Öffentlicher Personennahverkehr: Auch nachts sicher unterwegs

Um Fahrgäste in Bus und Bahn besser zu schützen, haben Forscher mit dem Verbundprojekt „Inreakt“ ein automatisiertes Alarmsystem entwickelt. Mithilfe von Videoaufnahmen und Geräuschsensoren erkennt es gefährliche Situationen.

Vor allem in Städten fahren viele Menschen regelmäßig mit Bussen, S- oder U-Bahn – auch nachts. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) stellt das Rückgrat der städtischen Mobilität dar. Vorfälle von Gewalt, Sachbeschädigungen und Vandalismus in Bussen und Bahnen sowie an Haltestellen können allerdings dazu führen, dass sich Fahrgäste, insbesondere nachts und in Zeiten geringer Frequentierung, unwohl fühlen oder öffentliche Verkehrsmittel ganz meiden. Auch für Fahrer, Fahrscheinkontrolleure oder Sicherheitskräfte besteht die Gefahr, in kritische Situationen zu geraten.

Wissensdatenbank baut auf selbstlernenden Systemen auf

Das Projekt „Inreakt“ verfolgt das Ziel, mit einer kombinierten Video- und Audiodetektion sicherheitskritische Situationen und Notfälle im ÖPNV automatisiert zu erkennen und gegebenenfalls das Sicherheitspersonal zu alarmieren. Für solche Fälle sind im System Handlungsempfehlungen für das Personal in der Leitstelle hinterlegt. Diese Wissensdatenbank baut auf selbstlernenden Strukturen auf, das heißt, die dort zur Verfügung stehenden Entscheidungshilfen werden kontinuierlich verbessert. Dabei kommt das System ohne die Speicherung von Daten aus.

Die Sicherheit von Fahrgästen und Mitarbeitern der Verkehrsbetriebe zu erhöhen, war Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Integrierte Hilfe-Reaktionsketten zur Erhöhung der Sicherheit des ÖPNV (Inreakt)“ unter Leitung der Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen (Stuva). Der Ansatz bestand darin, ein effektives technisches Notfallmanagementsystem zu erforschen, das bei drohenden Gefahren automatisch die Leitstelle des zuständigen Verkehrsbetriebs informiert und dabei nicht in den Datenschutz eingreift.

Keine Speicherung von Daten

Das automatisierte Assistenzsystem erkennt gefährliche Situationen anhand optischer, akustischer und mechanischer Sensoren. Es registriert beispielsweise, ob eine Person bewusstlos am Boden liegt, ob jemand in der Bahn ein verdächtiges Objekt zurückgelassen hat oder ob Personen an einer Haltestelle das Mobiliar zerstören. Dann wird automatisch ein Alarm an die Leitstelle übertragen. Hier überprüfen die Mitarbeiter die Situation, etwa durch eine Kontaktaufnahme mit dem Fahrpersonal. Bei Gefahr verständigt die Leitstelle das Sicherheitspersonal oder die Polizei. Außerdem haben die Forschungspartner eine App entwickelt, mit der Fahrkartenkontrolleure oder andere Fahrgäste schnell und unauffällig Hilfe anfordern können.

„Inreakt“ dient nicht zur Sicherung von Beweisen, sondern nur dafür, im Ernstfall Hilfe anzufordern. Daher findet keine Speicherung von personenbezogenen Daten statt. Das den Sensoren nachgelagerte System greift auf abstrahierte Modelle zurück, die keine Rückschlüsse auf Alter, Geschlecht oder Ethnie zulassen.

Gefördert und ausgezeichnet

Im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ wurde das Projekt von 2013 bis 2016 vom Bundesforschungsministerium mit rund 2,75 Millionen Euro gefördert. Das gesamte Projektvolumen betrug rund 3,76 Millionen Euro. Als Forschungspartner beteiligten sich neben dem Koordinator Stuva auch das Fraunhofer-Institut in Berlin, die Innovative Informatikanwendungen in Transport-, Verkehrs- und Leitsystemen (INIT) in Karlsruhe, die Informations- und Kommunikationsgesellschaft (Infokom) in Neubrandenburg sowie die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und die Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK). Im Juli 2017 erhielt „Inreakt“ den Deutschen Mobilitätspreis.

Das Konzept wurde bewusst nicht nur von IT-Experten, sondern in Zusammenarbeit mit Psychologen und Datenschutzexperten entwickelt. So konnte man unter anderem die Fehlalarmrate der Sensoren verringern. Außerdem wurde die Akzeptanz vonseiten der Fahrgäste und der Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen erhöht. Der Praxispartner VBK hat bereits einen Demonstrator entwickelt und vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein Fahrzeug der Stadtbahn, in das die Sensorik sowie eine Sicherheits-App für Fahrgäste und Kontrolleure eingebaut sind. Dieser Demonstrator hat die Funktionsfähigkeit der Technik gezeigt. Auch eine Low-Budget-Sensorik zum Erkennen von Vandalismus an Haltestellen wurde entwickelt.

Der Autor: Dr.-Ing. Christian Thienert ist Bereichsleiter Tunnelbau und Bautechnik bei Stuva in Köln.