Mit Schulden Geld verdienen, um die klamme Kasse aufzubessern? Das versprechen die sogenannten Carry Trade-Geschäfte: Zusätzlich aufgenommene Kassenkreditmittel werden an Unternehmen verliehen, wodurch die Kommune einen Zinsvorteil erzielt. Dieses Geschäft aber kann gehörig schief gehen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Kämmerer einer mittelgroßen deutschen Stadt. Die unzähligen finanziellen Verpflichtungen und damit verbundenen Ausgaben Ihrer Kommune drücken schwer. Hinzu kommen Zins- und Tilgungszahlungen auf einen Schuldenberg, der bereits lange vor Ihrer Zeit angehäuft wurde. Mit ziemlicher Sicherheit müssen Sie auch in diesem Haushaltsjahr neue Schulden machen. Das freut weder Sie noch den Bürgermeister. In dieser Situation tritt jemand mit dem Vorschlag an Sie heran, wie die Kommune mit neuen Schulden netto Geld einnehmen kann.
Über diese ungewöhnliche Möglichkeit freuen sich viele Kämmerer seit einigen Jahren. Denn sie verdienen mit Kassenkrediten aktuell tatsächlich Zinsen, anstatt welche zu bezahlen. Im Hintergrund steht dabei, dass Kassenkredite in der Regel mit Eonia (s. Erklärung rechts) verzinst sind, und der ist seit Mitte 2014 negativ.
Der Schuldschein-Carry-Trade
Zwar sind Kassenkredite lediglich zur kurzfristigen Liquiditätssteuerung gedacht, jedoch ist ihr Anteil an der kommunalen Gesamtverschuldung in den vergangenen 20 Jahren von 4,2 Prozent (1996) auf annähernd 33 Prozent angewachsen. Im Jahr 2016 standen die Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland mit insgesamt 143 Milliarden Euro in der Kreide, 46,7 Milliarden Euro davon waren Kassenkredite.
Als wäre es nicht genug damit, dass Gemeinden Sozialausgaben und langfristige Projekte durch kurzfristige Kredite finanzieren und sich damit einem Zinsänderungs- und Refinanzierungsrisiko aussetzen, springen viele zusätzlich auf den Zug der sogenannten Carry Trades auf. Hier werden zusätzliche hohe Summen an Kassenkrediten aufgenommen und dieses Geld wird in Schuldscheindarlehen von Unternehmen im In- und Ausland investiert.
Auf den Kassenkredit bezahlt die Gemeinde entweder keine Zinsen oder erhält den negativen Eonia-Zins. Für das Schuldscheindarlehen, das in der Regel eine Laufzeit von fünf bis zehn Jahren hat, erhält sie einen mehrprozentigen Zinssatz. Netto fließt also Geld in die Kasse.
Die Zahlungen aus diesem Geschäft an die Kommune können sich abhängig vom eingesetzten Betrag stattlich summieren. Bei einer Investitionssumme von beispielsweise 100 Millionen Euro und einer aktuellen Zinsdifferenz von fünf Prozent zwischen Kassenkredit und Schuldscheindarlehen sind es fünf Millionen Euro an jährlichen Einnahmen.
Das klingt nach einem guten „Deal“. Dieses aber ist enorm risikobehaftet. Dabei geht es gar nicht um das Zinsänderungsrisiko in Bezug auf die Aufnahme der investierten Mittel via Kassenkredit. Enorm, auch weil absolut nicht kalkulierbar, ist vor allem das Ausfallrisiko. Denn das Unternehmen, dem im Rahmen des Schuldscheindarlehens Geld geliehen wurde, kann plötzlich zahlungsunfähig werden. Das Geld, das die Kommune selbst erst einmal aufnehmen musste, um mit dem Carry Trade-Geschäft Geld zu verdienen, wäre dann verloren und die Kommune müsste dennoch den aufgenommenen Kassenkredit zurückzahlen.
Die Rolle der Banken
Daran, dass sich finanziell notleidende Städte und Gemeinden derart ins Risiko begeben, sind die Banken nicht unbeteiligt. Von ihnen stammt die Idee des Schuldschein-Carry-Trades. Denn seit Basel III müssen sie für ausgereichte Kredite deutlich höhere Eigenkapitalunterlegungen vorhalten. Vor allem dann, wenn Unternehmen ohne externes Rating Geld leihen wollen, kann das schnell sehr teuer für ein Geldinstitut werden, weil es beim Eigenkapital aufstocken muss.
Um das zu vermeiden und dennoch keine Unternehmenskunden zu verlieren, wenden Banken einen „Trick“ an: Sie vergeben kurzfristige Kredite bevorzugt an öffentliche Schuldner, von denen dann das vom Unternehmen benötigte Geld kommt. Dem Unternehmen wird die geplante Finanzierung in Form eines Schuldscheindarlehens bei der Kommune möglich, die Bank hat ihren Kunden behalten (und eine Provision) verdient und die klamme Gemeinde freut sich über zusätzliche Einnahmen.
Allerdings trägt die Kommune bei dieser Konstruktion das Kreditausfallrisiko zur Gänze und kann dabei nicht einmal annähernd einschätzen, wie hoch dieses ist. Denn anders als eine Bank beschäftigt sie keine Kredit- und Risikoanalysten, die im Rahmen ihrer Arbeit speziell auch dieser Frage nachgehen.
Kassenkredite werden zur Falle
Geld aus zusätzlich aufgenommenen Kassenkrediten in Carry Trades zu investieren, mag mit den besten Absichten geschehen, nämlich Geld für die Kommune zu verdienen. Doch in der Finanzwelt gibt es nichts geschenkt, und die Gefahren, die sich aus der Kombination von Zinsrisiko, Refinanzierungsrisiko, Durations-Mismatch (Ungleichheit zwischen den Laufzeiten aus Anlagen und Verbindlichkeiten) und dem Ausfallrisiko des Schuldscheindarlehens ergeben, stehen häufig in keiner Relation zu den Mehreinnahmen.
Carry Trades mögen nach einfach verdientem Geld klingen. Tatsächlich bergen sie jede Menge Risiken. Und sollte die Sache schief gehen, kann es durchaus passieren, dass Kämmerer und Bürgermeister zur Rechenschaft gezogen werden. Man erinnere sich nur an den Prozess zu den Zinsswap-Geschäften der baden-württembergischen Stadt Pforzheim. Bei Versprechen über leicht und schnell verdientes Geld heißt es auf der Hut zu sein und generell ist es eine heikle Sache, geliehenes Geld weiter zu verleihen. Ein solcher „Deal“ kann schnell platzen.
Martina Bahl
Die Autorin
Martina Bahl ist Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Bahl Consult in Kaarst
Info – Eonia: Für den Euro-Raum ist der Eonia (Euro Overnight Index Average) mittlerweile ein wichtiger Referenzzins geworden. Dieser wird täglich von der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlicht. Der Eonia ist – im Unterschied zum Euribor – der durchschnittliche Zins, zu dem tatsächlich Geschäfte im Overnight-Markt zwischen Banken abgeschlossen wurden (Overnight-Geschäfte: Geld wird zwischen den Vertragspartnern von heute auf morgen über Nacht verliehen).
Info – Kassenkredite: Ähnlich einem Disporahmen dienen Kassenkredite im eigentlichen Sinn als Mittel zur Liquiditätssicherung. Ein Beispiel: Gehälter müssen heute bezahlt werden, Einnahmen fließen aber erst in zehn Tagen auf das Konto der Stadt. Die Kommune nimmt daher zur Deckung dieser Lücke bei einem Geldinstitut einen Kassenkredit auf. Der ist kurzfristig angelegt und muss entsprechend oft refinanziert werden. Aus diesem Grund ist das Zinsänderungs- sowie das Refinanzierungsrisiko bei diesem Kapitalmarktinstrument sehr hoch. In der Praxis hat es seinen eigentlichen Sinn als Mittel zur Liquiditätssicherung vielfach verloren, viele Kommunen gleichen in den letzten Jahren zunehmend Haushaltsdefizite durch die Aufnahme zusätzlicher Kassenkredite aus und sind auch nicht mehr in der Lage, diese wie eigentlich vorgesehen kurzfristig zurückzuführen.
Im Saarland beträgt der Anteil der Kassenkredite an der gesamten Kommunalverschuldung laut Statistischem Bundesamt inzwischen 57 Prozent, in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz 48 beziehungsweise 46 Prozent. Ganz anders in Sachsen und Baden-Württemberg mit Anteilen von 3,6 beziehungsweise 2,4 Prozent. Besonders zurückhaltend im Umgang mit Kassenkrediten sind die bayerischen Kommunen (0,9 %).