Neue Stadtbilder für den Klimawandel

Von großer Bedeutung ist der Paradigmenwechsel im urbanen Raum, betont Professor Uli Paetzel: „Regen muss als wichtige Ressource, nicht als störendes Wasser gesehen und behandelt werden.“ Foto: Adobe Stock/paolo temporin/EyeEm

Anpassung an veränderte Regenmengen und Regenzeiten – dafür wirbt DWA-Präsident Uli Paetzel: Es sollte darum gehen, das Wasser in der Stadt zu halten, um dem Klimawandel begegnen und die Lebensqualität in urbanen Räumen erhöhen zu können.

Der Klimawandel verändert das Niederschlagsregime in Deutschland. Auf das Jahr bezogen bleibt die Regenmenge relativ gleich, saisonal sagen die Meteorologen aber gravierende Verschiebungen voraus. In den Wintermonaten wird es mehr regnen, die Sommer werden deutlich wärmer und trockener. Zudem fällt ein Großteil der Sommer-niederschläge häufig im Zuge von wenigen kurzen, aber intensiven Niederschlags-ereignissen.

Die Kommunen müssen darauf zeitnah reagieren. Ansonsten ist die gewohnte ständige Verfügbarkeit von Wasser für alle Verwendungen nicht jederzeit und überall gewährleistet – auch die Versorgung des Stadtgrüns ist dann gefährdet. Der Sommer 2022 hat die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen eindrucksvoll unterstrichen. Das wasser-wirtschaftliche Instrumentarium – Rückhalt, Speicherung, natürlicher Wasserhaushalt – für eine wasserbewusste Stadtentwicklung steht zur Verfügung, das ist die gute Nachricht. Vereinzelte Leuchtturmprojekte reichen aber nicht aus. Wir brauchen bundesweit eine flächendeckende Umsetzung – für lebenswerte Kommunen.

Allein von den letzten zwölf Jahren in Deutschland waren zehn zu trocken. Der Mittelwert der Referenzperiode 1961 bis 1990 von knapp 790 l/m2 wurde laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) lediglich in zwei Jahren erreicht beziehungsweise übertroffen, dagegen stehen Unterschreitungen des Mittelwertes von bis zu 25 Prozent. Für das Jahr 2022 meldet der DWD ein Minus von rund 15 Prozent.

Klug umgehen mit dem Lebenselixier

Noch deutlicher sind die Abweichungen in den Sommermonaten und im Frühling. So erreichte im für die Vegetation wichtigen Frühling nur ein Jahr in den letzten zwölf Jahren den langjährigen Durchschnittswert. In anderen Jahren wurde hingegen nur gut die Hälfte des erwarteten Niederschlags gemessen. Gleiches gilt für den Sommer, auch hier verzeichnet die Statistik Unterschreitungen der Sollwerte von gut 40 Prozent.

Klare Schlussfolgerung: Wenn Regen fällt, muss das Wasser lokal zurückgehalten werden, sowohl in der Fläche als auch im urbanen Raum. Die Zeiten der schnellen Ableitung von Niederschlägen in die Bäche und Flüsse sind vorbei, der Paradigmen-wechsel zum verstärkten Wasserrückhalt ist bereits eingeleitet und muss forciert werden.

Die DWA hat diesen Paradigmenwechsel bereits technisch-wissenschaftlich untermauert, die Arbeits- und Merkblattreihe DWA-A/M 102 enthält eine große Fülle von Hinweisen und Empfehlungen zum klimawandelgerechten Umgang mit Niederschlagswasser – das reicht von der Entwässerung von Neubaugebieten über die Optimierung bestehender Entwässerungsanlagen bis zur Wasserhaushaltsbilanz für die Bewirtschaftung von Niederschlagswasser.

Natürlichen Wasserhaushalt schaffen

In der Fläche ist der Wasserrückhalt unabdingbar, um Wälder und Landwirtschaft wie Industrie und Energiewirtschaft auch während anhaltender Trockenphasen jederzeit sicher mit ausreichend Wasser versorgen zu können. Dieser Wasserrückhalt muss von Maßnahmen zur sparsamen Wasserverwendung in Industrie und Landwirtschaft begleitetet werden, auch die Wiederverwendung von aufbereitetem Abwasser wird in Deutschland ein wichtiges Thema werden. Den gesetzlichen Rahmen hat die EU bereits mit der Verordnung zur Wasserwiederverwendung geschaffen, die in diesem Sommer in Kraft tritt.

Von genauso großer Bedeutung ist der Paradigmenwechsel im urbanen Raum. Regen muss als wichtige Ressource und nicht als störendes Wasser gesehen und behandelt werden. Das Ideal ist die Schaffung eines natürlichen Wasserhaushalts. Flächen-entsiegelungen, Gründächer und Grünfassaden, ober- und unterirdische Anlagen zum Wasserrückhalt; alle Elemente einer grün-blauen Infrastruktur müssen genutzt werden, um Wasser in der Stadt zu halten.

Nur wenn die ergiebigen Winterniederschläge sowie die zum Teil sehr intensiven Sommerniederschläge – Stichworte sind hier Gewitter und Starkregen – in ausreichenden Mengen zurückgehalten und gespeichert werden, kann das Stadtgrün jederzeit sicher mit Wasser versorgt werden. Dass Feuerwehren ausrücken, um Stadtbäume mit Wasser zu versorgen, dass Wiesen und Grünanlagen verdorren, muss auch in langen Trocken-perioden nicht sein. Mit vorausschauenden wasserwirtschaftlichen Maßnahmen im Sinne der grün-blauen Infrastruktur kann hier viel Abhilfe geschaffen werden.

Gemeinsam am Wasserfall arbeiten

Problematisch bei der konkreten Umsetzung entsprechender Projekte ist jedoch nach wie vor der rechtliche Rahmen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung. In vielen Bundesländern dürfen beispielsweise Entwässerungsgebühren nicht für den erweiterten Wasserrückhalt verwendet werden. Häufig ist zudem unklar, wer bei Maßnahmen an multifunktionalen Flächen nach der Investition für den Unterhalt zuständig ist und auch die Betriebskosten übernimmt. Hier muss mehr rechtliche Klarheit geschaffen werden, hier müssen aber auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Zudem arbeiten die verschiedenen Stakeholder und Abteilungen in den Kommunen häufig gar nicht oder erst zu spät zusammen. Insbesondere die Raum- und Stadtplanung muss die Wasserwirtschaft frühzeitig mit ins Boot holen – und selbstverständlich auch umgekehrt. Alle Beteiligten müssen die Möglichkeiten und Probleme kennen, um gute wasserwirtschaftliche Lösungen für die Kommunen zu schaffen.

Die DWA hat mit der Allianz „Gemeinsam für eine wasserbewusste Stadtentwicklung“ eine wichtige Zusammenarbeit initiiert. Verbände und Fachleute der Stadt- und Regional-planung, der Architektur und der Wasserwirtschaft haben sich hier zusammen-geschlossen, um gemeinsam die wasserbewusste Stadtentwicklung über Leuchtturmprojekte hinaus in die Fläche zu bringen.

Grün-blaue Infrastruktur – das geht!

Dass die grün-blaue Infrastruktur nicht nur funktioniert, sondern auch wirtschaftliche Vorteile bietet und vor allem die Lebensqualität in den Städten verbessert, zeigen mittlerweile zahlreiche erfolgreiche Projekte täglich in der Praxis. Beispielsweise hat die Emschergenossenschaft gemeinsam mit der Stadt Bochum einen aufgegebenen Tennen-Fußballplatz, klassisch als Ascheplatz bekannt, zu einem Begegnungsplatz für unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen umgebaut.

Dabei wurden alle befestigten Flächen sowie das Dach der Freilufthalle von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt. Zudem hat die Stadt Bochum zwei flache Versickerungsmulden auf dem Gelände angelegt. Das Ergebnis: Jährlich können dort 6500 > Regenwasser versickern oder verdunsten – Grundwasseranreicherung und Minderung des Hitzestresses.

Ähnlich und doch anders ein Projekt in Herne: Im Gewerbegebiet Hibernia wird das Niederschlagswasser nicht mehr in die Mischwasserkanalisation eingeleitet, sondern in Grachten. Von dort wird das Wasser einem Bach zugeführt, der früher auf dem Gelände seinen Quellbereich hatte. Die offenen Wasserflächen tragen zur Verdunstungskühlung bei, werten das Areal stadtplanerisch auf und verbessern die Aufenthaltssituation. Das Projekt wurde durch die Stadtentwässerung Herne mit Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen und der Emschergenossenschaft umgesetzt. Uli Paetzel

Der Autor: Professor Uli Paetzel ist Präsident der DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall sowie Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband.

 

Wasserbewusste Stadtentwicklung

Die DWA hat die Allianz „Gemeinsam für eine wasserbewusste Stadtentwicklung“ initiiert: Verbände und Fachleute der Stadt- und Regionalplanung, der Architektur und der Wasserwirtschaft haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam die wasserbewusste Stadtentwicklung über Leuchtturmprojekte hinaus in die Fläche zu bringen. Die Allianz steht für weitere Interessierte offen.