Ein rauer Ton oder sogar Beleidigungen und heftige Anfeindungen: Das erschwert sachbezogene Entscheidungsfindungen im Rat – und schreckt zudem Neulinge ab, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Mit einem Kodex aber kann man gegensteuern: Das empfiehlt Sozial- und Wirtschaftshistoriker Sven Tetzlaff.
Die Gesprächskultur ist nicht nur in der Gesellschaft rauer geworden. Auch in den Räten hat in den letzten Jahren zunehmend ein respektloser Umgang untereinander Einzug gehalten. Ratsmitglieder, die Übergriffe oder Grenzüberschreitungen erleben, fühlen sich häufig alleingelassen.
Diese Entwicklung hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Atmosphäre und die Effektivität der kommunalpolitischen Arbeit. Sie hat vielmehr auch langfristige Konsequenzen für die Bereitschaft von Menschen, sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Die zunehmende Härte in den Debatten, der respektlose Umgangston und persönlich herabwürdigende Angriffe schrecken potenzielle ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker ab. Sie befürchten, in einem solchen Klima nicht konstruktiv arbeiten zu können, und wollen sich Beleidigungen und Herabsetzungen nicht aussetzen.
In einer für die Körber-Stiftung durchgeführten repräsentativen Umfrage in Deutschland gaben im letzten Jahr 21 Prozent als Hinderungsgrund für ein kommunalpolitisches Engagement an, dass sie Hass und Hetze in kommunalen Gremien befürchten. 18 Prozent nannten den rohen Ton als Grund. Insbesondere Frauen schreckt diese Aussicht davon ab, sich zu engagieren.
Vereinzelt haben Kommunalpolitikerinnen in den letzten Jahren begonnen, die Einführung von Leitlinien für eine verbesserte Gesprächskultur in kommunalen Gremien zum Thema zu machen. So waren beispielsweise in Potsdam und Flensburg diese Vorstöße erfolgreich, es wurden Kodizes gemeinsam erarbeitet und verabschiedet. Das Ziel war, einen Rahmen zu schaffen, der den gegenseitigen Respekt fördert, die sachliche Auseinandersetzung unterstützt und damit die Qualität der politischen Arbeit insgesamt verbessert.
Konkret vor Ort nachgefragt
Um die Lage genauer zu analysieren und darauf beruhend ein Format zu entwickeln, hat die Körber-Stiftung im letzten Jahr eine bundesweite Studie „Mehr Respekt bitte“ unter Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern durchführen lassen. Das Resümee der 30 leitfadengestützten Tiefeninterviews mit Ratsmitgliedern quer durch die Parteien, Bundesländer, Alter und Geschlechter lautete: Die Befragten sehen bei der Diskussionskultur deutlichen Verbesserungsbedarf.
Der Prozess umfasst die Analyse der bestehenden Gesprächskultur auf der Basis einer anonymen Befragung aller Ratsmitglieder. Zudem gehört die Entwicklung eines maßgeschneiderten Kodex unter Einbeziehung aller Fraktionen dazu. Beispiele für die erfolgreiche Kodexerarbeitung mit „Respekt im Rat“ finden sich in Buchholz in der Nordheide (Niedersachsen), Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) und im Kreistag Rendsburg-Eckernförde (Schleswig-Holstein).
Was sind die Vorteile eines solchen Kodex? Erste Erfahrungen zeigen: Er bietet der Versammlungsleitung unterhalb der hohen Schwelle des Ordnungsrufes ein Instrument zur Thematisierung von Verhaltensregeln, auf das sich der Rat verständigt hat. Auf den Kodex können sich zudem alle Ratsmitglieder jederzeit im Bedarfsfall beziehen, um die Regeln der verabredeten Gesprächskultur in Erinnerung zu rufen.
Offensiv auf die Werte hinweisen
Sichtbarkeit hilft: Der Kodex kann am Anfang einer Legislaturperiode der Geschäftsordnung beigefügt werden. Als Aufsteller im Saal kann er die Werte und Normen dokumentieren oder per QR-Code die Einladungen zu Ausschuss- und Ratssitzungen ergänzen. Zudem sendet er in die Bevölkerung das Signal, dass der Rat seine Vorbildfunktion für den gesellschaftlichen Diskurs ernst nimmt.
„Das Projekt ‚Respekt im Rat‘ ist sehr wichtig für uns“, sagt Stadtpräsident Jan Kuhnert aus Neubrandenburg. „Es hat einen sehr produktiven Prozess der Selbstverständigung über unsere Gesprächskultur angestoßen.“
Derzeit wird das Projekt schwerpunktmäßig für Räte in Schleswig-Holstein an- geboten, um dort vor Ort Workshops bedarfsorientiert durchzuführen. Aber auch interessierte Räte aus den übrigen Bundesländern können Beratung, Anleitung und Materialien erhalten, um einen Kodex zu erarbeiten und dabei von den bisherigen Erfahrungen zu profitieren. Die beteiligten Räte können zudem die anonyme Umfrage angeleitet durchführen und nach einem jeweils festgelegten Zeitraum wiederholen, um die Wirkung des Gesprächskodex zu überprüfen.
Ziel ist es, mit dem Projekt „Respekt im Rat“ längerfristig eine erfolgreiche Implementierung von Kodizes in Kommunen zu verankern, um die Arbeit der „Herzkammern der Demokratie“ nachhaltig zu stärken.
Sven Tetzlaff
Der Autor
Sven Tetzlaff ist Bereichsleiter Demokratie und Zusammenhalt in der Körber-Stiftung in Hamburg.