Kommunalhaushalt: Das demografische Minus kompensieren

Die demografische Entwicklung droht die angespannte Haushaltslage vieler Kommunen weiter auszuzehren, insbesondere in strukturschwachen Regionen. Mit der gezielten Ansiedlung von Unternehmen und Dienstleistern der Gesundheitswirtschaft lässt sich die Habenseite der Kommune verbessern und das demografische Minus kompensieren.

Die Einnahmen einer Gemeinde sind stark demografieanfällig, weil mindestens zwei wichtige Einnahmequellen darauf reagieren: Die 30- bis 65-Jährigen haben pro Kopf das höchste Aufkommen an Einkommensteuer, welches aber in Zukunft auch am stärksten abnehmen wird. Damit geht ein wichtiger Zufluss zum kommunalen Finanzausgleich verloren, der sich zusätzlich noch dadurch reduziert, dass die Zahl der Einwohner der Gemeinden in den kommenden Jahrzehnten sinken wird.

Gehen wir von einer durchschnittlichen Gemeinde von 5000 Einwohnern aus, bedeutet dies einen Nettorückgang von 135 Einwohnern zwischen 2020 bis 2030. In diesem ist allerdings ein Rückgang von 239 Einwohnern zwischen 30 und 65 Jahren enthalten, die mit rund 36.000 Euro pro Kopf an steuerpflichtigem Einkommen weit über dem der über 65-Jährigen liegen, die zwar zahlenmäßig zunehmen, aber pro Kopf nur 21.000 Euro zu versteuern haben. Netto werden – unter sonst gleichen Umständen – einer 5000 Einwohner starken Gemeinde etwa 100.000 Euro an Einnahmen aus der Einkommensteuer verloren gehen.

Natürlich wird diese Entwicklung solche Gemeinden besonders treffen, deren demografische Situation sich in Zukunft noch verschlechtern wird. Mit der Verschlechterung der demografischen Situation geht vielfach auch die Abwanderung von Gewerbe einher, womit sich der Teufelskreis schließt: Weniger Arbeitsplätze führen zu weniger Einkommen und damit zu weniger Steuereinnahmen der Einwohner.

Transferleistungen der Sozialversicherungssysteme steigen

Es gibt verschiedene Szenarien, die aus diesem ungünstigen Trend einen Ausweg weisen, von denen aber nur eines eine sichere Basis hat: Mit zunehmendem Altersdurchschnitt steigen die Transferleistungen der Sozialversicherungssysteme, also insbesondere der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Da die beiden letztgenannten überwiegend Dienstleistungen nach sich ziehen, könnte sich hieraus eine gewisse Kompensation der verlorengehenden Steuerzuflüsse ergeben. Während nämlich etwa 100.000 Euro an Steuereinnahmen verlorengehen, erhöhen sich die Transferzahlungen allein aus der Krankenversicherung an die nun älter (und weniger) werdenden Einwohner um etwa 500.000 Euro.

Diese Mittel können dann wieder in Einnahmen der Gemeinde aus der Einkommenssteuer umgewandelt werden, wenn es gelingt, diejenigen in der Gemeinde anzusiedeln, die von diesem Geld bezahlt werden: Ärzte und Zahnärzte, Krankenschwestern, Pflegeberufe, Physiotherapeuten, Apotheker und deren Personal. Sie können und sollten zukünftig zu einem Ziel einer gemeindlichen „Gesundheitspolitik“ werden.

In Zeiten des Fachkräftemangels ist dies sicherlich kein einfaches Unterfangen und wird zwischen den Gemeinden teilweise zu einem Nullsummenspiel werden. Aber für viele – insbesondere „abgehängte“ – Gemeinden ist dies die einzige „Industrie“, die angesiedelt werden kann und – besonders wichtig – die einzige Industrie, die weitgehend unabhängig ist von der Konjunktur.

Gründung medizinischer Versorgungszentren

Auf Bundesebene sind bereits einige Weichen gestellt worden, die einer solchen Politik entgegenkommen. Dazu gehört die Möglichkeit, ein medizinisches Versorgungszentrum zu gründen und dieses mit einem oder mehreren angestellten Ärzten zu besetzen. Das ist derzeit einfacher, als Ärzte zur freiberuflichen Niederlassung zu bewegen. Lockerungen im Hinblick auf die Erbringung von medizinischen Leistungen durch Nicht-Ärzte im Delegationsverfahren können zusätzliche personelle Ressourcen binden.

Nicht zu vergessen sind die gerade in Entwicklung befindlichen digitalen Versorgungsangebote, die auch auf Gemeindeebene für zusätzliche Beschäftigung führen können, wenn man die „Ambulantisierung“ von bisher im Krankenhaus erbrachten Leistungen betrachtet: Die Möglichkeiten einer Vor-Ort-Betreuung steigen, wenn die spezialisierte Mitbehandlung auf telemedizinischem Wege durch weiter entfernte Krankenhäuser erbracht werden und die Koordination und Pflege vor Ort erfolgt. Die Ansiedlung von medizinischen Fachkräften kann die Gemeinde mit Wohnungsangeboten unterstützen.

Die demografische Entwicklung kann also für Gemeinden durchaus Chancen bieten, weil die Versorgung verstärkte dezentralisiert werden kann und weil die Transfersysteme der Kranken- und Pflegeversicherung die finanziellen Ressourcen bieten, die dem tendenziellen Abbau ihrer steuerfinanzierten Grundlage entgegenwirken.

Bertram Häussler

Der Autor
Prof. Bertram Häussler ist Leiter des IGES Instituts in Berlin