Wie soll man vorgehen, wenn vertikale Begrünung nicht nur schön, sondern auch biodiversitätsfördernd sein soll? Das haben Forscherinnen und Forscher gemeinsam mit Praktikern untersucht. Ergebnisse und Hinweise für die konkrete Arbeit vor Ort sind jetzt im Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung verfügbar.

Eine außergewöhnliche Fassadenbegrünung in Stuttgart hat in den letzten zwei Jahren für Aufsehen gesorgt. Installiert wurde sie im Rahmen der beiden Forschungsprojekte „BioDiv-Fassade“ und „Die wilde Klimawand“ an einem Bürogebäude am Fraunhofer Campus in Stuttgart-Vaihingen. Das Besondere daran: Hier sollte untersucht und gezeigt werden, wie sich mit einem innovativen Grünfassadensystem die Vielfalt der Wiesenflora und -fauna in die Vertikale und somit in dicht bebaute Räume bringen lässt und zugleich etwas für die Artenvielfalt sowie die Klimaresilienz der Städte getan werden kann.
Das mediale Interesse an dem Projekt war von Anfang an groß. Selbst das ARD-Filmteam von der „Sendung mit der Maus“ war zweimal zu Gast und berichtete. Auch Preise gab es: Gleich zweimal wurde das Projekt bei der „DGNB Sustainability Challenge“, dem Innovationswettbewerb der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. 2024, ausgezeichnet.
Zum Ende der Forschungsarbeit wurde jetzt der „Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung – Wilde Klimawände für Stuttgart“ veröffentlicht. Er fasst das gesammelte Wissen der letzten Jahre zusammen, zeigt Interessierten auf, welche positiven Auswirkungen eine solche vertikale Bepflanzung für das direkte Umfeld hat und was man bei der Realisation beachten sollte.
Bei den Forschungsprojekten arbeitete das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) eng mit dem Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) sowie dem Institut für Akustik und Bauphysik (IABP) der Universität Stuttgart zusammen. Als Partner holte man sich die Helix Pflanzensysteme GmbH mit ins Boot. Basierend auf wissenschaftlichen Analysen und langjähriger gärtnerischer Erfahrung entwickelte und erprobte das interdisziplinäre Team aus Forschung und Praxis die wilde Klimawand und erstellte auch gemeinsam den aktuellen Leitfaden.
Üblicherweise werden konventionelle Wandbegrünungen in erster Linie nach ästhetischen Gesichtspunkten geplant. Deshalb entscheidet man sich zumeist für eine überschaubare Anzahl von immergrünen Gewächsen, die bereits gezeigt haben, dass sie sich auch in der Vertikalen zuverlässig und dicht entwickeln. Bei der Auswahl für die wilde Klimawand lag der Fokus dagegen vollständig auf der Biodiversität.
Neuer Ansatz für die Vertikale
Erforscht wurde, welche heimische Vegetation sich für Grünfassaden eignet und welchen Insekten sowie Kleintieren sie Lebensraum und Nahrung bietet. Neben unterschiedlichen Wildstauden, Kräutern und Gräsern kamen daher auch Beikräuter wie Klee zum Einsatz. Denn sie sind insbesondere für Wildbienen wichtige Nektar- und Pollenquellen. Durch das zusätzliche Einbringen von Nisthilfen sowie mineralischen und organischen Materialen wurden zudem ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung unterschiedlicher heimischer Tierarten geschaffen.
Was ist konkret zu beachten?
Aber nicht nur Gestaltung und Bepflanzung, auch das Pflegekonzept musste bei der wilden Klimawand umgedacht werden. Oberstes Ziel ist nicht eine ansehnliche, ordentliche Fläche, sondern die Förderung von Vielfalt. Die Vegetation wird daher in regelmäßigen Abständen nur sehr behutsam zurechtgestutzt. Selbst vertrocknete oder abgestorbene Pflanzenteile werden nicht komplett entfernt, denn sie bilden wichtige Habitate für die Tierwelt.
Der Leitfaden zeigt, welche Pflegemaßnahmen zu welcher Jahreszeit durchgeführt werden sollten und wie es dabei gelingt, verschiedene Brutstätten zu schützen und zugleich Brandschutzvorgaben einzuhalten. Außerdem wird aufgelistet, was die regelmäßige Pflege einer entsprechend gestalteten Fassade kostet
Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung
Die Ergebnisse der Forschungsprojekte „BioDivFassade“ und „Die wilde Klimawand“ sind im „Leitfaden für biodiversitätsfördernde Fassadenbegrünung“ zusammengestellt. Den Autoren geht es darum, Grünfassaden als Maßnahmen zur Klimaanpassung und Biodiversitätsförderung greif- und anwendbar zu machen
und so deren Verbreitung zu unterstützen. Der Leitfaden ist online verfügbar:
www.helix-pflanzensysteme.de/artikel/leitfaden-fuer-biodiversitaetsfoerdernde-fassadenbegruenung
Der Autor
Julian Käß ist Umweltschutztechnikingenieur bei der Helix Pflanzensysteme GmbH in Kornwestheim.
Julian Käß