Klärschlamm: Duisburgs innovatives Abwassernetz

Ein Ziel von RIWWER ist es, die Kläranlage Vierlinden im Starkregenfall vor Überlastung zu schützen. Foto: Lea Krammer, Fraunhofer IMS

Digitalisierung und KI-gestützte Überwachung: Das Forschungsvorhaben RIWWER soll helfen, humanitäre und klimatische Katastrophen mit Klärschlamm einzudämmen. Andreas Goetsch und Michael Rüscher stellen das Projekt vor.

Das Abwasser von Duisburgs Haushalten und Industrie kann im Regelfall von den Kläranlagen vor Ort aufgenommen und aufbereitet werden. Bei Starkregen kann es jedoch zu einer Überlastung des städtischen Kanalisationsnetzes kommen. Das hat zur Folge, dass in bestimmten Fällen Niederschlagswasser auch mit Schmutzwasser (Mischwasser) in den Rhein abgeleitet werden muss – und auf diese Weise die Umwelt belastet.

Die Lösung ist RIWWER – ein modellhaftes Leuchtturmprojekt der Stadt Duisburg, lokaler Firmen und Forschungsinstitute: Durch intelligente Umweltsensoren, die in das Abwassernetz integriert sind, soll überschüssiges Wasser innerhalb von Minuten umgeleitet und gegebenenfalls gespeichert werden. Die gesamte Abwasserbehandlung soll so optimiert werden. Der Projektname steht für „Reduction of the Impact of untreated Waste Water on the Environment in case of torrential Rain“, was mit „Reduzierung der Auswirkung auf die Umwelt durch unbehandeltes Regenabwasser“ übersetzt werden kann.

Der hohe Versiegelungsanteil verhindert Versickerung

Mehr als ein Drittel der Stadtfläche von Duisburgs 233 Quadratkilometern sind sogenannte „versiegelte Flächen“: Als versiegelt gilt ein Gebiet, auf dem Regenwasser nicht in den Boden versickern kann, sondern dem städtischen Abwassersystem zugeführt wird. Duisburg (507.000 Einwohner) weist damit, wie viele andere Ruhrgebietsstädte auch, einen sehr hohen Versiegelungsanteil auf. Dies führt dazu, dass bei Starkregen, wenn innerhalb kurzer Zeit rund fünf Prozent der Gesamtjahresniederschlagsmenge fallen können, das kommunale Abwassersystem überlastet wird.

Als Reaktion wird bisher das Regenwasser zusammen mit dem Abwasser von Haushalten und Industrie in die Natur abgelassen. Erschwerend kommt hinzu, dass von Verkehrsflächen stammendes Regenwasser durch Reifenabrieb stark mit Mikroplastik verschmutzt ist und in ungeklärter Form die Natur übermäßig belasten würde.

Um die Umwelt zu schützen, wurde das Projekt RIWWER ins Leben gerufen. Das Team wird vom Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (Fraunhofer IMS) geleitet. Für das Projekt haben sich verschiedene Partner zusammengeschlossen: die Stadt Duisburg, die Wirtschaftsbetriebe Duisburg (WBD), die Universität Duisburg-Essen, die Firma Krohne aus Duisburg sowie HST aus Meschede, der Verein Deutscher Ingenieure, das Technologie- und Innovationsmanagement der RWTH Aachen, das Start-up-Unternehmen Okeanos aus Bochum sowie die Berliner Hochschule für Technik.

Am 1. Oktober 2022 ist  RIWWER  gestartet. Das Projekt wurde im Fördermittelaufruf „Edge Datenwirtschaft“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für eine Laufzeit von drei Jahren und mit einem Volumen von drei Millionen Euro zur Förderung ausgelobt. Weitere 1,1 Millionen Euro steuern die beteiligten Partner bei.

Mit Hilfe von Sensoren organisiert sich das Rohrsystem selbst

Das Projekt soll das Duisburger Abwassernetz durch intelligente Sensorik und Pumpsysteme in die Lage versetzen, große Mengen Regenwasser in Echtzeit von überlasteten Teilen der Kanalisation dorthin zu leiten, wo es noch Aufnahmekapazitäten gibt. Da das Kanalisationsnetz auch im Fall von Regen nicht unbedingt ausgelastet ist, sollen durch eine Umverteilung des Regenwassers die Überlastung von Kläranlagen und der damit entstehende Schaden für Mensch und Natur minimiert werden.

Dabei setzt RIWWER auf ein Netz von Sensoren, die in das Abwassersystem integriert sind. Deren Daten ermöglichen neben einer vollständigen Kartografie der stark verzweigten, unterirdischen Rohrsysteme, auch in Echtzeit übermittelte Füllstände und Durchflussgeschwindigkeiten des gesamten Duisburger Abwassernetzes. Diese Daten werden lokal von einer künstlichen Intelligenz ausgewertet, die Abwasserpumpwerke, Drosseleinrichtungen und Abflussregler so steuern soll, dass eingehende Wassermengen umverteilt werden und eine Überlastung des Abwassersystems minimiert wird.

Durch RIWWER soll der Ertrag an ökonomisch und ökologisch wertvollem Klärschlamm steigen. Foto: Adobe stock/Werner

Die KI ist lernfähig und kann präventiv eingreifen

Eine weitere Stärke von RIWWER ist, dass die KI in Kombination mit oberirdisch gewonnenen Wetterdaten in der Lage ist, die bestmögliche Wasserverteilung zu erlernen, um präventiv in das Abwassersystem einzugreifen. Durch die hohe örtliche Auflösung des Sensornetzes soll das Abwassersystem geschützt werden, wenn ein Duisburger Stadtteil unter Starkregen leidet, während in einem anderen kein Regen fällt.

Wie sehr RIWWER den Zeitgeist trifft, zeigt sich im Duisburger Stadtteil Walsum, in dem sich ein 500 Hektar großes Naturschutzgebiet (die „Rheinaue Walsum“) befindet. Die in Walsum verortete und für das Projekt genutzte Kläranlage Vierlinden der Wirtschaftsbetriebe kann ihr Einzugsgebiet von mehr als 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Normalfall abdecken.

Jedoch kommt es bei Starkregen zu Überlastungen und Staus in einigen Teilen der Abwasserrohre, vergleichbar mit einer Überlastung eines Autobahnnetzes. Die Folge: Die rund 6900 Kubikmeter umfassenden Überlaufbecken treten über und ungeklärtes Abwasser gelangt in den Rhein. Durch RIWWER soll die Kläranlage Vierlinden vor einer regenbedingten Überlastung geschützt sowie die Lebensqualität von Mensch und Natur erhöht werden.

Nicht nur die Natur profitiert von dem Projekt: Im Klärprozess entsteht wirtschaftlich wertvoller Klärschlamm, dessen Ertrag durch das Projekt erhöht werden kann. Klärschlamm ermöglicht eine Kette von ökonomisch und ökologisch vorteilhaften Prozessen: Zum einen kann aufgrund des hohen organischen Anteils beim Klärschlamm Biogas gewonnen werden. Zum anderen eignet sich die verbliebene Biomasse als Brennstoff zur Wärme- und Stromgewinnung. Somit wird die Wirtschaft weniger abhängig von Rohstoffimporten wie beispielsweise Erdgas. Sogar aus der Asche können diverse Rohstoffe zurückgewonnen werden, allen voran wertvoller Phosphor.

Ein weiteres Ziel von RIWWER ist, diese Technologie für weitere Kommunen nutzbar zu machen. Langfristig soll so der (digitale) Strukturwandel hin zu mehr Nachhaltigkeit im Ruhrgebiet und über die Region hinaus vorangetrieben werden, bei gleichzeitigem ökonomischem Ertrag.

Andreas Goetsch, Michael Rüscher


Die Autoren

Dr. Andreas Goetsch ist Wirtschaftsreferent der Stadt Duisburg. Michael Rüscher ist Wirtschaftsdezernent sowie Beigeordneter für Wirtschaft, Sicherheit und Ordnung der Stadt Duisburg