die erforderlichen Maßnahmen.

Umfassendes Notfallkonzept

Dazu gehört auch die Festlegung, wie gefährdete Personen gewarnt werden und in welchen Bereichen eine akustische und möglicherweise auch optische Alarmierung erforderlich ist. Das alles muss in enger Abstimmung mit dem organisatorischen Brandschutz erfolgen.

Da das Brandmelde- und Alarmierungskonzept unter anderem auf der Baugenehmigung aufbaut und die dort festgelegten Vorgaben nicht verwässern darf, ist es sehr wichtig, das Alarmierungskonzept bereits im genehmigten Brandschutzkonzept eindeutig und unmissverständlich zu beschreiben. Dabei sollte auch ein Szenario betrachtet werden, das insbesondere an Schulen immer wieder hitzig diskutiert wird: eine mutwillige Auslösung der Brandmeldeanlage, um die anwesenden Personen auf die Flure oder zu den Ausgängen zu locken.

Diesem Szenario kann durch unterschiedliche Möglichkeiten vorgebeugt werden. Ein Widerspruch zwischen Amok- und Brandalarmierung entsteht jedoch häufig dann, wenn beide Anlagen losgelöst voneinander geplant werden, die Projektbeteiligten nicht von Anfang an miteinander sprechen und es an der konzeptionellen Grundlage für die Planung fehlt.

Um einem Missbrauch der Anlage vorzubeugen, kann sie so konzipiert sein, dass sie nicht einen unmittelbaren Alarm im gesamten Gebäude auslöst, sondern einen Alarmierungsprozess, der auf das Zusammenwirken von Anlagentechnik und organisatorischem Brandschutz setzt. Denkbar ist, dass die Brandmeldeanlage neben der sofortigen Alarmierung der Feuerwehr eine interne Warnung aus- löst, die nicht im gesamten Gebäude, sondern nur in bestimmten Räumen hörbar ist, zum Beispiel im Sekretariat oder Lehrerzimmer. Die Schulleitung oder eine andere eingewiesene Person kann dann etwa über eine Gegensprechanlage prüfen, ob es in der Einrichtung tatsächlich brennt oder ob es sich um einen Falschalarm handelt.

Auch dieser Aspekt zeigt, dass es gute Lösungsmöglichkeiten gibt. Wichtig ist allerdings, sie frühzeitig in ein Gesamtkonzept einzufügen.

Bastian Nagel


Der Autor

Bastian Nagel ist Spezialist für Bauordnungsrecht, Normen und Richtlinien bei Hekatron Brandschutz.