Pacht per Mausklick

Die Pflege von Streuobstwiesen leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft. In Mössingen erfolgt die Pachtverwaltung der im kommunalen Besitz befindlichen Flächen neuerdings online. Das Portal „myStueckle.de“ dient zudem als Datenbasis für weitere Planungen und Aktionen rund um die Obstbäume.

Mössingen ist mit 20.000 Einwohnern eine kleine Große Kreisstadt im Landkreis Tübingen (Baden-Württemberg). Ihre Lage am Rand der Schwäbischen Alb ist Fluch und Segen gleichermaßen. Bisweilen rutscht ein Stück des Mittelgebirges ab und verschiebt ganze Siedlungen oder Obstwiesen. Der Wikipedia-Eintrag „Mössinger Bergrutsch“ wiederum lockt Touristen zum neu entstandenen Nationalen Geotop.

Ähnlich ist es mit den Streuobstwiesen rund um Mössingen. Große Teile dieser Kulturlandschaft mit einer hohen Artenvielfalt in Fauna wie Flora stehen heute unter Natur- oder Vogelschutz. Denn während bundesweit seit 1965 rund die Hälfte aller Obstwiesen vernichtet wurden, blieb der Streuobstgürtel der Stadt weitgehend erhalten. Die Intensivierung der Landwirtschaft machte vor den steilen Albhängen Halt. Zudem befindet sich von den 40.000 Mössinger Streuobstbäumen ein erheblicher Anteil auf sogenannten „Allmandteilen“ im kommunalen Eigentum. Diese Einzelparzellen – der Schwabe sagt: „Stückle“ – werden an interessierte Bürger gegen eine geringe Gebühr verpachtet. Leider sind heute viele Allmandteile nicht mehr bewirtschaftet, die Baumbestände weisen Pflegerückstände auf, die Kulturlandschaft ist in Gefahr.

Das örtliche „Netzwerk Streuobst“, ein Zusammenschluss rühriger Streuobstaktivisten, versucht seit Jahren gemeinsam mit der Kommune dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Als problematisch erwies sich dabei jedoch, dass die Verpachtung auf Basis veralteter historischer Karten erfolgte. Der Verwaltungsaufwand war hoch, das Verfahren intransparent und nicht zeitgemäß. Zudem dauerte es sehr lange, bis pachtwillige Bürger das gewünschte Allmandteil zugewiesen bekamen.

Transparentes und zeitgemäßes Verfahren

Dabei liegen die Vorteile für alle Beteiligten auf der Hand. Der pachtende Bürger erhält ein kostenloses Fitness-Studio an der frischen Luft und erntet sein eigenes, regionales Bio-Obst direkt vom Baum. Die Natur- und Kulturlandschaft rund um Mössingen bleibt mitsamt ihrer Artenvielfalt erhalten. Die Stadt Mössingen gewinnt an Attraktivität für Neubürger wie Touristen, zumal viele Allmandteile direkt am viel begangenen Premiumwanderweg „Dreifürstensteig“ liegen, der 2014 zum zweitschönsten Wanderweg Deutschlands gekürt wurde.

Um interessierten Bürgern den Zugang zur Pacht zu erleichtern, entwickelte die Stadt Mössingen daher in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Streuobst „myStueckle.de“, eine zeitgemäße Plattform für die Verpachtung und Verwaltung dieser Grundstücke. Nach Auswahl der geeigneten „Stückle“ wurden die einzelnen Parzellen und Bäume anhand historischer Karten und aktueller Orthofotos digitalisiert. Eine Tübinger Webagentur erstellte eine Eingabemaske, mit der sich Stückle und Bäume mit dem Tablet vor Ort kartieren ließen. Diese Bestandsaufnahme besorgte die AiS Streuobst und Naturschutz, eine integrative Grüngruppe der Körperbehindertenförderung Neckar-Alb. Parallel dazu wurden die einzelnen Grundstücke nach einem neu erarbeiteten System ausgeschildert, zusätzlich brachte die Ortsgruppe des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) Nisthilfen an.

Die gewonnenen Daten werden nun auf myStueckle.de präsentiert. Die übersichtlich aufgebaute, intuitiv bedienbare Website bietet interessierten Bürgern einen einfachen Zugang zur Pacht, erleichtert gleichzeitig die Verwaltung und dient als Datenbasis für weitere Planungen, Aktionen und Pflegemaßnahmen von Stadt und Netzwerk Streuobst.

Unter „Stücklewissen“ finden sich Informationen zu den städtischen Allmandteilen, ihrem Zuschnitt, den vertretenen Obstarten, naturschutzfachlichen Hintergründen, Rechten und Pflichten der Pächter, Ablauf des Pachtvorgangs sowie Hilfe zu allen offenen Fragen. Bei „Stückle suchen“ kann der potenzielle Pächter seine zentralen Kriterien zur Wahl eines „Stückles“ anlegen: In welchem Zustand befindet es sich? Wie gut ist es erreichbar? Welche Obstarten finde ich darauf? Die Website gibt die passenden Parzellen aus, die sich ergebende Liste kann nach weiteren Kriterien strukturiert werden.

Bürger nehmen das Angebot gut an

Mit der Funktion „Stückle zeigen“ lässt sich die einzelne Parzelle genauer unter die Lupe nehmen. So werden die Daten jedes einzelnen Baums ausgegeben – von Alter über Pflegezustand und Schäden bis hin zu den genauen GPS-Daten. Ist der Interessent davon überzeugt, das richtige Stückle gefunden zu haben, kann er per Knopfdruck eine Pachtanfrage an die Stadt Mössingen abschicken. Innerhalb weniger Tage wird dann der Pachtvertrag abgeschlossen.

Finanzielle Unterstützung kam vom Land Baden-Württemberg, das über PLENUM („Projekt des Landes zur Erhaltung und Entwicklung von Natur und Umwelt“) Tübingen vorrangig Naturschutz-Projekte mit inklusivem Ansatz fördert. Die Plattform myStueckle.de startete Ende 2014 und ging unter dem schwäbisch-weltläufigen Motto „I hol mir myStueckle online!“ Ende Oktober 2015 online.

Ganz offensichtlich kommt das Angebot bei der Bürgern gut an. Morgens um halb sieben kam die erste Pachtanfrage im Rathaus an, nach weiteren zwei Wochen waren bereits zwölf „Stückle“ neu verpachtet – auch von Bürgern anderer Kommunen, die vergeblich versucht hatten, dort an eine Pacht zu gelangen.

Bereits jetzt geplant ist die Ausweitung von myStueckle.de um den weiteren Menüpunkt „Patenschaften“. Bürger, die selbst nicht in der Lage sind, ein Stückle zu bewirtschaften, können zukünftig auf diese Weise für ausgewählte Stückle oder sogar einzelne Bäume Patenschaften übernehmen. Sie finanzieren damit deren Pflege, ebenfalls durch die integrative Grüngruppe der AiS. Anfang 2016 soll zur Umsetzung dieser Idee ein weiteres PLENUM-Projekt beantragt werden.

Nicole Siller

Die Autorin
Nicole Siller ist Pressesprecherin der Stadt Mössingen und leitet die Geschäftsstelle des Gemeinderats bei der Stadtverwaltung