Demokratie fördern in ländlichen Räumen: Darum geht es Lan Böhm und Sara Schmidt. Sie erklären, welche Herausforderungen, aber auch Potenziale sie dort sehen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Ihr Fachbereich bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist der Demokratieförderung in ländlichen Räumen verpflichtet – warum gerade dort?
Lan Böhm: Im Vergleich zu größeren Städten gibt es auf dem Land weniger Angebote – das meint nicht nur die Menge, sondern ebenso die inhaltliche Vielfalt. Weil die Infrastruktur auch in anderen Bereichen abgebaut wird, fühlen sich viele abgehängt und von politischen Repräsentanten vergessen. Dabei ist der Wunsch nach Angeboten jeder Art groß – auch und gerade nach politischer Bildung und Möglichkeiten zur Teilhabe. Mehr noch: Das Interesse wächst mit der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung, mit der Verunsicherung durch Migration, durch Corona, den Krieg gegen die Ukraine, die steigenden Preise.
Ländlicher Raum ist ein weites Feld – und es ist ein signifikanter Unterschied, ob es um die Lausitz oder das Ruhrgebiet geht, um den Thüringer Wald oder Bayern.
Böhm: Natürlich, man kann ländliche Räume nicht über einen Kamm scheren. Es sind unterschiedliche Regionen mit unterschiedlicher Geschichte, insbesondere auch mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Deshalb ist es für uns zentral, Konzepte in enger Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort zu erarbeiten. So entstehen Angebote, die das tatsächliche Interesse der Menschen treffen.
Was bieten Sie an?
Sara Schmidt: Wir unterstützen insbesondere bei den Themen demokratische Teilhabe und Extremismusprävention. Über das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ fördern wir Vereine und Verbände, die in ländlichen Regionen verankert sind, zum Beispiel aus den Bereichen Sport oder Katastrophenschutz. Sie setzen sich für demokratische Vereinsstrukturen ein und gehen gegen diskriminierende und demokratiefeindliche Vorfälle vor. In anderen Projekten organisieren wir mit Partnern vor Ort Erzählcafés und Workshops, erproben neue Beteiligungsformen oder bieten Qualifizierungen für Multiplikatoren an. Das Ziel ist, attraktive Angebote politischer Bildung erlebbar zu machen und zu einer lebendigen demokratischen Kultur beizutragen.
Wer wendet sich an Sie?
Schmidt: Das ist ganz unterschiedlich: Wir arbeiten mit Sport- und Heimatvereinen, dem Technischen Hilfswerk oder der Feuerwehr zusammen. Auch Kommunalpolitiker, Kulturzentren oder Bibliotheken auf dem Land gehören zu unserem Netzwerk. Wir unterstützen dabei, Dialogräume bereitzustellen, helfen bei Kooperationen von Bildungsträgern, etwa Volkshochschulen, Jugend- und Sozialarbeit.
Ist das ein Thema, das immer wichtiger wird: Ausgrenzung, Hass, Hetze?
Schmidt: Leider ja, und oft fehlt das Handwerkszeug zur Konfliktarbeit: Wie kann man kommunizieren, moderieren, beteiligen? Wie geht man mit Querdenkern und Verschwörungsideologien um? Wie reagiert man, wenn Journalisten oder die Bürgermeisterin, der Bürgermeister angegriffen werden?
Böhm: Neben Kommunalpolitikern sind auch immer wieder engagierte Personen aus der Zivilgesellschaft betroffen, die sich zum Beispiel im Bereich Integration oder Klimaschutz engagieren. Diese Anfeindungen schaden unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt enorm. Deshalb sind auch rechtspopulistische und -extremistische Gruppierungen für uns ein Thema. Sie siedeln sich gerne in ländlichen und strukturschwachen Regionen an, um sich als „Kümmerer“ zu etablieren. Dabei nutzen sie die Sorgen der Menschen für ihre menschenverachtenden Ideologien aus. Unsere Arbeit konzentriert sich aber vor allem auf den Dialog mit denen, die demokratische Werte leben wollen. Sie wollen wir unterstützen und zum Beispiel Jugendlichen zeigen, dass es Alternativen zum rechten Rand gibt. Und dass Demokratie eben auch vom Mitmachen aller lebt.
Wie ordnen Sie selbst Ihre Arbeit ein?
Schmidt: Politische Bildung ist essentiell – sie kann aber nicht allein der Unzufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern über den Abbau der Infrastruktur in ländlichen Räumen entgegengesetzt werden. Es gibt weitere drängende Aufgaben, der ÖPNV zum Beispiel oder die Gesundheitsversorgung auf dem Land. Oft finden Bewegungen gegen demokratische Werte dann Anklang, wenn die Menschen vor Ort mit alltäglichen, aber dennoch wichtigen Fragen unzufrieden sind und kein Gehör finden: Die Kita ist zu teuer, oder die Baugenehmigung scheint endlos zu dauern.
Was kann helfen?
Böhm: Dialog und Teilhabe. Wir helfen zum Beispiel bei der Erprobung von Bürgerräten: Bürgerinnen und Bürger, die kein Mandat haben, aber zusammenkommen, um für sie wichtige Themen zu diskutieren und Handlungsempfehlungen für ihre Gemeinde zu erarbeiten. Es geht um Selbstwirksamkeit, also um die Erfahrung, dass es möglich ist, selbst etwas zu verändern und zu gestalten.
Welche Potenziale sehen Sie in ländlichen Räumen?
Böhm: Ländliche Räume haben ein großes Potenzial: Es gibt oft einen starken sozialen Zusammenhalt und eine Anpack-Mentalität, gemeinsam etwas zu tun. Auf dem Dorf werden solche Veränderungen dann schnell sichtbar, das kann motivieren. Ideen für Neues können auf dem Land noch Platz finden, zum Beispiel um verfallene oder leerstehende Räume wieder nutzbar zu machen. Ebenso gibt es bereits großartige Kooperationen von Vereinen, Feuerwehr, THW, Sport- und Hilfsvereinen, die sich zum Beispiel um Geflüchtete kümmern. Das sind Kooperationen, die sich in der Stadt eher nicht so schnell zusammengefunden haben. In ländlichen Räumen kennt man sich, es gibt mehr Nähe als in urbanen Kontexten – das birgt Potenzial, das man nutzen kann: für Gespräche und für gemeinsames Engagement.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person:
Lan Böhm leitet den Fachbereich „Politische Bildung im ländlichen Raum“ bei der Bundeszentrale für Politische Bildung. (www.bpb.de; www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de)
Sara Schmidt ist Referentin im Fachbereich „Politische Bildung in ländlichen Räumen“.