Mit Brief und Siegel

Die Vorstellung, Essen aus den Laboren der Nahrungsmittelindustrie serviert zu bekommen, erschreckt viele Menschen. Gesundheitsorientierte Kommunen setzen hier ein Zeichen und schließen sich den Gentechnik-Gegnern an. Ein Siegel bringt neue Impulse für nachhaltige Lebensmittel in die Regionen.

Viele Kommunen haben früh ein gutes Gespür bewiesen, was den Großteil der Bevölkerung bewegt, wenn es um Gentechnik geht: Die Menschen lehnen Nahrungsmittel ab, die in irgendeiner Weise gentechnisch verändert sind. Zur Speerspitze der Gentechnik-Gegenbewegung gehört die niedersächsische Gemeinde Adendorf (rund 10.200 Einwohner) bei Lüneburg. Sie fasste bereits im Juli 1999 den Ratsbeschluss, dass auf gemeindeeigenen Flächen kein gentechnisch verändertes Pflanz- oder Saatgut ausgebracht werden darf. Ein weiterer Vorreiter ist die hessische Taunusstadt Friedrichsdorf (rund 25.000 Einwohner). Im Mai 2000 beauftragten die Stadtverordneten den Magistrat, in den Pachtverträgen der Stadt einen Passus aufzunehmen, wonach der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf kommunalen Flächen untersagt ist.

Während anfänglich nur wenige Landwirte den Initiativen der Kommunen bezüglich Gentechnikfreiheit am Ort folgten, zeichnet sich heute ein anderes Bild. Bundesweit verfolgen knapp 350 Gemeinden das Ziel der Gentechnikfreiheit. Etwa 32.000 Landwirte sind in 215 Initiativen zu gentechnikfreien Regionen beigetreten. Freiwillig verpflichten sie sich, nun auch bei der Tierhaltung keine Futtermittel einzusetzen, die Gentechnikprodukte enthalten.

Politische Beweggründe sind dabei längst in den Hintergrund getreten. Vielmehr lehnt laut den Ergebnissen zahlreicher Umfragen die überwiegende Mehrheit der Verbraucher Gentechnik in Lebensmitteln und in der Landwirtschaft ab. Der Lebensmitteleinzelhandel reagiert und die großen Handelsketten verlangen bei Milch, Fleisch und Eiern für ihre Eigenmarken eine gentechnikfreie Fütterung. Damit steigen die Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit der Produkte.

Trotz des seit 2004 geltenden europäischen Gentechnik-Durchführungsgesetzes (EGGenTDurchfG) können Verbraucher nicht erkennen, ob Milch, Fleisch oder Eier von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden. Die Lücke schließt seit Anfang 2016 die freiwillige „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung. Herausgeber des Siegels ist der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Lebensmittel, die die Kennzeichnung tragen, dürfen keine gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sein, solche nicht enthalten und nicht aus solchen oder durch solche erzeugt worden sein.

Eine Ausnahme gilt allerdings: Sind notwendige Zusatzstoffe wie Vitamine nachweislich nicht mehr in der Qualität „ohne Gentechnik“ erhältlich, können auch Zutaten verwendet werden, die durch gentechnisch veränderte Organismen hergestellt wurden.

Effekte für das Grünland

Während Erzeuger mit Bio- oder Öko-Zertifizierung das Ohne-Gentechnik-Siegel nicht benötigen, streben konventionelle Höfe, Futtermittelhersteller und Direkterzeuger vermehrt den Standard an. Sie wollen damit die Absatzwege für die regional erzeugten Lebensmittel wie Milch, Milchprodukte, Hühnereier sowie für Fleisch und Fleischprodukte sichern.

Durch die garantierte Gentechnikfreiheit entstehen positive Effekte für eine artenreichere Grünlandbewirtschaftung. Weil der Gesamteiweißbedarf in der Viehhaltung sich bisher meist nicht durch heimische Eiweißpflanzen decken lässt, gleichen konventionell arbeitende Landwirte das fehlende Eiweiß bisher oft mit gentechnisch verändertem Sojaschrot aus Übersee aus. Dieser Ergänzungsbedarf wird nun verstärkt durch in Deutschland angebautes Soja, besonders eiweißreiche Hülsenfrüchte oder durch Luzerne aus ebenfalls deutscher Produktion gedeckt.

Sicher umgesetzt

Das VLOG-Siegel „Ohne Gentechnik für Futtermittel“ kann zum Beispiel eine Molkerei beantragen oder auch der einzelne Landwirt, wenn er seine Milch direkt vermarktet. Doch die Komplexität der Lebensmittelkette führt in der Praxis zu Schwachstellen: Der Standard fordert zur verlässlichen Überwachung die Trennung der Warenströme im Betrieb, was im Produktionsablauf fast nie vollständig realisiert wird.

Daher stellen zum Beispiel einzelne Mühlenbetriebe komplett auf gentechnikfreie Produkte um, da sie die Trennung nicht sicher umsetzen können. Andernfalls wären auch sonst gentechnische Verunreinigungen in der vorgelagerten Lieferkette durch gemeinsame Maschinennutzungen bei der Aussaat, Ernte, Lagerung oder beim Transport nicht auszuschließen. Kontaminationen mit in der Folge hohen Kosten für die Beseitigung der verunreinigten Produkte sowie die Schädigung des guten Rufs des verarbeitenden Unternehmens wären die Folge.

Die Zertifizierung eignet sich als wichtiges Instrument, komplexe Warenströme zwischen lokalen Erzeugern, Verarbeitern und dem Handel transparent zu machen. Herkunftsnachweise für Rohstoffe werden dabei sehr genau überprüft, insbesondere für Rohstoffe, die als GVO-Ware und GVO-freie Ware verfügbar sind. Gleichzeitig haben kommunale Verpächter die größtmögliche Sicherheit, dass keine gentechnisch veränderten Futtermittelrohstoffe angebaut oder in den Verkehr gebracht werden. Solch ein öffentlich nachvollziehbares Qualitätsmanagement ist damit gut geeignet, das Verbrauchervertrauen in die regionale Nahrungsmittelerzeugung weiter zu stärken.

Frank-Andre Storr

Der Autor
Frank-Andre Storr ist staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker und Auditor bei Dekra Certification in Stuttgart

Info: Das können Kommunen tun
Gemeinden, Städte und Landkreise, die eine gentechnikfreie Lebensmittelproduktion unterstützen wollen, können sich in verschiedener Weise für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft engagieren:

  • Das Stadtparlament kann Beschlüsse fassen, die eigene Kommune als gentechnikfrei zu deklarieren und in Pachtverträgen den Einsatz von Gentechnik auf landwirtschaftlich genutzten kommunalen Flächen zu untersagen.

  • Stadt- und Gemeinderäte können veranlassen, dass in kommunalen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und Kantinen nur gentechnikfreie Lebensmittel und Zutaten verwendet werden dürfen.

  • Dort wo Stadtverwaltungen nur mittelbare Einflussmöglichkeiten haben, können Stadt- und Gemeinderäte gentechnikfreie Regionen unterstützen, indem sie einen öffentlichen Meinungsaustausch mit allen Landwirten in der jeweiligen Region initiieren.

Weitere Informationen zum Thema und Praxistipps für Kommunen, die die Gentechnikfreiheit fördern wollen, finden sich auf folgenden Websites:
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) – Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG)