Die Sicherung der Mobilität ist eine der drängenden Aufgaben der Kommunalentwicklung. Die kleine Gemeinde Jesberg in Hessen zeigt, wie’s funktionieren kann: Sie gründete einen Sharing-Verein, der mehrere Fahrzeuge vorhält und verleiht.
Leben auf dem Land ohne eigenes Auto geht eigentlich nicht. Schon gar nicht, wenn es im Ort keinen Bahnhof gibt. In Jesberg, einer Gemeinde in Nordhessen mit 2400 Einwohnern, verteilt auf sechs Ortsteile, geht das seit zweieinhalb Jahren sehr gut.
Jesberg hat drei Carsharing-Fahrzeuge, einen E-Smart, einen VW Caddy Diesel und einen Neunsitzer. Dazu drei Elektrolastenräder, drei Elektrofahrräder, einen (demnächst zwei) Elektroroller und verschiedene Anhänger. Alle Fahrzeuge sind buchbar und ausleihbar über eine professionelle Sharing-Software mit On-Board-Unit in den Pkw sowie elektronischen Bluetooth-Schlössern an den Zweirädern. Zur Jesberger Mobilitätsinfrastruktur gehören auch Mitfahrbänke an den Ortsausgängen und demnächst auch vor dem örtlichen Edeka-Markt. Wer sich darauf setzt und auf dem nebenstehenden Schild den Namen des Zielortes einstellt, muss nur noch wenige Minuten warten, bis er von einem freundlichen Mitbürger mitgenommen wird.
Zudem gibt es im Ort mehrere Fahrdienstangebote. Ehrenamtliche Fahrer nutzen die Carsharing-Fahrzeuge, um damit hilfsbedürftige Mitbürger zum Arzt, zum Einkaufen oder anderswohin zu fahren. Ein aus Pakistan stammender junger Mann fährt mit einem Elektrolastenrad plus Anhänger Grünabfälle von den Privatgärten zur Abgabestelle am Bauhof der Gemeinde, oder er bringt Lebensmittel vom Laden nach Hause.
All diese Angebote wurden mit privaten Mitteln durch den Verein „Vorfahrt für Jesberg“ geschaffen, der Anfang 2016 aus einem IKEK-Arbeitskreis hervorging. In den Jahren 2014/2015 hatte das Dorf mit externer Unterstützung ein integriertes kommunales Entwicklungskonzept (IKEK) erarbeitet, das neben Dorfgemeinschaftshäusern, Kinderspielplätzen, Nachbarschaftshilfe und vielem mehr auch die Mobilität behandelte. Der Berater stellte fest, dass die schwierige Mobilität einer der Hauptgründe sei, weshalb die Bevölkerungsprognose für das Jahr 2030 auf einen Rückgang um bis zu 30 Prozent hinauslief.
Mittlerweile konnten sogar schon zwei Neubürger gewonnen werden, die aus Frankfurt nach Jesberg gezogen sind und nach wie vor kein Auto besitzen. Ohne die Sharing-Angebote wäre das nach eigener Aussage kaum möglich gewesen. Mehrere Familien mit Kindern besitzen nur einen Pkw und leihen bei Bedarf einen Sharing-Pkw oder nutzen im Dorf die (Lasten-)Pedelec-Angebote. Der Neunsitzer im örtlichen Carsharing-Pool stammt von einer Familie, die ihn in das Leihangebot eingebracht hat, um durch die Vermietung an andere die eigenen Kosten zu senken. Nachdem sie insgesamt damit gute Erfahrungen sammelte, hat sie mittlerweile ihren zweiten Pkw verkauft und greift bei Bedarf auf die ganze Bandbreite der Angebote zurück. Auch die beiden anderen Pkw wurden von den Besitzern für das Sharing zur Verfügung gestellt.
Mit Fördermitteln das Angebot ausweiten
Der Verein umfasst mittlerweile rund 70 Personen und erfährt breite Unterstützung im Dorf. Auch wenn das im Umkehrschluss bedeutet, dass die meisten Jesberger Bürger noch keinen Gebrauch davon macht, so wachsen Angebot und Nutzer doch stetig. Jetzt wurden zum ersten Mal Fördermittel aus dem Bundesprogramm „Kurze Wege für den Klimaschutz“ beantragt, um die bisher vor allem im Kernort verfügbaren Sharing-Angebote auf die Ortsteile auszuweiten.
Gegründet wurde der Verein mit dem Ziel, selbst die Fahrzeuge zu vermieten. Als die Gemeinnützigkeit beim Finanzamt beantragt wurde, lehnte dieses den steuerlich besonders interessanten Status genau deswegen ab. Daraufhin wurde der Sharing-Verein zum Förderverein für nachhaltige Mobilität umgewidmet und die eigentliche Vermietung der Fahrzeuge an den Carsharing-Dienstleister Regiomobil Deutschland ausgelagert.
Der Verein erhält zehn Prozent aller Vermietumsätze mit den Pkw und kann daraus wiederum die Zweirad-Angebote, die den Mitgliedern kostenlos zur Verfügung stehen, ausbauen. Der Dienstleister startete als Anbieter von Fahrgemeinschafts-Carsharing, betreibt aber mittlerweile in mehreren Orten Nordhessens das Carsharing im Auftrag der Gemeinden oder sonstigen Initiativen.
Beim Fahrgemeinschafts-Carsharing, wie es aktuell in Erfurt (Thüringen) und im Schwarzwald praktiziert wird, fahren Mitarbeiter großer Firmen oder Gewerbegebiete mit einem Fahrzeug als Fahrgemeinschaft gemeinsam zur Arbeit und wieder nach Hause. Zwischen den Pendelfahrten sind es dann Carsharing-Fahrzeuge für jedermann am Arbeits- und am Wohnort. Weil es sich dabei um Sieben- bis Neunsitzer handelt, ist dieses Modell vor allem für Vereine, aber auch für Bürgerbusorganisationen interessant.
Michael Schramek
Der Autor
Michael Schramek ist Geschäftsführer des auf Mobilität spezialisierten Beratungsunternehmens Ecolibro in Troisdorf