Raus aus der Mitte

Wie kann der Verkehrsinfarkt der Städte abgewendet werden? Knapp gesagt durch zwei einander ergänzende Maßnahmen. Zum einen muss der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden, zum anderen muss die Menge des motorisierten Individualverkehrs reduziert werden. Das fordert politische Entscheidungen.

Die aktuellen und insbesondere die zu erwartenden Probleme städtischer Ballungsräume sind offenkundig. Klimawandel und Resourcenverbrauch bedrohen den Komfort in den wohlhabenden Ländern. Gesicherte Arbeitsplätze und Wohlstand sowie friedlicher Ausgleich zwischen Gesellschaften sind angesichts der Migrationen nicht mehr sicher. Allerdings muss man unterscheiden zwischen kurz- und langfristigen Maßnahmen, die durch solche Bedrohungen erforderlich werden. Was können Architektur und Städtebau leisten, um das Leben in der Stadt nachhaltig zu sichern und zu verbessern? Was muss die Politik dazu beitragen?

Das hohe Niveau des Komforts ist momentan noch gewährleistet durch Effizienz und Mobilität, wobei Letztere in Ballungsgebieten zunehmend durch hohes Verkehrsaufkommen eingeschränkt ist. Der volkswirtschaftliche Schaden durch verlorene Zeit ist erheblich, ebenso die Verschmutzung der Atemluft. Durch Gerichtsurteile werden die Kommunen nun gezwungen, Abhilfe ins Auge zu fassen, da sie von sich aus offensichtlich nicht in der Lage waren, selbstständige Schritte zu unternehmen. Eine funktionierende Mobilität ist jedoch eine Grundlage für die Zivilisation.

Fliegende Autos wie in den „Starwars“-Filmen werden Utopie bleiben. Fossile oder atomare Energiequellen haben keine Zukunft, weil sie nicht nachhaltig sind. Konventionell fährt man mit dem Kfz mitten durch die Siedlung. Dort müssen Parkplätze vorhanden sein. Überall soll alles nach Motto der „autogerechten Stadt“ erreichbar sein. Doch Wohngebiete haben dann keine öffentlichen Räume mehr, denn die Straßen sind zugeparkt. Will man ernsthaft daran arbeiten, die Verkehrsmenge zu reduzieren, die Luft zu verbessern und öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität zurück zu gewinnen, ist es erforderlich, einerseits zusätzliche, preiswerte und attraktive Mobilitätsangebote zu schaffen, andererseits alternative Erschließungsmethoden zu entwickeln.

Förderung von Bus und Bahn

Zunächst muss der Öffentliche Prersonennahverkehr (ÖPNV) gefördert werden. Konkret müssen preiswerte, gut vernetzte Mobilitätsangebote existieren wie Bahn, Bus, Carsharing, Rufbus. Allgemeine Mobilitätsangebote funktionieren jedoch nicht unter den Regeln des freien Marktes, sie sind mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren und zu steuern. Im nächsten Schritt müssen Verkehrsregulierungen die Menge des Verkehrs reduzieren.

In einer Stadt mit nachhaltiger Mobilität erhöhen sich die Ausgaben für den ÖPNV. Einsparungen ergeben sich durch die Reduzierung von Ausgaben für Straßen und Parkplätze.

In prototypischen Projekten können alternative Erschließungsstrukturen realisiert werden. Deren Ziel muss sein, nicht mehr quer durch die Siedlung zu fahren, sondern diese tangential zu erschließen. Das kann dazu führen, dass ein bestimmter Prozentsatz der Bürger kein eigenes Auto mehr benötigt, sondern die preiswerten Mobilitätsangebote nutzt. Wenn die Erschließung tangential erfolgt, können im Inneren wieder öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität entstehen, was im Interesse einer emanzipierten Bürgerschaft liegt.

Die Gestaltungsmerkmale von Plätzen, Sraßen und Gebäuden wird sehr wichtig, weil die Anmutung vieler Neubausiedlungen weit davon entfernt ist, eine räumliche Aufenthaltsquaität zu entfalten.

Belange der Energieeinsparung und -versorgung sowie der ökologischen Aufwertung von Stadtquartieren müssten eigens erörtert werden. An dieser Stelle nur so viel: Frei stehende Häuschen oder isolierte Wohnblocks sind sowohl mit Blick auf den Flächenverbrauch als auch unter dem Aspekt der Energiebilanz überholt. Hier muss ein neues Design entwickelt werden, das die Konventionen der sogenannten modernen Architektur und des modernen Städtebaus der autogerechten Stadt infrage stellt und überwindet. Ohne regulierende Eingriffe seitens der Politik wird sich das vorherrschende System nicht von alleine ändern. „Freiwillige“ Einschränkungen haben in der Vergangenheit nicht funktioniert. Hier ist die Politik gefordert, die jedoch beeinflusst durch unterschiedliche wirtschaftliche und andere Interessen selten einstimmig agiert. Entsprechend modellierte Pilotsiedlungen sind jedenfalls ein erstebenswerter Beitrag zu einer Stadt der Zukunft.

Erwin Herzberger

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. habil. Erwin Herzberger ist Architekt und befasst sich neben der klassischen Planungstätigkeit mit Themen der kommunalen Planung und architektonischen Gestaltung an der German University in Kairo / Universität Stuttgart