Seit den Krawallen Mitte August um ein Erstaufnahmelager haftet Heidenau in Sachsen der Makel der Fremdenfeindlichkeit an. Bürgermeister Jürgen Opitz spricht im Interview über die Hintergründe der Randale, voreingenommene Medien, verunsicherte und gleichwohl hilfsbereite Bürger und Fehler der Asylpolitik.
Herr Bürgermeister Opitz, Ende August wurde von Ihrer Stadt in den Medien das Bild des braunen, fremdenfeindlichen Nestes gezeichnet, Sie selbst haben im Zusammenhang mit den Krawallen um das Erstaufnahmelager eine Flut erboster Briefe und Mails auch von Bürgern aus anderen Bundesländern erhalten. Was empfindet man in einer solchen Situation?
Opitz: Die Häme, die da über mich und die Stadt ausgegossen wurde, und der spürbare Hass, das tut schon weh. Zumal ich den Eindruck habe, dass von der überwiegenden Zahl der Medien wieder einmal eine bestimmte Auffassung der Leser und Zuschauer bedient wurde. Nämlich die, dass der Osten überwiegend braun ist.
Die gewalttätigen Ausschreitungen in Ihrer Stadt und die fremdenfeindlichen Parolen lassen sich aber nicht wegdiskutieren …
Opitz: Nein, aber man muss schon genau hinschauen. Angezettelt wurden die Demonstrationen von der NPD in der Stadt und dann stiegen gewaltbereite Rechtsextreme aus anderen Regionen ein. Die Krawalle kamen nicht aus der Bürgerschaft. Und Heidenau ist nicht der einzige Ort in Deutschland, in der es Randale um die Unterbringung von Flüchtlingen gibt. Anderswo werden Asylbewerberheime angezündet, das sollte nicht vergessen werden.
Dennoch gibt es die Bilder von Heidenauer Müttern, die mit Kindern an der Hand bei der Demonstration mitzogen. Geht ein Riss durch die Stadtgesellschaft?
Opitz: Ein Riss geht nicht nur durch Heidenau, er geht durch ganz Deutschland. Aber: Etlichen von den Bürgern, die da mitliefen, war nicht klar, auf was sie sich einlassen. In den Tagen nach den Ausschreitungen kamen Frauen zu mir, die sich weinend dafür entschuldigten, dass sie dabei waren, als aus dem Demonstrationszug heraus vor meinem Haus „Opitz Volksverräter“ gebrüllt wurde.
Was bewegt diese Leute, überhaupt gegen die Aufnahme von Flüchtlingen auf die Straße zu gehen?
Opitz: Sie sind verunsichert. Angesichts der großen Zahl der Menschen, die ins Land strömen, fürchten sie um die Sicherheit ihrer Familien, um die öffentliche Sicherheit, und gehen dabei auch perfider rechter Propaganda auf den Leim. Sie befürchten massive Auswirkungen auf das geregelte tägliche Leben. Ich werde zum Beispiel immer wieder gefragt, wie es denn in Heidenau weitergehen soll mit den Kindern und deren Unterricht und Vereinsaktivitäten, wenn Sporthallen als Flüchtlingsquartiere herangezogen werden. In meinen Gesprächen mit besorgten Bürgern versuche ich immer die Differenzierung, welche Ängste einen realen Hintergrund haben und was dann auf die Flüchtlinge projeziert wird. In der Regel wird mir gegenüber beteuert, dass man gar nichts gegen sie habe, sondern ihnen gern helfen wolle.
Also alles gar nicht so dramatisch?
Opitz: Nun, wir haben eine rechtsextreme Szene in der Stadt, die für Demonstrationen rund 150 Anhänger mobilisieren kann. Die konzentrieren sich auf einen Stadtteil und lassen sich für vernünftige Gespräche kaum erreichen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist aber auf der Seite der Flüchtlinge. Das zeigt sich an den ehrenamtlichen Aktivitäten, an den vielen Spenden für die rund 90 der Stadt direkt zugewiesenen Flüchtlinge, der Arbeit des Heidenauer Integrationsrates, dem auch Stadtratsmitglieder angehören.
Sie selbst haben keinen guten Eindruck von der Asylpolitik des Bundes und der Organisation der Flüchtlingsverteilung. Was läuft falsch?
Opitz: Ich habe neulich bei einer Veranstaltung zum Thema Asylpolitik in Berlin an die Adresse der Verantwortlichen im Bund gerichtet gesagt: Wenn ein Bürgermeister so arbeiten würde wie ihr, wäre in Deutschland keine einzige Straße fertig geworden. Klar, die augenblickliche Situation ist komplizierter als der Bau einer Dorfstraße. Dennoch: Es fehlt mir das planvolle Vorgehen, es fehlen klare Aussagen über die Bereitstellung ausreichender Mittel, es fehlt die Zuweisung von genügend Mitarbeitern an das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, es fehlt eine sinnvolle Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen schon allein zur Beschleunigung der Aufnahmeverfahren. Wenn etwa in der Außenstelle des BAMF in Chemnitz Listen des Deutschen Roten Kreuzes mit fertigen Datensätzen aus der Ersterfassung von Flüchtlingen ausgedruckt und dann wieder händisch in die Bundesamts-Computer eingegeben werden, weil es am Datenkonvertierungs-Know-how mangelt, dann haben wir dort schon einen ersten Flaschenhals.
Was erwarten Sie von der Regierung?
Opitz: Die Bundesregierung muss sich jetzt schon darauf einstellen und das entsprechend den Bürgern sagen, dass die anerkannten Asylbewerber nicht auf Dauer Empfänger von Transferleistungen sein sollen. Sie brauchen Arbeit und Wohnungen. Einen funktionierenden Plan scheint es in der Asylpolitik nicht zu geben, und die Frustration bei den Bürgermeistern und Landräten ist riesengroß, weil sie einmal mehr am Ende der Fresskette stehen und sehen müssen, wie sie mit den Problemen vor Ort zurechtkommen.
Interview: Wolfram Markus
Zur Person: Jürgen Opitz (Jg. 1955, verheiratet, zwei Kinder) stammt aus Kyritz in Brandenburg. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Erfurt absolvierte er eine Ausbildung zum Schlosser, die er im Jahr 1989 mit der Meisterprüfung beendete. 1990 nahm er ein dreijähriges Studium mit dem Ziel Diplom-Verwaltungsbetriebswirt (VWA) auf, ebenfalls 1990 wurde er Erster Beigeordneter der Stadt Heidenau (Sachsen). 2012 ließ er sich als Kandidat für die Bürgermeisterwahl in seiner Wahlheimat aufstellen und setzte sich im ersten Wahlgang gegen drei Mitbewerber durch. Opitz ist Mitglied der CDU.