Aus Sicht von Berater Marc Schmitt waren die Kommunen gut aufgestellt – jetzt aber bringen die Coronapandemie und der Krieg gegen die Ukraine Haushaltspläne durcheinander. Viel Potenzial für positive Entwicklungen sieht er dennoch.
Was war aus Ihrer Sicht kennzeichnend für die kommunalen Finanzen der vergangenen Jahre?
Marc Schmitt: Vor allem bis 2010, aber auch noch bis 2013 und 2014, haben wir von PricewaterhouseCoopers viele Haushaltskonsolidierungsprojekte begleitet. Danach gab es noch Einzelfälle und Einzelprojekte, insgesamt aber hat es sich für uns so dargestellt, dass die Nachfrage und der Bedarf an Haushaltskonsolidierung abflachten – und das auch 2015 während der Flüchtlingskrise. Die Haushalte waren im Wesentlichen gut aufgestellt.
Dann kam Corona – welche Auswirkungen sehen Sie auf die kommunalen Finanzen?
Schmitt: Die Erträge aus der Gewerbesteuer-Kompensation haben den kommunalen Haushalten durch die Coronazeit geholfen. Die endgültigen finanziellen Auswirkungen der Coronazeit sind aktuell jedoch noch nicht abzuschätzen. Man kann nicht genau sagen, wie sich die Pandemie mittel- und langfristig auf die Wirtschaft und mit einer möglichen Verschlechterung der Auftragslage auf die kommunalen Finanzen auswirken wird.
Anders sieht es mit den Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine und mit den stark steigenden Energiekosten aus: Hier zeigt sich die Problematik für die Haushalte unmittelbar.
Schmitt: Zudem ist das eine Herausforderung insbesondere für Stadtwerke, die einerseits Gewinnausschüttungen an die Kommunen ermöglichen und andererseits den Kommunen selbst sowie Bürgerinnen und Bürgern bezahlbare Energie liefern sollen. Die Wirtschaft ist ebenfalls von hohen Energiekosten betroffen, auch die für viele Kommunen wichtigen Handwerker und Mittelständler, die zudem mit unterbrochenen Lieferketten konfrontiert sind. Diese Problematiken werden sich mittelfristig wiederum auf die Gewerbesteuer auswirken.
Ist Sparen das einzige Gebot der Stunde?
Schmitt: Es ist die einzig mögliche Sofortmaßnahme, und Kommunen versuchen ja auch, einzusparen, wo immer es geht, sei es bei der Bewirtschaftung kommunaler Gebäude oder den Heiz kosten für Schwimmbäder. Die Herausforderungen sind gewaltig.
Was kann hier helfen?
Schmitt: Wichtig ist die Vernetzung der Kommunen untereinander, was bereits in vielfältiger Form geschieht: Je intensiver man miteinander im Gespräch ist und Kooperationen auf Augenhöhe eingeht, desto besser für die kommunale Aufgabenerfüllung. Eine große Herausforderung ist die Anspruchshaltung der Bevölkerung, die ich persönlich bisweilen bedenklich finde, da oftmals die Kenntnis übergeordneter Zusammenhänge fehlt und der Fokus eher auf Einzelinteressen liegt. Dennoch: Kommunen müssen damit professionell umgehen. Hier ist die Kommunalpolitik gefragt, die erklären und vermitteln muss.
Was bedeuten die aktuellen Herausforderungen für die Energiewende?
Schmitt: Die Energiewende gerät zum Teil in den Hintergrund. Um sie zu schaffen, müssen Kommunen investieren, zum Beispiel in die energetische Sanierung und Ertüchtigung ihrer Liegenschaften, aber auch in Photovoltaik und alternative Energieerzeugung – aber auch die aktuellen Rechnungen mit Beträgen, die nicht einkalkuliert waren, müssen bezahlt werden. Kommunen müssen eine Balance schaffen zwischen den akut steigenden Energiepreisen und der Aufgabe, die Energiewende umzusetzen.
Welche Herausforderungen sehen Sie außerdem für die nächste Zukunft?
Schmitt: Ein Thema spielt eine Rolle, das nur mittelbar mit den Finanzen zu tun hat und sich doch stark auswirkt: die zunehmenden Engpässe beim Personal. Sehr viele Beschäftigte und Beamte werden in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen oder in den Ruhestand versetzt werden, das trifft die Verwaltungen in den Kommunen noch deutlich stärker als die Wirtschaft. Mit ihnen geht sehr viel Know-how verloren – das muss aufgefangen werden, zudem müssen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und alternative Arbeitsmodelle geschaffen werden. Eine aktuelle Studie aus unserem Haus zeigt die kritische Perspektive für Kommunen aufgrund des Fachkräftemangels. Ohne Kooperationen wird es nicht gehen.
Wie sieht es mit Bewerbungen aus?
Schmitt: Viele Verwaltungen verzeichneten einen Anstieg an Bewerbungen während der Coronapandemie – dies könnte schon in Richtung des krisensicheren Arbeitsgebers Öffentliche Hand interpretiert werden. Dennoch müssen die Kommunen proaktiv für sich werben und Bewerber gewinnen. Ausgelöst durch die Coronapandemie haben viele Verwaltungen bereits gute Schritte getan, Stichworte sind hier Digitalisierung, New Work, flexible Arbeitsmodelle. Das sollte unbedingt beibehalten und ausgebaut werden: Flexibles Arbeiten ist Bewerbern wichtig, und sie vergleichen sehr genau. Positiv aus meiner Sicht ist, dass die Führungsebenen in den Verwaltungen sich bereits verjüngt haben und damit auch zunehmend andere Mindsets wirksam werden.
Der Blick in die Glaskugel ist schwierig – aber welche Herausforderungen für Kämmerer sind für Sie absehbar?
Schmitt: Ein Thema wird die Akzeptanz und Reaktion von Bürgerinnen und Bürgern auf das Verwaltungs- sowie das politische Handeln bleiben. Kommunale Ausgaben sind nun mal bestimmt durch den politischen Willen und gesetzliche Aufgaben. Hier muss man die Bürger kontinuierlich informieren und damit nachhaltig ins Boot holen. Und anders als bisher bedeutet Sparen nicht mehr, den Personalkörper der Kommunen zu reduzieren. Neue Formen der interkommunalen Zusammenarbeit, die Strukturierung der kommunalen Beteiligungen sowie eine stringente Digitalisierung und Automatisierung der Verwaltungsleistungen sind hier das Gebot der Stunde.
Wie schätzen Sie insgesamt die kommunalen Haushalte ein?
Schmitt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen kleinen und großen Kommunen, Flächengemeinden und Regionen, letztlich ist jeder Haushalt ein individueller Fall und auch durch örtliche Besonderheiten wie Sozial- oder Wirtschaftsstrukturen bestimmt. Insgesamt gesehen sind die Kommunen aber auf einem guten Weg: Der Generationen-wechsel ist im Gange, die Führungsstrukturen werden jünger. Kommunen kooperieren auch zunehmend miteinander – das wird sich sicherlich noch intensivieren, aber Anfänge sind gemacht. Problematisch ist derzeit der Stand der Digitalisierung zu sehen. Viele Kommunen werden eine fristgerechte Umsetzung des OZG nicht schaffen – und es braucht auch weitere Anstrengung und Kooperationen.
Woran denken Sie?
Schmitt: Zum Beispiel Angebote im Bildungsbereich, etwa VHS und Musikschulen. Bildung ist wichtig, kostet aber viel Geld. Kleine Einheiten haben wenige Möglichkeiten – große Einheiten, an denen mehrere Kommunen beteiligt sind, können dagegen sehr viel mehr bieten, sind für Bürger wie auch für Personal attraktiver. Gerade bei diesen und anderen interkommunalen Kooperationen sehe ich viel Potenzial. Von hoher Bedeutung sind auch Zusammenführungen von administrativen Leistungen wie im Finanz- und Immobilienmanagement sowie der Personalverwaltung. Fachkompetenzen müssen fokussiert werden, um eine hochwertige Aufgabenerfüllung bei gleichzeitiger Aufwandsreduzierung zu erreichen.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person: Marc Schmitt ist Senior Manager und Experte für kommunale Finanzen beim Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers.