Julia Klöckner: „Wir brauchen völlig neue Ansätze“

Die Große Koalition hat sich vorgenommen, die ländlichen Räume gezielt zu stärken. Im Interview mit unserer Zeitschrift äußert sich Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, zu den Plänen der Regierung und zum neuen Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“.

Frau Ministerin, von Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse kann in vielen ländlichen Regionen Deutschlands nicht mehr die Rede sein. Hohe Arbeitslosigkeit, veraltete Infrastrukturen, fehlende Breitbandversorgung, weite Arbeits-, Schul- und Behördenwege, ausgedünnte Netze der Gesundheitsversorgung lassen Menschen in großer Zahl abwandern. Die Alten bleiben zurück, die Wirtschaftskraft der Regionen wird geschwächt. Was kann das neue Aktionsbündnis „Leben auf dem Land“ erreichen?

Klöckner: Die ländlichen Räume sind die Kraftzentren unseres Landes. Sie stecken voller Innovation und Dynamik, doch sie brauchen gute Rahmenbedingungen, um nicht abgehängt zu werden. Moderne Infrastruktur, Raum für Start-ups, Testregionen, unbürokratische Entscheidungswege, keine Gießkannenpolitik, sondern passgenaue Lösungen, das ist mir wichtig. Auch das Ehrenamt gehört dazu ich meine, Ehrenamt braucht Unterstützung durch das Hauptamt. Lebensqualität für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, Landwirte und Jungbauern, für Familien auf dem Land, darum geht’s. Deshalb freue ich mich, die kommunalen Spitzenverbände als wichtige Partner für die Entwicklung der ländlichen Räume gewonnen zu haben.

Politische Vorhaben mit dem Ziel, den ländlichen Raum stärken zu wollen, gab es immer wieder. Was ist denn das Neue an dem Aktionsbündnis?

Klöckner: Mein Ministerium ist zuständig für die ländlichen Räume, ich werde mit Horst Seehofer zusammen die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ leiten und die Ansätze müssen sich von denen unterscheiden, die bisher verfolgt wurden. Wir müssen viel stärker raumorientiert politische Analysen und Diskussionen führen. Was für den Verdichtungsraum passt, passt aber nicht fürs Land. Und gerade die kommunalen Spitzenverbände und die kleinen und mittleren Betriebe in der Fläche wissen, was hilft, unkonventionell, konkret. Mit ihnen gehen wir das Bündnis ein, um Geld für Experimentierregionen und Pilotprojekte, um Vernetzungen und neue Blickwinkel zu erreichen.

Die Idee, gemeinsam mit den Kommunen und der Wirtschaft und deren Verbänden Impulse geben zu wollen für die Entwicklung des ländlichen Raums, klingt ja gut. Sinnvoller wäre aber doch, erst einmal die verschiedenen Bundesressorts zu einem abgestimmten Handeln bei dieser Aufgabe zu bringen. Sprechen Sie in dieser zentralen Frage auch mit Ihren Kabinettskollegen Altmaier, Spahn und Scheuer? Mit welchem Ergebnis bis jetzt?

Klöckner: Natürlich spreche ich mit meinen Kollegen über die Stärkung der ländlichen Regionen. Mit Horst Seehofer befinde ich mich ja in enger Abstimmung zur Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Und erste Gesetze unserer Regierung sind ja bereits in Arbeit. Auch der Arbeitsstab Ländliche Entwicklung, dem mein parlamentarischer Staatssekretär Stübgen vorsitzt, hat seine Arbeit aufgenommen. Durch die verstärkte Zusammenarbeit können wir die verschiedenen Maßnahmen der Ressorts zur Entwicklung der ländlichen Räume besser bündeln. Mein Ziel ist es, die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes um die ländliche Entwicklung zu erweitern. Ich hoffe, dass der Koalitionspartner auch wirklich mitmacht, denn wir haben gemeinsam die Stärkung des ländlichen Raumes im Koalitionsvertrag vereinbart. Deshalb gibt es auch einen Sonderrahmenplan für die ländliche Entwicklung.

Welche konkreten Maßnahmen sind im Rahmen des Aktionsbündnisses geplant, wie sieht der Fahrplan aus?

Klöckner: Als Themen, um die wir uns gemeinsam kümmern wollen, haben wir uns zunächst auf die Digitalisierung, das Ehrenamt, die Nahversorgung und Standortfaktoren für Unternehmen verständigt.

Nicht selten bleiben gut gemeinte Initiativen in der Ankündigungsphase stecken, vor allem dann, wenn mehrere Partner beteiligt sind. Wer ist bei Ihrem Aktionsbündnis der Kümmerer, der an den richtigen Strippen zieht, Projekte koordiniert, für den wichtigen Erfahrungsaustausch sorgt und Rückmeldung gibt, beispielsweise an Ihr Ministerium?

Klöckner: Warum sind Sie so pessimistisch? Die Hände in den Schoß zu legen und bedauernswert in die Welt zu schauen, bringt uns doch auch nicht weiter. Deshalb arbeiten wir schon seit einigen Jahren eng mit den Partnern zusammen, mit denen wir jetzt das Aktionsbündnis geschlossen haben. Die Landkreise, Städte und Gemeinden, Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern mit ihren Spitzenverbänden sind für uns wichtige Partner. Jeder bringt seine eigene Erfahrungen und Ideen in das Bündnis ein. Gemeinsam erarbeiten wir jetzt daraus Projekte und Initiativen für die ländliche Entwicklung. Das gemeinsame Verständnis verbindet und bewegt.

„Impulse geben“ wird heutzutage oft als „Fördermittel ausreichen“ verstanden, ohne diese werden in vielen Fällen keine privaten Investitionen ausgelöst. Welche Gelder für die Entwicklung ländlicher Regionen stellt Ihr Ministerium bereit und was kommt von den anderen Bundesressorts, deren Arbeit das Thema Ländliche Räume berührt?

Klöckner: Mit der Landmilliarde werden wir die Stärkung des ländlichen Raums als zentrales Thema für die Zukunft unseres Landes voranbringen. Es ist uns gelungen, erstmals Mittel für den neuen Sonderrahmenplan Förderung der ländlichen Entwicklung vorzusehen. Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes ist mit 765 Millionen Euro weiterhin gut ausgestattet. Die Mittel dieser Gemeinschaftsaufgabe insgesamt und des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung in Höhe von 55 Millionen Euro sind wirkungsvolle Investitionen in unsere ländlichen Regionen, damit sie für Jung und Alt attraktiv bleiben.

Interview: Wolfram Markus

Zur Person: Julia Klöckner, (Jg. 1972), ist Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft und stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU. Seit 2011 war sie Fraktionsvorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz. Julia Klöckner studierte Politikwissenschaft, Theologie und Pädagogik und ist neben vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten unter anderem Mitglied bei den Landfrauen.