Bioverbundwerkstoffe helfen, umweltschonender zu bauen. Professorin Hanaa Dahy hat verschiedene Bauelemente aus Naturfasern entwickelt und mit dem Smart Circular Bridge-Team das Konzept einer Brücke aus Flachs entwickelt.
Die erste „Smart Circular Bridge“ wurde im niederländischen Almere realisiert: mit einem Verbundwerkstoff aus Flachsfasern und Bioharz. Geplant und gebaut wurde sie von einem Team aus 15 Partnern unter der Führung der Technischen Universität Eindhoven.
Zwei weitere Brücken dieses Typs werden demnächst in Ulm und in Bergen op Zoom in den Niederlanden errichtet. Die Kommunen als Träger spielen eine treibende Rolle im Konsortium. Der Bau in Ulm soll bis Dezember 2022 fertiggestellt sein und wird eine alte Brücke nahe dem Münster ersetzen. Dort soll der Biomasseanteil des Biokomposit-Bindemittels auf 60 Prozent erhöht werden, und die Flachsfasern sollen zudem wie bei der Brücke in Almere weiterverwendet werden.
Flachs eignet sich für anspruchsvolle Anwendungen in der Bauwirtschaft aus vielerlei Gründen. Die Fasern sind ausgesprochen robust und werden seit Jahrhunderten beispielsweise für Schiffstaue eingesetzt. Im Gegensatz zu Holz ist Flachs zudem eine schnell wachsende Pflanze: Mit ihrer Verwendung in der Bauwirtschaft lässt sich in kurzer Zeit CO2 binden.
Leichte, stabile und haltbare Werkstoffe
Zugleich ist Flachs im Anbau äußerst anspruchslos. Die alte Kulturpflanze wächst in zahlreichen europäischen Regionen, etwa in Frankreich, Belgien, in den Niederlanden und in Deutschland. Für die Brücke in Almere mit ihrer Spannweite von 15 Metern war eine Anbaufläche von knapp zwei Hektar erforderlich.
Neben dem Flachs bilden Bioharze die zweite Komponente des Verbundwerkstoffs. Wenn die Flachsfasern mit Harz getränkt werden, entsteht ein leichter und stabiler Werkstoff. Er ist etwa mit Aluminium oder Stahl vergleichbar und ermöglicht damit viele Anwendungen in der kommunalen Bauwirtschaft.
Der Bioverbundwerkstoff ist nicht nur stabil, sondern auch ausgesprochen haltbar: Die Flachsfasern werden durch den Einschluss im Harz geschützt. Die Halbbarkeit der „Smart Circular Bridges“ ist mit der Lebensdauer konventionell gebauter Brücken vergleichbar.
Alte Tradition und moderne Forschung verbinden
Die Brücke in Almere wird intensiv überwacht. Knapp 100 Sensoren liefern in Echtzeit und mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz kontinuierlich Daten. Diese Überwachung gewährleistet zum einen Sicherheit. Zum anderen geben die Daten den Forschern an Hochschule und in Unternehmen wichtige Einblicke in das Materialverhalten.
Der weltweite Holzverbrauch wird seit dem späten 20. Jahrhundert in Frage gestellt, insbesondere nach den großen Waldschäden in den Jahren 2019 und 2020 in Australien sowie 2021 im Amazonasregenwald. Der internationale Trend, die Wälder schützen zu wollen, machte die Suche nach anderen Lignozellulose-Alternativen auf erneuerbarer Biomassebasis, den Biokompositen, erforderlich.
Ressourcenintensive Materialien wie Stahl und Beton sind die dominierenden Werkstoffe in der Bauindustrie. Seit den 1990er Jahren wurden aber verschiedene neue Technologien auf der Basis von Biokompositen entwickelt: Wood Polymer Composites (WPC) aus Holz und jährlich anfallenden landwirtschaftlichen Reststoffen wie Stroh, die mit Thermoplasten verbunden werden.
Bioflexi aus Strohfasern und TPE
Eines der Beispiele ist der thermoplastische Bioverbundwerkstoff aus Reishülsen und Polyvinylkarbonat (PVC), der unter dem Handelsnamen Resysta bekannt ist und sowohl im Außen- als auch im Innenbereich als Verkleidungs- und Fußbodensystem eingesetzt wird.
Ein weiteres Produktbeispiel ist das von Hanaa Dahy erfundene Bioflexi, das aus Strohfasern und thermoplastischen, elastischen Polymeren (TPE) hergestellt wird und sich für Bodenbeläge und Möbel eignet. Diese Entwicklungen basierten auf der Verwendung kurzer Lignocellulose-Fasern.
Eines der weltweit bedeutendsten Projekte zur Anwendung von Biokompositen, insbesondere für langlebige Schwerlastkonstruktionen, ist bisher die SCB (Smart Circular Bridges). Diese Brückenkonstruktion zeigt das enorme Potenzial der erneuerbaren Ressourcen und beseitigt alle Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit gegenüber Holz, Stahl und Beton.
Die multidisziplinäre Forschungsarbeit wird es hoffentlich ermöglichen, den Markt für diese Art von biokompositbasierten Bausystemen in den kommenden fünf Jahren zu öffnen. Hanaa Dahy, Patrick Teuffel, Martin Prösler
Die Autoren: Hanaa Dahy ist Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart. 2016 hat sie dort die Abteilung „Biomaterialien und Stoffkreisläufe in der Architektur“ am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen gegründet. Patrick Teuffel ist Professor für Innovative Structural Design an der TU Eindhoven und Gründer von Circular Structural Design in Berlin. Martin Prösler leitet die Agentur Proesler Kommunikation.